«Ich bin ein absoluter Fan von Tschugger»
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Sina im Interview:«Ich bin ein absoluter Fan von Tschugger»

Musikerin Sina über ihren landesweiten Hit
«Im katholischen Wallis durfte ein Pfarrer keinen Sohn haben»

Die Walliser Sängerin Sina (57) über ihre Biografie zum 30-jährigen Bühnenjubiläum, ihre beginnende Tour im Trio mit Ralf Schlatter (52) und Bänz Friedli (58) sowie drei Sachen, auf die sie sich dabei freut.
Publiziert: 07.01.2024 um 12:08 Uhr
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Aktualisiert: 08.01.2024 um 10:37 Uhr
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Daniel ArnetRedaktor Gesellschaft / Magazin

Blick: Sie sind bekannt dafür, dass Sie sich auf der Bühne immer wieder neu erfinden – von Ursula zu Ursina, dann Sina Campell und schliesslich Sina.
Sina:
Wer Teil der Musikszene bleiben will, kann sich nicht ständig wiederholen. Und ich bin auch nicht der Typ, der gerne in derselben Suppe schwimmt. Ich habe einen Beruf ausgewählt, der mich zwingt, agil zu bleiben.

Mit dem Buch «Sina – sich treu werden» feiern Sie dieses Jahr Ihr 30-jähriges Bühnenjubiläum, doch bereits 1983 gewannen Sie den ersten Platz beim Oberwalliser Schlagerfestival. Warum feiern Sie nicht 40 Jahre Bühnenerfolg?
Das ist eine Frage, die wir uns auch gestellt haben: Wollen wir die Wander- und Suchjahre integrieren? Ich habe dann entschieden, dass wir mit dem ersten Dialektalbum «Sina» von 1994 starten.

Ist Ihnen die Zeit als Sina Campell heute peinlich?
Nein, die Zeit als Schlagersängerin gehört zu meiner Biografie und ist im Buch auch Thema.

Sina Campell für Sina von Gampel im Wallis – wer kam auf dieses geniale Pseudonym?
Das war mein damaliger Manager. Ich war 17 Jahre alt, und er strebte mit englischen, französischen und deutschen Titeln eine internationale Karriere an.

1990 veröffentlichten Sie das Album «Mein Herz steht in Flammen» mit deutschen Schlagertiteln wie «Deine Augen», «Rote Rosen» und «Herzschlag» – die würden Sie heute wohl nicht mehr singen, oder?
Das war schon kurz nach den CD-Aufnahmen so. Die Sätze waren mir zu abgedroschen und klischiert. Ich hatte das Bedürfnis, meine eigenen Geschichten in meiner Mundart zu erzählen.

War Walliserdeutsch Ihre Rettung?
Wenn ich im Bernbiet auf die Welt gekommen wäre, hätte das kaum einen Unterschied gemacht. Aber ich wollte nicht die Distanz der englischen Fremdsprache, bei der einem Teile verwehrt bleiben. Ich wollte in die Tiefe.

Was heisst das konkret?
Ich wollte meine Muttersprache anwenden, mit dem Risiko, dass der eine oder die andere nicht alles versteht. Fürs Walliserdeutsch gibt es ein dickes Wörterbuch, darin gibt es verschiedene Ausdrücke für ein Wort, weil es in jedem Tal ein bisschen anders heisst oder ausgesprochen wird. Aus dieser Fülle wollte ich schöpfen.

2024: «Es wird ein heiter bis nachdenklicher Abend. Ein bisschen Glatteis ist auch dabei.»
Foto: Philippe Rossier

War Michel Villa mit «Der Tifel isch gschtorbe» von 1977 ein Vorbild?
Er war wichtig, weil er das Oberwalliser Schlagerfestival gegründet hatte, das ich gewann. Aber das Walliserdeutsch musste ich für mich selber entdecken. Da musste ich selber pfaden, da gab es keine Autobahn, auf der man mitrasen konnte.

Allerdings haben Sie mit dem Dialekt Ihre internationale Karriere verbaut.
Ja, ganz bewusst – und es tat mir keine Sekunde leid.

Doch ein Erfolg in der «Üsserschwiiz» war auch nicht gewiss.
Ich wusste, dass das Album «Sina» von 1994 meine letzte Chance war: Wenn das nicht klappt, werde ich wieder in meinem gelernten Beruf als Bankkauffrau arbeiten.

Hätten Sie das tatsächlich gemacht?
Ja! Wenn man so lange an etwas arbeitet und nichts daraus wird, dann soll es halt nicht sein. Es ist vielleicht der falsche Dialekt, die falsche Musik, die falsche Zeit – egal! Das hätte ich akzeptieren müssen. Es hat mir niemand eine Musikerinnenkarriere vorgelebt.

Aber es gibt doch Musiker in Ihrer Familie.
Ja, es gab Sänger und Sängerinnen, die Dorfmusik, mein Onkel war Dirigent, aber die haben das immer nur nebenher gemacht.

«Das erste Album verkauft sich über 50'000 Mal», schreiben Sie im Buch. «Und ich bin plötzlich Teil der Musikszene Schweiz.» Waren Sie überrascht?
Sicher! Ich wusste einfach: Letzte Gelegenheit! Und nachher schaust du, ob der Zug mit dir drin weiterfährt. Und es funktionierte!

Der Song «Där Sohn vom Pfarrär» vom Album «Sina» wurde ein landesweiter Hit, getextet vom Berner Polo Hofer. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?
Man musste ihn überzeugen. Er wollte den Dusty-Springfield-Song nicht ins Walliserdeutsche übersetzen, weil er fand, in der katholischsten Ecke der Schweiz könne man nicht eine derartige Geschichte erzählen. Er sagte, es gebe einen Aufstand.

Ursula Bellwald

Sina kommt 1966 als Ursula Bellwald in Visp VS zur Welt und wächst in Gampel VS auf. Ihre Mutter stirbt, als Ursula sechs Jahre alt war. In einem Kinderchor macht sie in den 1970er-Jahren erste musikalische Erfahrungen und nimmt gleichzeitig Gitarrenunterricht. Nach einer Ausbildung zur Bankkauffrau widmet sie sich voll der Musik, zunächst als Schlagersängerin Sina Campell. Den Durchbruch hat sie 1994 mit ihrem ersten Dialektalbum «Sina» und dem Hit «Där Sohn vom Pfarrär». Es folgt ein Dutzend weiterer Alben – zuletzt «Ziitsammläri» (2022) –, mit denen sie regelmässig Topplatzierungen in der Hitparade erreicht. Seit 2004 ist Sina mit dem Musiker und Produzenten Markus Kühne verheiratet und lebt beim Hallwilersee.

Philippe Rossier

Sina kommt 1966 als Ursula Bellwald in Visp VS zur Welt und wächst in Gampel VS auf. Ihre Mutter stirbt, als Ursula sechs Jahre alt war. In einem Kinderchor macht sie in den 1970er-Jahren erste musikalische Erfahrungen und nimmt gleichzeitig Gitarrenunterricht. Nach einer Ausbildung zur Bankkauffrau widmet sie sich voll der Musik, zunächst als Schlagersängerin Sina Campell. Den Durchbruch hat sie 1994 mit ihrem ersten Dialektalbum «Sina» und dem Hit «Där Sohn vom Pfarrär». Es folgt ein Dutzend weiterer Alben – zuletzt «Ziitsammläri» (2022) –, mit denen sie regelmässig Topplatzierungen in der Hitparade erreicht. Seit 2004 ist Sina mit dem Musiker und Produzenten Markus Kühne verheiratet und lebt beim Hallwilersee.

Den es auch gab: Walliser Privatradios spielten den Song nicht.
Richtig, zu Beginn: Im katholischen Wallis durfte ein Pfarrer keinen Sohn haben. Im Original der Amerikanerin Dusty Springfield ist es ein Baptistenprediger, der durchaus eine Familie haben durfte. Bei mir bekam der Song Sprengkraft.

Ist für Sie «Där Sohn vom Pfarrär» so etwas wie der «Kiosk» für Polo Hofer war – ein Song, dem man alles zu verdanken hat, den man aber nicht mehr hören kann und am liebsten nicht mehr spielen will?
Im Gegenteil! Je häufiger ich ihn singe, umso mehr habe ich das Gefühl: Momoll, ich habe ihn doch geschrieben (lacht). Es ist ein grossartiger Song, und ich habe ihn mir zu eigen gemacht.

Und Sie spielen ihn immer noch gerne?
Lieder, die die Menschen berühren, spiele ich selbstverständlich. Was kann man mehr wollen, als dass ein Song ein Teil im Soundtrack von Menschen ist?

Seit dieser Kollaboration arbeiteten Sie mit vielen Schweizer Pop- und Rockgrössen zusammen – von Patent-Ochsner-Frontmann Büne Huber bis Züri-West-Sänger Kuno Lauener. Wie schaffen Sie das?
Ganz einfach: Ich rufe sie an.

Kommt die Initiative immer von Ihnen?
Sehr oft. Für das «Duette»-Album von 2013 habe ich Musikerinnen und Musiker eingeladen. Und sie sind gekommen! Ich geniesse es aber auch, eingeladen zu werden, wie letztes Jahr von Dabu Fantastic, Seven und Stefanie Heinzmann.

Das gibt eine Wechselwirkung: Durch die Kooperation ziehen Sie auch Fans der Gastmusiker an.
Vielleicht hat das mein Management und meine Plattenfirma genauso analysiert. Mich interessiert zuerst die künstlerische und persönliche Verbindung, und da gehe ich immer vom Bauchgefühl aus.

«Es gab ein tiefes Gefühl des Sichverliebens, als wir zusammen sangen», wird Sänger Büne Huber im Buch zitiert. Spüren Sie das auch?
Es ist eine Intimität, ein zusammen Schwingen und eine Liebe, die ein paar Minuten dauert.

1990: «Die Zeit als Schlagersängerin gehört zu meiner Biografie und ist im Buch auch Thema.»

Wussten Sie immer, wie es künstlerisch weitergeht?
Es gab Zeiten, da fand ich, ich sei ausgeschossen – keine Themen mehr, musikalisch alles erzählt. Mit der Zeit erfuhr ich, dass jede Lebensphase neue Themen und neue Sichtweisen bringt. Dieses Jahr werde ich 58, und zwischen 50 und 60 passiert sehr viel. Das wird auf dem nächsten Album ein Thema sein.

Sie scheinen keine Mühe zu bekunden mit dem Älterwerden.
Frauen haben ab einem gewissen Alter in der Öffentlichkeit ein Ablaufdatum erreicht. Ich versuche, das mit Selbstironie und Humor zu nehmen – das ist der einzige Weg. Ich denke dabei sehr gerne an meine Schwiegermutter Helen.

Weshalb?
Sie fiel einmal in ihrem Garten hin und konnte nicht mehr aufstehen. Sie lag dort stundenlang und sang. Dann kam die Nachbarin und sagte: «Um Gottes willen, Helen, was machst du da?» Darauf sagte sie: «Ich habe den Tomatenstrauch noch nie von unten betrachtet.»

Ein wunderbares Beispiel für Selbstironie, aber funktioniert das immer?
Natürlich finde ich, sichtbar älter zu werden, eine Herausforderung. Und Frauen werden stärker nach Äusserlichkeiten bewertet. Doch kann ich das ändern? Nein, kann ich nicht. Ich kann höchstens etwas vorleben und zu meinem Alter stehen.

Anders als Madonna.
So eine fantastische Künstlerin! Aber dieses Nicht-Altern-Können, die Kraft, die sie braucht, um zu verhindern, dass es nicht sichtbar ist …

… tragisch!
Wenn man sich so verändert, dass man jünger aussieht als die Tochter, ist das psychologisch schon interessant.

Ihr Rezept dagegen?
Den Demütigungen des Alters kann sich niemand entziehen. Also konzentriere ich mich auf das, was ich beeinflussen kann. Und ich bin an diesem Ort, ich bin an einem guten Ort.

1994: «Man musste Polo überzeugen. Er wollte den Dusty-Springfield-Song nicht übersetzen.»

Ab nächster Woche touren Sie mit dem Programm «Songs und Gschichtä» von Ort zu Ort durch die Schweiz. Weshalb mit den zwei Kabarettisten Ralf Schlatter und Bänz Friedli?
Auf meinem letzten Album «Ziitsammläri» habe ich mit Schriftstellerinnen und Kabarettisten zusammengearbeitet. Und es gehört zu meinem Arbeitsprozess, dass aus einer Album-Produktion oft etwas Neues erwächst.

Was gibt es zu sehen und zu hören?
Es wird ein heiter bis nachdenklicher Abend. Ein bisschen Glatteis ist auch dabei. Ich gebe einen Tanz, obwohl ich nicht wirklich tanzen kann; Bänz singt; Ralf rappt – wir haben unsere Bananenschalen freiwillig verteilt.

Warum riskieren Sie diesen Rollentausch?
Ich bin zuverlässig von Zweifel begleitet, aber es interessiert mich, aus der Komfortzone herauszutreten und zu schauen, was in der Konstellation mit andern passiert.

Was passierte bisher?
Wir lernen viel voneinander und lachen oft miteinander. Das ist die beste Voraussetzung für einen Abend, der auch einmal entgleisen darf – es gibt Phasen, da ist Improvisation angesagt.

Haben Sie keinen Regisseur?
Nein, denn wir schauen mit einem kritischen Blick aufeinander und sagen uns gegenseitig, wenn etwas zu lang oder nicht lustig ist – wir sind ehrlich zueinander, aber immer sehr wertschätzend und liebevoll.

Welches Publikum wollen Sie ansprechen? Mehr Kabarett- oder Musikfans?
Natürlich alle! (Lacht.) Sicher kommen auch solche, die meine Musik hören und gewohnt sind, dass ich immer wieder mit neuen Projekten auftrete. Die freuen sich nun auf eine Konstellation, die es in dieser Art noch nie gegeben hat.

Worauf freuen Sie sich am meisten?
Drei Sachen: Erstens, die Reaktion des Publikums; zweitens, dass jeder Abend anders wird; und drittens, auf dem Bühnensofa zu sitzen und den anderen beiden zuhören zu können.

Tour «Songs und Gschichtä» mit Sina, Ralf Schlatter und Bänz Friedli, Premiere am 12. Januar im Casino Theater, Burgdorf BE; weitere Termine bis April auf sina.ch 

Biografie «Sina – sich treu werden», Geparden-Verlag, ab 10. Januar im Handel; Buchvernissage am 21. Januar im Klubsaal Kaufleuten, Zürich 

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