Mathieu Jaton beobachtet das riesige Gerüst der neuen Hauptbühne «seines» Montreux Jazz Festivals (MJF), die sich aus dem Genfersee erhebt. Dieses Metallgerüst wird das legendäre Auditorium Stravinski ersetzen, das während zweier Ausgaben renoviert wird. Mindestens.
Jatons Augen funkeln. Heute startet die 58. Ausgabe des Jazz Festivals, das mit 30 Millionen Franken budgetiert ist.
Lange hiess es, das Montreux Jazz Festival könne aufgrund seines Rufs jeden Künstler haben. Stimmt das noch?
Mathieu Jaton: Grundsätzlich, ja. Aber auch unsere Realität hat sich verändert, wie im ganzen Musikbusiness. Wir spürten die grossen Umbrüche, die alle in der Industrie kennen: der Einbruch des Plattenmarktes in den 2000er Jahren, die explosionsartige Zunahme der Tourneen oder – für uns als Festival – der Tod von Claude Nobs.
Ist ihr grösster Trumpf die Geschichte des Festivals?
Die Geschichte hilft sehr, ja. Das Montreux Jazz Festival ist eine Referenz für viele Künstler, auch für die jüngere Generation. Das gilt zum Beispiel für Rag'n'Bone Man, Sofiane Pamart, Alicia Keys oder Ed Sheeran. Bei unserem letzten Treffen erzählte mir Ed, dass er bei uns 2012 das Konzert von Chris Cornell eröffnet hatte. Die Auftritte in Montreux sind für sie echte Markenzeichen.
Man könnte auch sagen: Das Montreux Jazz Festival hat nur Vergangenheit zu bieten.
Natürlich nicht. Das Montreux Jazz Festival ist eines der wenigen Festivals, das eine Markenpolitik hat.
Was bedeutet das konkret?
Wir sind eine globale Marke. Früher wurden 97 Prozent bis 98 Prozent unserer Kosten durch die zwei Festivalwochen finanziert. Das wäre heute nicht mehr möglich.
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Bleiben wir beim Thema Geld. Was kostet der teuerste Künstler 2024 und wer ist es?
Das kann ich Ihnen nicht sagen. Aber ich kann Ihnen eine Grössenordnung nennen: Einige Hunderttausend Franken.
Nur?
(Lachen) Das ist schon ziemlich viel. Wir müssen einen kühlen Kopf bewahren. Wir können nicht einfach sagen: «Zu unserem 60. Geburtstag leisten wir uns etwas Verrücktes, wir knacken das Sparschwein und kaufen uns diesen oder jenen.» So würden wir die Büchse der Pandora öffnen: Die Agenten würden sofort sehen, wie viel wir ausgegeben haben, und in einer Welt, in der jeder auf Provisionsbasis bezahlt wird, würden die Preise noch weiter steigen. Wir lassen uns lieber eine Chance entgehen, als uns zu überbieten.
Die Gagen für Künstler übersteigen heute jedes Mass.
Ja, das Live-Musikgeschäft befindet sich in einer noch nie dagewesenen Spekulationsblase. Seit Jahren jammern alle darüber und trotzdem steigen die Gagen immer weiter.
Wo soll das enden?
Das entscheidet das Publikum. Und es gibt einige Anzeichen dafür, dass den Menschen die Luft ausgeht. Schauen Sie sich die Tournee von Taylor Swift an. Ihr Publikum in Paris soll zu 30 Prozent aus US-Amerikanern bestanden haben. Flug, Hotel und Ticket in Frankreich sind für sie billiger als in den USA eine Swift-Show zu schauen.
Schockiert Sie das?
Wenn Zuschauer über einen Ozean reisen, um ein Konzert zu besuchen, dann stimmt etwas nicht.
Mathieu Jaton ist seit 2013 Direktor des Montreux Jazz Festival. Der Waadtländer Kulturmanager schloss 1993 die Hotelfachschule in Lausanne ab und begann danach, für das Jazz Festival als Leiter Marketing und Sponsoring zu arbeiten. Nach dem Tod von Gründer Claude Nobs (1936–2013) übernahm er die Leitung.
Mathieu Jaton ist seit 2013 Direktor des Montreux Jazz Festival. Der Waadtländer Kulturmanager schloss 1993 die Hotelfachschule in Lausanne ab und begann danach, für das Jazz Festival als Leiter Marketing und Sponsoring zu arbeiten. Nach dem Tod von Gründer Claude Nobs (1936–2013) übernahm er die Leitung.
Ist das ein neues Phänomen?
Nein, aber es erreicht Ausmasse, die ungesund sind. Wichtig ist auch, festzuhalten, dass es vielleicht 20 Stars gibt, die diese Blase nähren. Alle Künstler, die nicht dazu gehören, haben zu kämpfen.
Aber auch Sie tragen zu dieser Spirale bei, wenn Sie wie letztes Jahr bei Bob Dylan Ticketpreise akzeptieren, die an Mietkautionen erinnern?
Ich bedaure dieses Bob-Dylan-Konzert. Wir wollten da eigentlich Sitzplätze und Stehplätze. Letztere hätten wir zu einem tollen Preis anbieten können. In letzter Minute verlangte die Produktionsfirma – unter Beibehaltung ihres finanziellen Anteils – nur Sitzplätze. Das führte dazu, dass wir von einer Kapazität von 3000 Personen auf 1500 reduzieren mussten. Die Folge: Tickets für 365 Franken und mehr. Unter diesen Bedingungen wird das Konzert zu einer elitären Erfahrung. Das stört mich. Ich will ein Gleichgewicht und wir werden auch in Zukunft darauf achten.
Gibt es einen Künstler, bei dem Sie sagen: «Wenn ich ihn nach Montreux bringe, kann ich in Frieden sterben»?
Es fällt mir schwer, diese Frage zu beantworten, weil ich schon lange kein «Fan» mehr bin. Ich muss kaltblütig sein, mein Ego beiseiteschieben und nicht mit dem Ziel programmieren, mir selbst zu gefallen.
Aber abgesehen von dieser sehr pragmatischen Sichtweise gibt es doch ein oder zwei Namen, die Sie mehr als genug reizen?
Sicher, wenn Keith Richards, der in Montreux gelebt und hier David Bowie kennengelernt hat, auf der letzten Tournee der Rolling Stones in Montreux Halt machen würde, wäre das ein Riesen-Erfolg! Aber selbst wenn die Band diesen Wunsch äussern würde, gäbe es sicher irgendeinen Manager, der dann fragen würde: «Ihr seid ja nett, aber wie finanzieren wir die zwei Millionen pro Tag?» (Lachen) Die Chancen, dass so etwas passiert, stehen eins zu tausend.
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