Foto: Thomas Meier

Michael van Orsouw über Könige und Kaiser in der Schweiz
Warum wir die Royals lieben – und sie uns

Wir sind ein Land ohne Thron – und trotzdem erstaunlich monarchiebegeistert. Der Historiker und Autor Michael van Orsouw hat die Beziehung der Blaublüter und der Schweiz untersucht: Es ist eine Liebesbeziehung!
Publiziert: 09.08.2019 um 23:12 Uhr
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Königin Victoria herrschte über ein Weltreich – der Tod ihres Gatten stürzte sie in eine tiefe Depression. In der Schweiz fand sie 1868 wieder zu neuer Kraft.
Foto: Getty Images
Benno Tuchschmid

BLICK: Die Schweiz hatte nie ein Königshaus … 
Michael van Orsouw: Das stimmt nicht ganz. Die Schweiz war Teil des Habsburgerreichs und hatte durchaus Kaiser und Könige als oberste Chefs. 

Okay, trotzdem: Die Schweiz ist das Land der direkten Demokratie. Interessiert sich hier wirklich jemand für Blaublüter?
Aber sicher. Nach der Recherche zu diesem Buch würde ich sogar noch weiter gehen: Die Schweizer haben ein grosses Faible für Blaublütige – und zwar schon seit Jahrhunderten. 

Seit Jahrhunderten?
Durchaus. Die Schweiz ist nämlich schon lange ein monarchiebegeistertes Land. 1777 reiste der österreichische Kaiser Joseph II. durch die Schweiz. Den damaligen Machthabern des Ancien Régime in der Schweiz war der Monarch unheimlich, weil er volksnah und von der Aufklärung beeinflusst war. Das unterdrückte Volk dagegen jubelte ihm zu. Das war noch vor der Zeit von «Gala», «Schweizer Illustrierte» und BLICK. Das zeigt: Der Hang der Schweiz zu gekrönten Häuptern ist nicht von den Medien aufgeputscht, sondern entspringt einem tieferen Bedürfnis.

Diese Begeisterung ist aus politischen Gründen nachvollziehbar ...
Nicht immer. Als der deutsche Kaiser Wilhelm II. 1912 nach Zürich kommt, ist er ein angeschlagener Herrscher. Zerstritten mit den Engländern und Franzosen, international isoliert. Und in Deutschland nimmt ihn auch niemand mehr richtig ernst. Doch vor dem Zürcher Hauptbahnhof empfangen ihn mehr als 100'000 jubelnde Schweizerinnen und Schweizer. 

Woher kommt das?
Alles, was man als Mensch im Kleinen erlebt, bekommt und bekam man immer schon in den Königshäusern unter einer Lupe vorgesetzt: Liebe, Trennung, Macht, Abstieg, sexuelle Untreue. Dazu kommt der ganze Pomp: Pelz, Hermelin, Zepter, Krone, Schmuck, Goldkutschen. Diese Aura ist aussergewöhnlich, gerade für die Schweiz – und sie fasziniert.

Konnte die Begeisterung auch in Unmut umschlagen?
Ja, doch das war eher die Ausnahme. Aber als Queen Victoria 1868 auf der Furka das ganze Hotel in Beschlag nimmt und Gäste mit Reservationen abgewiesen werden müssen, gibts einen Aufschrei in der Presse: In einem demokratischen Land wird einer Royalistin Vorrang gegeben! 

Drehen wir es mal um: Wieso interessierten sich Adelige für die Schweiz?
Das hatte vor allem touristische Gründe: Die Schweiz ist ein interessantes Reiseland mit einer faszinierenden Geschichte. Im 19. Jahrhundert war sie das, was die Malediven heute sind: ein Hotspot des gehobenen Erlebnistourismus.

Gäbe es das Tourismusland Schweiz, wie es heute existiert, ohne diese adeligen Trendsetter?
Nein. Diese Besucher waren enorm wichtig, auch für den Ausbau der touristischen Infrastruktur wie Strassen, Hotels, aber auch Parkanlagen und Bademöglichkeiten – heute würde man vom Wellnessangebot sprechen. Nachdem Queen Victoria 1868 in der Schweiz war, schossen im ganzen Land Hotels mit dem Namen Victoria aus dem Boden. Die wurden dann vor allem von angelsächsischen Touristen bevölkert. Nachdem Königin Wilhelmina im Toggenburg in den Ferien war, kamen plötzlich holländische Touristen. 

Es sind aber auch Adelige in die Schweiz geflüchtet …
Absolut. Das hat mit der Neutralität der Schweiz zu tun, die seit 1815 verbrieft ist und die wir übrigens einem adeligen Schweiz-Fan zu verdanken haben: Zar Alexander I. Der russische Monarch wuchs mit einem Schweizer Erzieher aus dem Waadtland auf und bekam früh die Ideale Rousseaus und die Schweizer Werte eingetrichtert. Als der Wiener Kongress eine neue europäische Ordnung schuf, hielt er dann seine schützende Hand über die Schweiz. 

Seit wann sind Besuche von Adeligen in der Schweiz eigentlich ein Medienereignis?
Erst seit dem Ende des 19. Jahrhunderts. Für die Menschen waren die Besuche immer schon ein Ereignis. Es gibt in vielen Jahrblättern Augenzeugenberichte, das waren für mich wichtige Quellen und zum Teil echte Trouvaillen. Da wurde zum Beispiel erwähnt, dass Kaiser Joseph II. einem Schweizer, der ihm auf den Fuss stand, den Gehstock über den Kopf zog. 

Finden Sie es eigentlich schade, gibt es keinen Schweizer König?
Die Schweizer machen sich ja ständig selbst zu Königen. Früher gab es den Söldnerkönig oder den Spinnerkönig. Jetzt im August werden wir wieder einen Schwingerkönig krönen. Der bekommt einfach einen Muni statt einer Krone. 

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