Roger Schawinski kritisiert TV-Direktorin Wappler scharf
«SRF macht sehr viel falsch»

Er war selber ein Star beim Schweizer Fernsehen. Aber seine kritische Haltung hat Roger Schawinski gegenüber dem Gebührensender nie verloren. Doch so ausgeteilt wie jetzt gegen TV-Direktorin Nathalie Wappler hat er noch nie.
Publiziert: 24.04.2022 um 00:50 Uhr
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Aktualisiert: 24.04.2022 um 10:48 Uhr
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Für Roger Schawinski macht SRF vieles falsch. Vor allem in den für ihn wichtigsten Sparten – Unterhaltung und Information – erkenne er einen schleichenden Abbau.
Foto: Siggi Bucher
Peter Padrutt und Jean-Claude Galli

Viele Leerläufe, schändlicher Umgang mit dem Personal und knappe Mittel verpulvern: Roger Schawinski (76) feuert scharf gegen TV-Direktorin Nathalie Wappler (54). Im Gespräch mit dem SonntagsBlick ortet er viele Fehler.

Herr Schawinski, Sie haben die Festtage gerade wieder in Ihrer zweiten Heimat Ibiza verbracht. Werfen Sie sich dort eigentlich jeweils ins Partygetümmel?
Roger Schawinski: Seit zwei Jahren sind hier alle Discos zu – und ich habe sie überhaupt nicht vermisst. Auch bei den kommenden grossen Openings werde ich nicht dabei sein. Tempi passati …

Können Sie Ihre spirituelle Seite dort auch ausleben? Lauschen Sie am Strand Benirrás bei Sonnenuntergang den Trommlern?
Im Sommer herrscht dort jeweils ein gewaltiger Auflauf, weil dieser Event unheimlich gehypt wird. Das frühere Hippie-Feeling ist weitgehend verrauscht. Das ist heute vor allem etwas für erstmalige Ibiza-Touristen. Da muss ich nicht mehr hin.

Hinlänglich bekannt sind Sie als hartnäckiger Talker – heute haben Sie Schauspieler Walter Andreas Müller zu Gast in Ihrer Sendung auf Blue Zoom. Gibt es etwas, was wir von WAM noch nicht wissen?
Absolut. Ich glaube, dass diese Sendung besonders gelungen ist. WAM war so offen wie wohl nie zuvor, selbst bei den heikelsten Fragen.

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WAM war in den 1990ern wichtiger Bestandteil des Gassenfegers «Fascht e Familie». Damals sprach man an Stammtischen und auf Pausenplätzen ausgiebig über SRF-Inhalte. Heute bleibt es mehrheitlich stumm. Was macht das Schweizer Fernsehen falsch?
Sehr, sehr viel.

Das heisst?
Ich habe Nathalie Wappler in meiner Talkshow im März 2020 gefragt, was zuerst eröffnet werde, der Berliner Flughafen oder das Newscenter im Leutschenbach. Im Brustton der Überzeugung sagte sie: «Natürlich unser Newscenter.» Der Berliner Flughafen wurde im Oktober 2020 eröffnet. Die letzte Information für das SRF-Newscenter lautet: «Fertigstellung 2023».

Bei der Präsentation Ihres Programms für 2022 hat Nathalie Wappler neulich die schon bekannten Serien «Tschugger» und «Die Beschatter» als Jahreshöhepunkte präsentiert. Ist das nicht etwas gar dünn?
Serien sind wichtig. Da ist man recht gut unterwegs. Aber in den wichtigsten Sparten – Unterhaltung und Information – erkenne ich einen schleichenden Abbau. Dass sich das überbezahlte Management eine weitere Lohnerhöhung von 20 Prozent zugeschanzt hat, während man gleichzeitig laufend mehr Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus Kostengründen entlässt, hat beim Personal für sehr viel Verbitterung gesorgt. Das ist nicht nur stillos, das ist schändlich.

Sie haben in Ihrer Zeit als Chef von Sat. 1 auch Programme auf die Beine gestellt. Was sagen Sie zum Angebot bei SRF?
Es ist uninspiriert. Unter dem Vorwand, man müsse sparen, hat man die Kreativität im Hauptangebot eingestellt. Eine Sendung aus dem Programm zu streichen, ist sehr einfach, eine neue, attraktive zu lancieren, ist hingegen viel schwieriger. Und deshalb lässt man es gleich ganz bleiben. Eigentlich kommt mir in der Ära Wappler kaum etwas Neues in den Sinn, was eingeschlagen hat.

Vor zwei Jahren hat SRF Ihre Talkshow abgesetzt. Würden Sie zurückkehren, wenn man Sie nochmals wollte?
Meine Sendung hat von Anfang an nicht in ihr Konzept gepasst. Darum hat sie Urs Gredig geholt.

Wenn Sie SRF übernehmen könnten, was würden Sie sofort ändern?
Ich würde mich endlich wieder aufs TV-Programm und auf Inhalte konzentrieren und nicht mehr auf verblasene Distributionsstrategien, bei denen man die knappen Mittel verpulvert. Mit den permanenten Reorganisationen unter seltsamen Kampfrufen wie «Agilität», die selbst vom eigenen Personal nicht verstanden werden, produziert man statt Effizienz bloss zusätzlichen Leerlauf.

Es wird auch kritisiert, SRF verzettle sich mit zu vielen digitalen Formaten auf Youtube oder Tiktok. Zu Recht?
Damit will man die Jungen holen, heisst es. Aber erstens erreicht man in den meisten Fällen nur enttäuschende Reichweiten, viel tiefere als im Hauptprogramm. Und zweitens handelt es sich kaum je um das, was man Service public nennt. Damit untergräbt SRF die Legitimation als Gebührensender, für den alle bezahlen müssen.

Prominente sprechen aktuell im SRF-Youtube-Format «Talkabout» über One-Night-Stands und und spezielle sexuelle Präferenzen. Ist das der richtige Weg, um die Publikumsgunst wiederzugewinnen?
Bei einem schmuddeligen Privatsender wie RTL 2 wären solche Programme optimal aufgehoben.

Das Stimmvolk hat kürzlich das Mediengesetz abgelehnt. Gleichzeitig ist bei der SRG ein Transformierungsprozess im Gang, bei dem die Distribution über allem zu stehen scheint. Droht mit solchen Entwicklungen die Stimmung nicht vollends zu kippen?
Die SRG hat alle Chancen nach dem wuchtigen Nein zu «No Billag» verpatzt. Für mich ist dies schlicht nicht nachvollziehbar.

Für wie gefährlich respektive aussichtsreich halten Sie die angestrebte Halbierungs-Initiative?
Die Chancen stehen massiv besser als bei «No Billag». Ich bin der Meinung, dass man bei der SRG nicht den Gebührenfluss verknappen sollte. Viel wichtiger wäre es, das Management auszuwechseln. Es braucht wieder Leute an der Spitze, die das Medium und seine Mitarbeitenden lieben, eine echte Feedback-Kultur pflegen und die Kreativität im Programmangebot ins Zentrum ihrer Tätigkeit stellen.

Weit davor stimmen wir bereits am 15. Mai über das neue Filmgesetz ab. Streamingplattformen sollen künftig in der Schweiz investieren müssen. Braucht es diese staatlichen Eingriffe?
Das empfinde ich als sinnvoll. Immer mehr Milliarden fliessen – ebenso wie bei den Werbegeldern – zu internationalen Anbietern. Wir müssen dafür sorgen, dass ein Teil dieser Mittel in der Schweiz verbleibt.

Wird die Schweiz bald zum Mini-Hollywood und ist das ein Geschäftszweig, der Sie reizen würde? Sie waren früher als Geschäftsführer der Stella-Gruppe ja schon einmal im Film- und Kinogeschäft tätig ...
Die internationale Film- und TV-Welt hat mich schon immer fasziniert. Meine Besuche in Hollywood zum Einkauf von Filmen fürs Kino und TV-Serien für Sat. 1 gehören zu den Highlights meiner beruflichen Laufbahn, die ich nicht missen möchte. Das war wirklich der Duft der grossen weiten Traumwelt, den ich sehr genossen habe. Aber auch hier: Tempi passati.

Sie haben sich in letzter Zeit vehement gegen die UKW-Abschaltung eingesetzt, die vorerst auf 2024 verschoben wurde. Wie ist hier eigentlich der aktuelle Stand?
Radio 1 hat mit seiner Petition erreicht, dass das Abschaltdatum von UKW um zwei Jahre auf Ende 2024 geschoben wurde. Dies gegen den Widerstand aller anderen Privatradios, der SRG, des Bakom und von Bundesrätin Sommaruga. Aber dies ist für mich erst ein Zwischenerfolg. Wir brauchen mehr Zeit, bis 90 Prozent aller Autofahrer ihre Schweizer Sender ohne UKW empfangen können. Ich zähle unter anderem auf eine hängige Motion im Nationalrat, die uns diesem Ziel näherbringen soll.

Und apropos Radio: Ende letzten Jahres hat Impfchef Christoph Berger bei Ihnen das Interview auf Radio 1 abgebrochen, weil er sich zu hart angegangen fühlte. Er geriet neulich als Entführungsopfer auch auf ganz andere Weise in den Fokus. Was ging Ihnen da durch den Kopf?
Ich empfand diese Geschichte als sehr seltsam. Die bisherigen Erklärungen, dass es nur um Geld gegangen sei, erscheinen mir nicht als sehr glaubwürdig. Da gäbe es sehr viel wohlhabendere Menschen in unserem Land, die sich für einen solchen Fischzug anbieten würden.

In Ihrem Corona-Talk auf Radio 1 haben Sie auch deutlich Position bezogen. Wurden Sie ebenfalls schon bedroht?
Nein, noch nie. Als einziges Radio der Schweiz haben wir bei Radio 1 während zweier Jahre in fast 300 Sendestunden Informationen und Meinungen zu Corona geliefert, indem wir einen elektronischen Dorfplatz gegründet haben. Als die Epidemie dann weitgehend bewältigt war, atmete ich auf. Doch bereits Wochen später begann der Krieg in der Ukraine. Und deshalb geht das Talkradio mit diesem Thema weiter, jeden Mittwoch von 10 bis 12 Uhr.

Setzen Ihnen Attacken aus dem Publikum heute stärker zu oder sind Sie gelassener geworden?
Viel gelassener, sodass man mir jetzt schon vorwirft, dass ich ein Softie geworden sei.

Unermüdlicher Medienpionier

Roger Schawinski (76) doktorierte an der HSG. 1974 gründete er beim Schweizer Fernsehen den «Kassensturz». 1977 wurde er Chefredaktor der «Tat», startete 1979 Radio 24, 1994 den Lokalsender Tele Züri. 2003 wurde er Chef von Sat. 1 und lancierte 2008 Radio 1. Seit Januar läuft seine Talkshow «Schawinski» auf Blue Zoom. Er lebt mit seiner dritten Ehefrau Gabriella in Zürich. Mit ihr hat er eine Tochter. Aus zweiter Ehe stammen ein Sohn und eine Tochter.

Roger Schawinski (76) doktorierte an der HSG. 1974 gründete er beim Schweizer Fernsehen den «Kassensturz». 1977 wurde er Chefredaktor der «Tat», startete 1979 Radio 24, 1994 den Lokalsender Tele Züri. 2003 wurde er Chef von Sat. 1 und lancierte 2008 Radio 1. Seit Januar läuft seine Talkshow «Schawinski» auf Blue Zoom. Er lebt mit seiner dritten Ehefrau Gabriella in Zürich. Mit ihr hat er eine Tochter. Aus zweiter Ehe stammen ein Sohn und eine Tochter.

Zurück zu Ihrer Talkshow auf Blue Zoom. Greifen Sie eigentlich selber zum Hörer, um die hochkarätigen Gäste zu gewinnen?
Ja, die meisten Gäste buche ich natürlich selbst. In meiner ersten Staffel hatte ich bisher unter anderen Doris Leuthard, Toni Brunner, Sepp Blatter, Lukas Bärfuss, Cédric Wermuth, Emil, Eva Wannenmacher und Roman Kilchsperger – also recht hochkarätig für den Anfang, finde ich. Alle Sendungen kann man weiterhin bei Youtube abrufen.

Ein Talk auf Radio 1, eine Talkshow auf dem Sender Blue. Woher nehmen Sie Ihre Energie?
Dazu noch jede Woche den «Doppelpunkt» und «Roger gegen Markus», das Streitgespräch mit Markus Somm. Ausserdem leite ich Radio 1 als Geschäftsführer. Ja, es kommt einiges zusammen. Aber solange es Spass macht, ist es für mich keine zu grosse Belastung, sondern gibt mir sehr oft die Befriedigung, spannende Menschen zu treffen und dem Publikum hoffentlich etwas Besonderes bieten zu können.

Noch kennen nicht alle den Sender Blue. Schauen Sie gelegentlich sorgenvoll auf die Quote?
Blue Zoom ist noch nicht sehr bekannt, dabei ist der Sender in jedem Kabelnetz empfangbar, nicht nur bei Swisscom. In Sachen Promotion dieses Senders könnte man wirklich noch zulegen. Aber es gibt heute ja vielfältige Möglichkeiten eine TV-Sendung zu sehen, einige davon im Netz, so zum Beispiel bei Youtube.

Sie hatten kürzlich Emil Steinberger in Ihrem Talk auf Blue. Darin haben Sie ihn mit Bewunderung, aber auch etwas sorgenvoll gefragt, warum er das volle Programm mit fast 90 immer noch durchzieht. Sollte man irgendwann loslassen können?
Emil ist ein Vorbild, nicht nur für mich, sondern sollte es für sehr viele Leute sein. Offenbar macht er vieles richtig, wenn er in seinem Alter noch voll präsent ist, und zwar sowohl im Fernsehen als auch auf der Bühne. Die Sendung mit ihm hat mich sehr beglückt.

Der grosse Larry King als Beispiel war 77, als er mit seiner täglichen Show auf CNN aufhörte. Und Sie? Auch Sie werden bald 77.
Larry King wurde bei CNN gefeuert, weil seine Quoten in den Abgrund tauchten. Dann ging er zu RT, dem TV-Sender von Wladimir Putin, was wohl eine Verzweiflungstat war, die mich sehr irritiert hat. Nein, so etwas würde ich nicht tun. Da fühle ich mich bei der Swisscom eindeutig besser aufgehoben.

Sie sind fit und agil. Machen Sie sich trotzdem mal Gedanken darüber, dass das Leben endlich ist?
Aber sicher. Wir alle werden irgendwann bedeutungslos. Aber solange ich Daten und Namen noch abrufen kann und jeden Satz bis zum Punkt bringe, glaube ich, dass ich dem Publikum weiterhin zumutbar bin. Ich habe etwas Mühe mit dem grassierenden Altersrassismus. Wer holte im deutschen Fernsehen die klar höchsten Quoten seit vielen Jahren? Thomas Gottschalk mit «Wetten, dass..?». Es kommt also nicht darauf an, wie alt man ist, sondern wie gut man mit Gästen und Publikum kommunizieren kann. Und da sollten Thomas Gottschalk und Emil als leuchtende Vorbilder gesehen werden.

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