Es mag auch andere TV-Moderatoren geben, die sich für ihre Reportagen selber ins Geschehen stürzen. Doch so nah dran und gleichzeitig derart unaufgeregt wie Mona Vetsch (48) bei «Mona mittendrin» passiert dies selten. «Auf nichts vorbereitet, auf alles gefasst», heisst das Credo ihrer Sendung, die am 1. Februar zum 50. Mal läuft.
Seit 2017 wurde Vetsch regelmässig einer für sie ungewohnten Lebenswelt ausgesetzt. Geplant war erst nur eine Staffel mit fünf Folgen. «Zu Beginn fragten wir uns ernsthaft, ob das überhaupt jemand sehen will. Wir greifen völlig unspektakuläre Themen auf. Und geben Menschen ein Gesicht, die sonst nicht in der Öffentlichkeit stehen.»
Nie musste eine Sendung abgebrochen werden. «Es gibt keine ‹No-go›-Liste. Aber wir tragen eine grosse Verantwortung, haben klare publizistische Massstäbe und eine journalistische Ethik, die gewisse Dinge ausschliesst», sagt Vetsch.
Für Blick hat Mona Vetsch auf die bemerkenswertesten Folgen zurückgeschaut.
1. Die allererste Sendung 2017: «Als einzige Frau in einem Männergefängnis– das ist mir damals wirklich heftig eingefahren. Du läufst über den Hof und weisst, dass dich alle beobachten. Und du weisst, hier sind vom Jungkriminellen über den Vergewaltiger bis zum Mörder alle vertreten. Ich lernte Dave kennen und fragte mich, ob man Kriminelle auch sympathisch finden darf. Wir hatten es gut zusammen, doch er war wegen eines Gewaltdeliktes verurteilt. Er ist nun wieder in Freiheit, hat einen Job gefunden und sieht seine erwachsene Tochter regelmässig.»
2. Die körperlich anstrengendste Folge: In der Winter-Rekrutenschule in Herisau AR. «Wir mussten mit der ganzen Ausrüstung längere Zeit durch den Schnee marschieren. Später übernachteten wir bei Minustemperaturen in einer Betonruine, das Gewehr und die Kampfstiefel im Schlafsack, damit sie nicht einfroren. Den warmen Porridge am nächsten Morgen habe ich noch heute in Erinnerung als beste Mahlzeit, die ich je gegessen habe.»
3. Die emotionalste und schwierigste Sendung: «Das waren für mich jene beiden auf der Kinderkrebsstation und bei der Neonatologie. Auch, weil ich selber Mutter bin. Die Konfrontation mit dem Tod von Kindern und die Hilflosigkeit, nie zu wissen, wie es wirklich weitergeht, belastete mich stark. Meine Erkenntnis war: Menschen, die etwas Dramatisches erlebt haben, wollen darüber reden und nicht schweigen. In der Jubiläumsausgabe gibt es ein berührendes Wiedersehen mit dem frühgeborenen Buben Trim.»
4. Die beeindruckendste Publikumsreaktion: «Nach der Sendung über Armutsbetroffene lancierte ein Zuschauer eine Spendenaktion für die Rentnerin Monika, die so gerne einmal mit dem Glacier-Express gefahren wäre. Schliesslich kam genug Geld für ein ganzes GA zusammen. Und Monika konnte sogar ihre Schulden abzahlen, die unter anderem entstanden waren, weil sie ihren Mann pflegen musste.»
5. Die grösste Herausforderung: «Beim Survival Training musste ich in einem Asthaufen übernachten. Das war das eine. Aber die Kontaktlinsen rauszunehmen, ohne fliessendes Wasser, bei strömendem Regen und in der Kälte mit steifen Fingern, das war eine echte Challenge.»
Mona Vetsch
6. Die existenziellste Erfahrung: «Im Frauenkloster habe ich ganz neue Einblicke bekommen und Vorurteile abgebaut. Ich dachte, als Glaubensskeptikerin werden das drei ganz heikle Tage. Und dann traf ich auf sehr viel Humor und Offenheit. Am Schluss veranstalteten wir im Kloster ein Preview. Ich machte mir etwas Sorgen wegen den kritischen Tönen gegenüber der katholischen Kirche. Doch die ehemalige Äbtissin sagte: ‹Gut, haben Sie den Finger dort drauf gelegt, wo es wehtut. Das hat mir gefallen.›»
7. Eine Sendung, die Vetsch bis heute beschäftigt: «Das Schicksal von Melanie im Paraplegiker-Zentrum Nottwil ging mir ganz nahe. Melanie führte einen Reiterhof, fiel vom Pferd und war auf einen Schlag gelähmt. Sie konnte sich nicht einmal mehr selber drehen im Bett, als ich sie traf. Ihr Leben lag in Trümmern. Und ich merkte: Gar nichts ist selbstverständlich. Melanie ist eine wahnsinnig beeindruckende Frau, die nun auch wieder in einer Beziehung ihr Glück gefunden hat. Ich freue mich sehr für sie. In der Jubiläumssendung backe ich mit Spitzenköchin Tanja Grandits einen Kuchen und überrasche Melanie damit.»
8. Die umstrittenste Sendung: Mona Vetsch war 2019 mit einer Equipe der Basler Feuerwehr unterwegs, die in einer öffentlichen Toilette einen Mann fand, der nicht mehr reanimiert werden konnte und verstarb. Blick machte am Tag der Ausstrahlung die Identität des Mannes publik.
«Für uns als Team war das eine sehr anspruchsvolle, schwierige Zeit. Was mir im Nachhinein leid tut, ist, dass die Angehörigen des Toten, den wir bargen, über andere Medien und also über Umwege konfrontiert wurden. Das habe ich ihnen im persönlichen Gespräch auch mitgeteilt. Es gab mehrere Beschwerden und eine Diskussion darüber, was medienethisch zulässig ist und was man zeigen darf. Die Ombudsstelle stellte schliesslich fest, dass wir nichts zeigten, was die Menschenwürde oder die Persönlichkeitsrechte verletzt hätte. Aber wir konnten den Verlauf nicht kontrollieren. Wir sind nun noch vorsichtiger und denken noch stärker an potenzielle Folgen und Dynamiken, gerade bezüglich Social Media.»
9. Berührende Momente in der Gassenküche Luzern: «Andi, den ich dort kennenlernte, war schon lange abhängig, ein guter Typ, der zum ‹Scheiss› stand, den er gemacht hatte. Ihn wollten wir fürs Jubiläum wieder besuchen. Doch er ist in der Zwischenzeit gestorben. Nicht an einer Überdosis, sondern an einer Lungenkrankheit. Ich traf dann seine langjährige Betreuerin. Sie sagte mir: Es sei schön für Andi gewesen, dass er nach der Sendung plötzlich als Mensch wahrgenommen worden sei. Er klebte ein Foto, das ihn mit mir in der Sendung zeigte, als Andenken an die Küchenwand. Und nahm es dann als einzigen Gegenstand auch mit ins Pflegeheim und hängte es dort mithilfe eines Kaugummis wieder auf. Es bedeute ihm offenbar sehr viel, was mich sehr berührte.»
10. Der anspruchsvollste Dreh für die ganze Crew: «Das Gebiet im Walliser Schutzwald, in dem wir die Förster bei ihrer Arbeit begleiteten, war extrem steil und nur mit einer gefährlichen Klettertour zu erreichen. Dazu kamen Sturm, Schnee und schweres Material. Was unsere Kamera- und Tonleute vollbringen und dazu noch in guter Stimmung tolle Bilder machen, ist phänomenal. Aber das gehört auch zu unserem Anspruch: Wir wollen das echte Leben abbilden, da kannst du nicht einfach mit dem Heli einfliegen.»
Die 50. Ausgabe von «Mona Mittendrin» läuft am Donnerstag, 1. Februar um 20.05 Uhr auf SRF 1.