Der Schweizer Peter Stamm (59) ist Bestsellerautor mit rund 1,5 Millionen verkaufter Bücher. Zu seinem 60. Geburtstag erscheint ein Dokumentarfilm – und ein neuer Stamm-Roman, in dem ein Regisseurpaar einen Film über einen Autor macht: wie im Spiegelkabinett!
Peter Stamm, genau zu Ihrem 60. Geburtstag am 18. Januar erscheint Ihr neuer, neunter Roman «In einer dunkelblauen Stunde». Ein Geschenk des Verlags?
Eigentlich sollte das Buch später erscheinen. Dann gab aber das Schweizer Fernsehen bekannt, zum Geburtstag einen Film über mich zu zeigen – und so zog der Verlag den Termin vor.
Wie werden Sie den Tag feiern?
Mit meiner Familie gehe ich abends sicher schön essen. Und zehn Tage später gibt es eine Party mit Freunden.
Und dazu ein Glas Ricard, den Ihre neue Romanfigur Richard Wechsler gerne trinkt?
Das haben viele gar noch so gerne. Mir schmeckte das Anisgetränk zunächst auch nicht, aber wie Wechsler lernte ich es in Paris kennen.
Mit seinen Romanen und Erzählbänden ist Peter Stamm (59) einer der erfolgreichsten Schweizer Schriftsteller. Für den Roman «Die sanfte Gleichgültigkeit der Welt» erhielt er 2018 den Schweizer Buchpreis. In Weinfelden TG mit drei Geschwistern aufgewachsen, machte er eine kaufmännische Lehre, holte die Matura nach und begann ein Studium. Stamm lebt mit seiner Partnerin und zwei Söhnen in Winterthur ZH.
Mit seinen Romanen und Erzählbänden ist Peter Stamm (59) einer der erfolgreichsten Schweizer Schriftsteller. Für den Roman «Die sanfte Gleichgültigkeit der Welt» erhielt er 2018 den Schweizer Buchpreis. In Weinfelden TG mit drei Geschwistern aufgewachsen, machte er eine kaufmännische Lehre, holte die Matura nach und begann ein Studium. Stamm lebt mit seiner Partnerin und zwei Söhnen in Winterthur ZH.
Wechsler trägt einige biografische Züge von Ihnen. Und der gemalte Mann mit den hochgekrempelten Hemdsärmeln auf dem Buchcover gleicht Ihnen.
Das bin ich sogar, porträtiert von der deutschen Künstlerin Anke Doberauer.
Das Spiel zwischen Dichtung und Wahrheit treiben Sie inhaltlich weiter, denn im Roman geht es um einen Dokumentarfilm über Wechsler …
… der letztlich scheitert …
… und «Wechselspiel – wenn Peter Stamm schreibt» heisst der Dokumentarfilm, den die Solothurner Filmtage jetzt zeigen. Was war zuerst?
Die Filmidee! Die Regisseure Arne Kohlweyer (41) und Georg Isenmann (44) sagten mir, sie wollten einen Film drehen, wie ich ein Buch schreibe. Dann sagte ich: «Also schreibe ich ein Buch über zwei, die einen Film über einen Autor machen.»
Gehören Buch und Film also zusammen?
Man kann beides separat konsumieren: das Buch, ohne den Film zu kennen, und den Film, ohne das Buch zu lesen. Denn im Film geht es auch allgemein über das Schreiben und die Art, wie ich arbeite.
Die Filmer im Buch fragen sich, ob Wechsler immer wieder über eine missglückte Jugendliebe schreibe. War das ein Antrieb für Ihr Schreiben?
Wechsler sagt einmal, man brauche grosse Emotionen als Antrieb zum Schreiben. Und Liebe ist eines der besten Gefühle, um damit zu arbeiten. Hass wäre weniger produktiv.
US-Autor Bret Easton Ellis (58) lotet in seinem gerade jetzt erscheinenden Roman «The Shards» ebenfalls die eigene Jugend aus. Zufall, oder liegt was in der Luft?
Mit der aktuellen Nobelpreisträgerin Annie Ernaux (82) ist das Autofiktionale das Thema der Stunde. Auch mit Kim de l’Horizon (30). Ich verweigerte mich bisher dieser Selbstbespiegelung.
Aber jetzt machen Sie doch mit!
Weil es eine so verspielte Ausgangslage war, war ich lockerer als sonst. Deswegen wurde das Buch auch lustiger als meine früheren. Ich nahm alles nicht so ernst. Es war ein Spiel, das wir betrieben.
Ja, es erinnert an Max Frischs Theaterstück «Biografie: Ein Spiel».
Genau. Aber wenn alle nur noch über ihr wahres Leben schreiben, fragt man sich schon, wohin das führt. Es ist eine interessante Entwicklung, aber ich glaube nicht, dass die lange andauert.
Doch die Leserschaft will immer wissen, wie viel Wahrheit im Roman steckt – obwohl Ich-Erzähler und Autor nicht gleichzusetzen sind, sucht sie die Parallelen.
Ich stellte deshalb an Lesungen auch schon die Gegenfrage: «Was wäre, wenn ich das Ich im Roman wäre? Würde es das Buch besser oder schlechter machen?»
Nein, aber eventuell wahrhaftiger. Sucht die Leserschaft in Zeiten von Fake News danach?
Vielleicht. Oder vielleicht hat es auch damit zu tun, dass wir mit fiktionalem Netflix-Mist derart überhäuft werden. Daraus entsteht das Bedürfnis nach Wahrhaftigkeit.
Im Roman beschreiben Sie das Dilemma: «Die Wirklichkeit schreibt keine Geschichten. In der Fiktion kann man nicht leben, aber auch nicht sterben.» Ist das Ihr Versuch, Wirklichkeit und Fiktion zu verbinden?
Ja, aber in fast allen meinen Büchern gibt es eine solche fiktionale und reale Ebene. Das war schon immer mein Thema.
Sind Sie dem Thema über all die Jahre auf die Schliche gekommen?
Die ergiebigsten Themen sind die, zu denen es keine Lösung gibt.
Dieses Jahr ist nicht bloss Ihr runder Geburtstag, es ist auch exakt ein Vierteljahrhundert her, dass Ihr erster Roman «Agnes» erschien.
Ich müsste mir eigentlich eine goldene Uhr schenken (lacht).
Wie hat sich Ihre Arbeit in den letzten 25 Jahren verändert?
Ich bin bestimmt sicherer geworden. Einen so verspielten Roman wie «In einer dunkelblauen Stunde» hätte ich mit 35 nicht geschrieben. Heute traue ich mir mehr zu.
Und die nächsten 25 Jahre?
Weiter schreiben!
Vielleicht auch einmal ein Drehbuch? Jetzt hatten Sie ja Tuchfühlung mit dem Film.
Ich hatte mal ein Drehbuch zu «Agnes» geschrieben, das nie verfilmt wurde. Aber ich fand das auch nicht so schön, weil viele Leute mitredeten – ich bin gerne der König meiner Projekte.
Peter Stamm, «In einer dunkelblauen Stunde», S. Fischer; ab 18. Januar im Buchhandel
«Wechselspiel – wenn Peter Stamm schreibt» läuft am 19. und 21. Januar an den Solothurner Filmtagen und am 22. Januar um 12 Uhr auf SRF 1