Heute vor 50 Jahren begann das legendäre Musik-Festival Woodstock im US-Bundesstaat New York. Es veränderte das Denken einer ganzen Generation. Während drei Tagen feierten 400'000 Menschen friedlich miteinander. Der gelebte Geist von Toleranz, freier Liebe und Naturverbundenheit beeinflusste das gesellschaftliche und kulturelle Leben. Auch von Schweizer Persönlichkeiten.
Bobby Leiser (74), Ur-Roadie
«Wenn ich in New York war, wohnte ich immer bei Miles Davis in der 77. Strasse in Manhattan. Überall in der Stadt hingen diese Woodstock-Plakate, die auch mich gluschtig machten. Mich reizte es hinzufahren, vor allem weil ich mit Mitch Mitchell, dem Schlagzeuger von Jimi Hendrix, befreundet war. Dank Miles Davis konnte ich mit The Who im Shuttle-Helikopter hinfliegen. Der erste Eindruck war ein Schock: Schon beim Anflug konnte man sehen, dass alle Strassen total verstopft waren. Auf dem Gelände stellte ich dann fest, dass vor allem die hygienischen Verhältnisse schrecklich waren. Es gab gerade mal 200 Latrinen für 450'000 Besucher. Zum Glück warf das Militär am Samstagvormittag 250'000 Notrationen ab, das stillte den Hunger ein wenig. Ein paar Spassvögel hatten auch LSD in die Wassercontainer geworfen – viele waren darum high. Trotzdem gab es ein grosses Miteinander, die Stimmung in der Spät-Hippiezeit war einfach cool. Babys wurden gezeugt und auch geboren. Woodstock war vom Ansturm so vieler Menschen überrascht worden. Trotzdem war es eindrücklich, wie über 400 000 Leute unter schwierigen Umständen friedlich zusammenlebten und höchsten Musikgenuss erlebten. Das werde ich nie vergessen.»
Chris von Rohr (67), Rock-Musiker
«Das wirklich Beachtliche an Woodstock war neben der Musik, dass während drei Tagen fast eine halbe Million Menschen zusammengepfercht, verregnet, in unbequemster Art und Weise Seite an Seite in Gemeinschaft lebten und sich nicht der kleinste Schlagabtausch ereignete. Das ist einmalig in der Geschichte der Festivals. Heute leben wir in einer völlig anderen Zeit, aber für mich als streunenden Rock-Hippie ist trotz des überhöhten Woodstock-Mythos folgendes utopisches Potenzial geblieben: starke Songs, die verbinden, unangepasste, natürliche Frauen und der ewige Kampf gegen Kriege und Verwüstungen jeglicher Art. Für die Freiheit, Offenheit, Selbstbestimmung und die Liebe in allen Formen.»
Beatrice Tschanz (75), Kommunikations-Expertin
«Woodstock hat mich brennend interessiert. Ich war 25, meine Generation war getrimmt auf Lernen und Leisten. Und plötzlich sprach alles von freier Liebe und einer neuen Lockerheit. Zu Hause und mit Freunden wurde viel darüber diskutiert, dass es eben noch anderes gibt im Leben als nur die Schule; da ging es plötzlich auch um Musik und darum, die Nächte durchzumachen. Natürlich wäre ich auch gerne mitten im Sumpf gesessen. Doch zu der Zeit ist man nicht so rumgejettet wie heute. Die Bilder werde ich nie vergessen.»
Pepe Lienhard (73), Band-Leader
«Ich begann damals gerade meine Karriere als Profimusiker. Ich war ja eher der Jazzer, weniger der Rocker. Aber ich hatte Jimi Hendrix schon ein Jahr zuvor im Zürcher Hallenstadion gesehen – und war da schon fasziniert. Viele andere Künstler, die in Woodstock auftraten, wurden erst später gross – Carlos Santana oder Joe Cocker zum Beispiel, den ich später begleiten konnte. Allgemein kann man sagen: Woodstock hat auf Künstler gesetzt, die später weltberühmt wurden. So gesehen ist das Festival ein Meilenstein der Rockgeschichte.»
Suzanne Klee (73), Country-Lady
«Woodstock hinkte der eigentlichen Hippie-Zeit zwei Jahre hinterher. Wir zogen bereits 1967 in Hippie-Klamotten ‹If you're going to San Francisco› singend durch die Londoner Kings Road, bewaffnet mit riesigen mexikanischen Papierblumen. Vom ganzen Ausmass des damaligen Chaos in Woodstock erfuhr man in der Schweiz erst ziemlich spät – in Dokumentationen und Berichten.»
Toni Vescoli (77), Singer-Songwriter
«Im Woodstock-Sommer zählte ich junge 27 Lenze. Dreieinhalb Jahre zuvor hatte ich mein Ruthli geheiratet. Wir haben vom Festival wenig mitbekommen, denn wir waren mit den Sauterelles auf Tour. Es war ja damals nicht so, dass man sich als Musiker einfach mal schnell in den Flieger setzte und rüberjettete. Das war auch viel zu teuer. Vermutlich waren auch nur wenige von uns dort. Die Drähte liefen auch danach nicht so heiss. Zeitungen und Fernsehen berichteten zuerst eher zögerlich. Erst der Dokfilm setzte sich dann in unseren Köpfen fest. Er machte die Acts von damals – Jimi Hendrix, Janis Joplin oder Joe Cocker – bei uns so richtig bekannt.»
Daniel Rohr (58), Leiter Theater Rigiblick
«Als Woodstock über die Bühne ging, war ich noch zu jung, um das Ereignis wahrzunehmen. Später sind wir mit dem Velo von Wallisellen nach Zürich gefahren, um den Woodstock-Film zu schauen, und waren fasziniert. Vieles von dem, was von den Hippies angestossen wurde, lebt heute noch: Die Zurück-aufs-Land-Bewegung beispielsweise fing mit den Hippies an. Ich habe ein altes Bauernhaus auf dem Land, und ich versuche, umweltbewusst zu leben – die bewusstseins-erweiternden Drogen allerdings brauche ich nicht mehr. Vielleicht hat Woodstock als Ereignis nicht mein Leben verändert. Aber die Hippies haben sich dem Vietnam-Krieg widersetzt. Das ist etwas, was mir geblieben ist: Wer Krieg führt, ist immer im Unrecht. Wir haben im Theater Rigiblick einen grossen Woodstock-Tribute-Theaterabend herausgebracht, den wir Ende September im Theater 11 zeigen.»
Benedikt Weibel, langjähriger SBB-Generaldirektor (72)
«Natürlich haben wir Woodstock wahrgenommen, ich weiss nur nicht mehr genau, wann. Zum grossen Ereignis wurde es in unseren Breitengraden wohl erst mit dem 1970 ausgestrahlten Film und natürlich der dreiteiligen LP, die – ziemlich abgegriffen vom vielen Abspielen – immer noch in meinem Plattenschrank steht. Ich war damals vom Zeitgeist infiltriert, stolz auf meine langen Haare und den langen Ledermantel. Mit Kolleginnen und Kollegen hatten wir damals ein Stöckli in der Umgebung von Solothurn gemietet, in dem wir nächtelang Musik – auch die von Woodstock – hörten, tanzten und am anderen Morgen grosse Diskussionen führten.»
Moritz Leuenberger, alt Bundesrat (72)
«Ich sah Woodstock im Kino und hörte es vor dem Plattenspieler. Der Einsatz gegen den Vietnam-Krieg hat mich mitgerissen, und wie Jimi Hendrix ihn musikalisch ausdrückte, hat mich fasziniert. Den Drang nach Freiheit, weg von verlogener Moral, verspürten wir alle. Aber ihn mit Drogen zu suchen, empfand ich schon damals als Trugschluss. Viele haben dafür einen hohen Preis bezahlt, auch mit ihrem Leben. Die Generation von Woodstock hat manches erreicht. Mauern wurden eingerissen, doch neue wurden und werden errichtet. Gegen Rassismus wurde erfolgreich vorgegangen, doch seine Wurzeln wurden nicht ausgerissen. Der Vietnam-Krieg ist beendet. Dafür wurde der Irak-Krieg angezettelt, ein ebenso verantwortungsloses Verbrechen. Meine Hoffnung? Woodstock zeigt: Den Mut zur Freiheit wagt jede Generation von neuem. Ich freue mich auf die nächste.»