«Es gibt durchaus Argumente gegen Monogamie»
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Polygamie erklärt:Wenn ein Partner nicht ausreicht

BLICK-Expertin Caroline Fux über offene Beziehungen
«Es gibt durchaus Argumente gegen Monogamie»

Ex-Snowboardprofi Fabien Rohrer trennte sich von seiner Freundin, weil diese eine offene Beziehung forderte. Mit diesem Verlangen sei sie nicht allein, meint BLICK-Psychologin Caroline Fux.
Publiziert: 14.07.2020 um 22:57 Uhr
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Aktualisiert: 15.07.2020 um 06:06 Uhr
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BLICK-Psychologin Caroline Fux findet es gut, dass immer mehr über offene Beziehungen und Polygamie geredet wird.
Foto: Sven Thomann
Interview: Michel Imhof

Nach gut einem Jahr trennte sich der ehemalige Snowboard-Profi Fabien Rohrer (44) von seiner «Darf ich bitten?»-Tanzpartnerin Patrycja Studer (30). Als Grund dafür nannte er ihr Verlangen nach einer Beziehung mit mehreren Partnern (BLICK berichtete). Sie finde es toll, dass Menschen heute mehr Möglichkeiten haben, was Beziehungsmodelle angeht, sagt BLICK-Psychologin Caroline Fux (39).

BLICK: Es wird immer mehr über Polygamie geredet. Können wir Menschen nicht treu sein?
Caroline Fux: Zuerst einmal: Ich bin kein Fan des Wortes «Polygamie». Es ist tendenziell veraltet und vor allem negativ behaftet. Fachleute und Vertreter dieser Szene sprechen lieber von einer offenen Beziehung. Und was die Treue angeht, dann ist das ein extrem grosses, vielschichtiges Thema. Nüchtern betrachtet, darf man aber sagen, dass in der Menschheitsgeschichte wohl seit jeher extrem viel betrogen wird. Übrigens von beiden Geschlechtern.

Weil wir nicht dafür gemacht sind?
Ich denke, es gibt durchaus gewisse Argumente gegen die Monogamie. Weil Menschen heute viel länger leben, dauern auch Paarbeziehungen länger. Man ist also stärker gefordert, wenn es um lange Monogamie geht. Einige Forscher argumentieren auch, dass es evolutionsbiologisch von Vorteil ist, wenn eine Frau rund um den Eisprung mit mehreren Männern Sex hat. Andere halten dagegen, dass Monogamie Beziehungen stabilisiert und ökonomischen Fortschritt fördert. Es ist ein ewiger Streit.

Lässt sich ein Trend hin zur Polygamie oder zur Öffnung von Beziehungen erkennen?
Das Thema kommt und geht. Die 1968er-Bewegung hat ja letztmals schon intensiv damit experimentiert. Viele erlebten dieses Experiment aber irgendwann als gescheitert. Aktuell ist das Thema gerade wieder sehr in Mode. Ich denke, das hat viel damit zu tun, dass sich Menschen nicht festlegen und vor allem auch auf nichts verzichten wollen. Offene Beziehungen oder «Freundschaften Plus» wirken wie Modelle, bei denen man alles haben kann.

Kann man denn alles haben?
Nicht, wenn man dabei auch erwartet, dass es nichts kostet, also keinen Aufwand auslöst. Menschen, die glücklich offene Beziehung leben, wissen, wie aufwändig diese Modelle sind. Man muss extrem viel Beziehungsarbeit leisten, damit eine Partnerschaft trotzdem stabil und glücklich bleibt. Vor allem muss man überhaupt erst mal das Glück haben, dass alle ungefähr das Gleiche wollen. Gerade beim Thema «Freundschaft Plus» sehe ich nämlich sehr häufig, dass eine Person diese Beziehungsform gegen den Herzenswunsch des Gegenübers durchdrückt und die andere Person dann leidet.

Hat es auch Vorteile, dass offene Beziehungen wieder mehr im Trend sind?
Ich finde es toll, dass Menschen heute mehr Möglichkeiten haben, was Beziehungsmodelle angeht. Und dass man überhaupt darüber sprechen darf, dass man andere vielleicht immer noch spannend findet oder ihr Begehren schätzt. Weil dass man sich über diese Bedürfnisse austauscht, ist die zwingende Basis dafür, dass man zu seinem Glück findet. Und nur weil man über eine Öffnung spricht, heisst das ja nicht, dass man sie auch ungefiltert auslebt.

Was ist der Reiz an der Polygamie?
Das ist individuell. Manche Menschen erleben es schlicht und einfach als ihrem Naturell entsprechend, offen für eine Sexualität oder eine Liebe zu mehreren Menschen zu sein. Andere denken, bei allem Respekt, vielleicht wirklich, dass sie alles haben müssen und auf keinen sexuellen Kick verzichten wollen.

Welche Gefahren gibt es in einer offenen Beziehung?
Das Beziehungsmodell ist aufwendig. Man muss viele Kompetenzen mitbringen. Man muss sich selbst gut spüren, ohne dass man nur noch alles durch den eigenen Filter sieht. Man muss als Paar viel kommunizieren und die Kernbeziehung immer stärken. Sex oder Verliebtheit ausserhalb können einen wahnsinnigen Sog auslösen. Dem muss man qualitativ einiges entgegenhalten können in einer Langzeitbeziehung. Extrem viele Paare schaffen das nicht, besonders, wenn man einfach nur auf Konsum aus ist.

Wann funktionieren offene Beziehungen?
Wenn alle Beteiligten bereit sind, zu investieren und viel zu kommunizieren. Man muss gemeinsam Spielregeln aufstellen, aber auch die Ruhe und die Flexibilität haben, diese sinnvoll anzupassen, wenn sich die Bedürfnisse ändern. Das ist der Vorteil von Monogamie: Sie ist einschränkend, aber im Grunde genommen einfach. Wobei man natürlich auch dort mit dem Verständnis von Treue und den konkreten Regeln spielen kann.

Worin unterscheidet sich die Polygamie von der Polyamorie und offenen Beziehungen?
Polygamie und Polyamorie sind beides Formen einer offenen Beziehung. Bei der Polygamie bezieht sich die Öffnung nur auf das Sexuelle, bei der Polyamorie wird auch eine Liebes- und Paarbeziehung gelebt.

Gibt es Zahlen, wie viele Menschen in der Schweiz polygam oder polyamourös leben?
Ich kenne keine verlässlichen. Klar ist, das nur wenige Leute hinstehen und sagen: «Ich bin polygam» oder «ich bin polyamor». Unter anderem auch deshalb, weil die Liebes- und Beziehungsfähigkeit dieser Menschen meist pauschal abgewertet wird. Viele Vertreten nach wie vor die Auffassung, dass jemand, der mehrere Menschen liebt, diese nicht richtig liebt. Aber am Ende des Tages leben und lieben Menschen nun mal sehr verschieden.

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