Heute kennt sie kaum mehr jemand: die Geschwister Luise und Leopold. Dabei sorgen sie im Jahr 1902 für einen Skandal, der auch in Übersee Schlagzeilen macht. Es geht um ihre Flucht aus dem Habsburger Kaiserhaus.
Er heisst Erzherzog Leopold Ferdinand (1868–1935) von Österreich-Toskana und hat sich unsterblich in eine Prostituierte verliebt. Das kam bei Adeligen zwar öfters vor, aber Leopold will seine Wilhelmine unbedingt heiraten. Das ist komplett unstandesgemäss und skandalös.
Kronzprinzessin Luise von Sachsen (1870–1947), Leopolds Schwester, verliebt sich in den Sprachlehrer ihrer fünf Kinder. Auch das absolut unmöglich und ebenfalls ein Skandal.
Im Versteck in Zürich
Die Geschwister Luise und Leopold treffen sich in Salzburg – und beschliessen zu fliehen. Sie ziehen nicht einfach wie Herzogin Meghan (40) und Prinz Harry (36) nach Übersee, sondern Luise und Leopold türmen bei Nacht und Nebel. Das Ziel ihrer Flucht ist Zürich, wo sie im Grand Hotel Bellevue unterkommen. Um unerkannt zu bleiben, nennt er sich «Leopold Wölfling» und sie sich «Luise von Oppen». Dort stossen die geliebte Prostituierte und der geliebte Sprachlehrer zu ihnen.
Leopold ist viel konsequenter als Prinz Andrew (61), der sich ebenfalls gern im Rotlichtmilieu tummelt, aber laviert, verharmlost und in Amt und Würden bleiben will. Denn Leopold setzt in Zürich einen Brief an Kaiser Franz Joseph (1830–1916) auf: «Ich bitte Eure Majestät», schreibt er wörtlich, «meine Stellung und Rang als Erzherzog ablegen und den Namen Wölfling annehmen zu dürfen.» Andrew hat sich nie vom Königshaus losgesagt.
Leopolds Brief ist dagegen von ungeheurer Sprengkraft. Der Erzherzog will nicht mehr. Er verzichtet auf Titel und Rang und will fortan ganz bürgerlich leben – damit er seine Ex-Prostituierte heiraten kann. Auch Luise ist bereit zur Scheidung, sie will ihre fünf Kinder in Dresden zurücklassen und mit dem Sprachlehrer André Giron durchbrennen. Denn sie ist bereits mit dem sechsten Kind schwanger.
Geheimpolizisten in Genf
Luise und Leopold legen falsche Fährten, sodass Diplomatie und Geheimpolizei vermuten, sie seien nach Brüssel geflohen. Dabei reisen sie weiter nach Genf ins Hotel d’Angleterre. Sie sind verliebt und leben unbekümmert im Dezember 1902 in Genf. Bald lässt sich ihr Aufenthaltsort nicht mehr geheim halten, sodass die sächsische Geheimpolizei in Genf aufkreuzt. Und prompt diplomatische Unstimmigkeiten verursacht.
Tatsache ist: Leopolds Entrinnen und vor allem Luises Ehebruch lassen sich nicht mehr verheimlichen. Ihr Ausbruch wird öffentlich – und zum europäischen Skandal sondergleichen! Habsburg steht miserabel da, weil Leopold abtrünnig ist. Sachsen hinterlässt einen noch schlechteren Eindruck, weil die baldige Königin getürmt ist. Und auch die Schweiz muss Kritik einstecken, weil sie so unsittliches Gebaren wie den Ehebruch von Luise ohne weiteres dulde. Dies erinnert an die Skandale um Lady Diana (1961–1997), als deren Ehebruch bekannt wurde.
Beim bekanntesten Irrenarzt in Nyon
Zurück ins Jahr 1902: Luises Ehemann, der angehende König von Sachsen, strebt die sofortige Scheidung an. Damit Luise ihre fünf Kinder in Dresden nicht verliert, unterzieht sie sich einer psychiatrischen Untersuchung. Der damals bekannteste Psychiater der Schweiz, Auguste Forel (1848–1931), erstellt in einer Klinik in Nyon das Gutachten. Er hält die gefallene Kronprinzessin nicht für verrückt, sondern stellt «ungemein mildernde Umstände» fest, in dem er schreibt: «Sie sah im Hof nur Düsteres vor sich – und nun – rasch entschlossen wie alle Impulsiven, rannte sie ins Verderben.» Weil Luise den Ehebruch zugegeben hat, verliert sie dennoch das Sorgerecht für ihre Kinder.
Luise und Leopold entwickeln sich in der Folge zu den Sorgenkindern in der Verwandtschaft von Kaiser Franz Joseph. Luise kommt zeitweilig auf Schloss Wartegg auf dem Rorschacherberg unter, reist aber, einer ihrer vielen Launen folgend, plötzlich wieder weiter.
In Lumpen in Ascona
Leopold heiratet seine Geliebte am Genfersee und zieht mit ihr in die Villa Seeburg direkt am Zugersee. Er lebt ganz bürgerlich, nennt sich nicht mehr Erzherzog Leopold, sondern nur noch Leopold Wölfling. Er lässt sich einbürgern und wird zuerst Bürger von Zug, dann von Regensdorf ZH. Als seine Frau die Lebensreformer auf dem Monte Verità in Ascona TI entdeckt, läuft sie nur noch in Leinenlumpen herum, verzichtet auf Fleisch und Alkohol und nimmt an Séancen teil. Das ist Leopold zu viel. Er lässt sich scheiden – um eine neue Ex-Prostituierte zu heiraten.
Mit ihren abenteuerlichen Biografien stehen die beiden für den allmählichen Niedergang des Hauses Habsburg. Skandal um Skandal reiht sich aneinander, man kommt sich vor wie bei den Windsors in England.
Die Biografie «Luise und Leopold. Skandalträchtige Habsburger in der Schweiz» von Michael van Orsouw, Verlag Hier und Jetzt, erscheint diese Woche.