Am 25. Februar, einen Tag nach Putins Überfall auf die Ukraine, filmten die Jungreporter Fanny (17) und Leon (19) News-Anchorman Franz Fischlin (59) auf dem SRF-Tiktok-Kanal, wie er sich einen Kittel für die «Tagesschau» aussuchte. Dann schauten sie ihm über die Schultern, als er eine seiner anspruchsvollsten Sendungen präsentierte.
Anfang letzte Woche gab SRF bekannt – stellvertretend für ähnliche Meldungen in letzter Zeit, dass man bei Radio SRF 3 nicht weniger als zwei neue Podcast- und drei neue Youtube-Formate lancieren werde.
Zeitgleich präsentierte ein überparteiliches Komitee am 1. März die sogenannte Halbierungs-Initiative. Dabei sollen die Gebühren für Radio und Fernsehen von 335 auf 200 Franken im Jahr gesenkt werden. Bei der Präsentation beriefen sich die Initianten mehrfach auf das ihrer Meinung nach völlig aus dem Ruder gelaufene Online-Angebot der SRG, das sie einschränken möchten.
Kontrahenten gehen in Stellung
SVP-Nationalrat Gregor Rutz (49, ZH): «Die SRG dringt heute in Märkte vor, die nicht unter ihre Konzession fallen. Die SRG produziert Sendungen ausserhalb des Service public und weitet das Online-Angebot ständig aus. Wir verlangen, dass der Grundversorgungsauftrag der SRG diskutiert werden muss.»
SRF hält dagegen, dass man dort hingehen müsse, wo die Zuschauer seien. «Die Konzession verlangt explizit, dass SRF die Kommunikationsmöglichkeiten neuer Technologien nutzt und dass Angebote auch auf junge Menschen ausgerichtet werden», sagt Stefano Semeria (55), Leiter Abteilung Distribution.
Bunte und sehr breite Online-Palette
SonntagsBlick hat versucht, sich einen kleinen chronologischen Überblick zu verschaffen. Das Wichtigste im Dschungel des Angebots:
- Im Januar 2018 startet die Youtube-Morgenshow «Zwei am Morge».
- Im April 2020 bündelt SRF das Angebot für Kinder auf dem Youtube-Kanal «SRF Kids».
- Seit November 2020 diskutieren Barbara Bleisch (49) und Yves Bossart (39) im Youtube-Format «Bleisch & Bossart».
- Im März 2021 wird für junge Frauen der Instagram-Kanal «We, Myself & Why» lanciert.
- Mit «Wismer gfallt» von Jodlerin Arlette Wismer (22) lanciert SRF im April 2021 die neue Facebook-Seite «SRF Volksmusik».
- Im Juli 2021 startet «rec.», das Youtube-Reportageformat von «SRF Dok».
- Im August 2021 wird der Instagram-Kanal von SRF Kultur, @srfkultur, neu belebt.
- Für das Umwelt- und Klimaformat «SRF CO2ntrol» auf Youtube begibt sich Jara Helmi (29) seit August 2021 auf Recherchereise.
- Seit Dezember 2021 ist SRF News mit dem eingangs erwähnten Pilotprojekt auf Tiktok.
- Anfang Februar 2022 wird mit «SRF Impact» ein neues Youtube-Reportageformat eingeführt.
- Bei fiktionalen TV-Serien setzt SRF zurzeit auf lineare Distribution und Online-Streaming auf Play Suisse und Play SRF, um dem Wunsch der Zuschauer nachzukommen, selber zu entscheiden, wann, wo und in welchem Rhythmus sie eine Serie schauen möchten.
Andere tun es auch
Klar ist: Niemand wirft SRF vor, dass es für Sendungen wie die «Tagesschau» oder «10 vor 10» – gerade in Kriegszeiten – vertiefendes Bildmaterial und auch zusätzliche Texte online zur Verfügung stellt. Das machen ARD und ZDF auch. Aber braucht es all die vielen Miniformate auf Social Media, auf denen sich SRF-Exponenten austoben dürfen? Was das alles kostet – darüber hüllt sich SRF in Schweigen. Es entstünden keine zusätzlichen Kosten, da Ressourcen intern umgelagert würden, sagt der Distributions-Chef von SRF.
Auch wie viele Programmstunden mit wie vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern produziert werden, will SRF nicht quantifizieren. «Die Trennung zwischen linearem und digitalem Output kann man nicht mehr machen, weil SRF auf Synergieeffekte setzt. Wir haben inzwischen TV-Sendungen, bei denen fürs Digitale erstellte Inhalte integraler Bestandteil sind», so Semeria. Und man gibt auch zu bedenken, dass keine Einnahmen mit Online-Werbung generiert werden können. Diese Rahmenbedingung sei gesetzlich vorgegeben und werde respektiert.
«Substanzieller Millionenbetrag»
Für Gregor Rutz ist es hingegen unseriös, dass SRF die Aufwendungen nicht ausweist. «Nur Betriebe, die sich mit fremden Mitteln finanzieren, können es sich leisten, sich nicht mit den Kosten zu befassen», ärgert er sich gegenüber SonntagsBlick. Er schätzt, dass allein das Schweizer Radio und Fernsehen für seine Online-Aktivitäten «einen substanziellen Millionenbetrag ausgibt».
Viele fragten sich letzte Woche, ob der Zeitpunkt mit den Kriegsereignissen in der Ukraine der richtige ist, um eine Halbierungs-Initiative zu lancieren. Bis es zu einer Volksabstimmung kommt, wird es wohl noch mindestens drei Jahre dauern. Bis dahin werden die SRF-Tiktoker Fanny und Leon längst dem neusten Social-Media-Trend verfallen sein. Sicher ist: Der Online-Dschungel von SRF wird garantiert noch mächtig wachsen.