Mit seinem eigenen Song «I Need a Dollar» und seinem Mitwirken im Lied «Wake Me Up» des verstorbenen schwedischen DJ Avicii (1989–2018) erlangte Aloe Blacc (41) Weltruhm. Sieben Jahre lang hat der Amerikaner kein Album mehr veröffentlicht. Jetzt – während der Corona-Krise – erscheint «All Love Everything». Wir erwischten den Sänger frühmorgens (Westküstenzeit) per Skype in seinem Studio in Los Angeles.
SonntagsBlick: Bei Ihnen ist es gerade acht Uhr früh. Sind Sie ein Morgenmensch?
Aloe Blacc: Na ja. Meine Kinder wachen immer sehr früh auf, dadurch bin ich wohl ein Morgenmensch. Aber es ist schon früh, wenn es nach mir geht (lacht).
In weniger als einem Monat wählen die USA einen neuen Präsidenten. Sind Sie politisch engagiert?
Ich bezeichne mich als Artivisten – also als Künstler, der Aktivist ist. Ich will Menschen darüber aufklären, wie sie sich für die Abstimmung registrieren können. Das US-System ist sehr kompliziert, und die Republikaner versuchen seit Dekaden alles Erdenkliche, um das Wahlsystem zu manipulieren. Sie erschweren schwarzen und jungen Menschen den Gang zur Urne. Das ist alles belegt.
Inwiefern?
Ein Beispiel sind die College-Campus. Die Republikaner wollen nicht, dass junge Menschen im College abstimmen, weil die eher progressiv wählen. Also erlassen sie Gesetze, die es verbieten, ein Wahllokal auf einem Campus einzurichten. Und die jungen Menschen können den Ort nicht verlassen, weil sie ja Unterricht haben. Das macht doch keinen Sinn. Viele Kirchen von Afroamerikanern organisierten Busfahrten zu Wahllokalen, damit alle zur Abstimmung gehen konnten. Aber die Republikaner verboten, dass jemand anders für deine Fahrt bezahlen kann. Das macht mich echt sauer.
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Die Bewegung Black Lives Matter ist 2020 in aller Munde. Macht Sie das optimistisch für die Wahl?
Sie ist sehr wichtig, in der Bewegung geht es wirklich um Menschlichkeit. Sie zeigt, dass alle Menschen gleich behandelt werden sollen und alle Gerechtigkeit verdienen. Statistisch gesehen ist es ja noch so, dass weisse und schwarze Menschen von Polizisten tagtäglich anders behandelt werden.
Das ist ein globales Problem.
Klar. Es fing ja schon bei der Kongo-Konferenz 1885 an, als europäische Staatsmänner Afrika untereinander aufteilten. Das ist auch der Grund, wieso zwischen afrikanischen Staaten meist keine natürliche Grenze wie ein Fluss oder ein Berg existiert. Bis heute gibt es diese Ungleichbehandlung. Und es braucht viel Engagement und Zugeständnisse der jungen weissen Generation, um das zu beenden. Das Problem ist, dass viel Geld im Spiel ist und vor allem in Afrika und Amerika ganze ökonomische Strukturen um diese Ungleichbehandlung aufgebaut wurden. Die junge Generation muss bereit sein, diese fallenzulassen.
Haben Sie selbst schon Rassismus erfahren?
Klar, von klein auf. Als Neunjähriger wurde mir einmal vorgeworfen, ich hätte ein Velo geklaut, nur weil ich der einzige schwarze Junge in der Nachbarschaft war. Als Jugendlicher habe ich mit meinen Freunden am Strand gefeiert und wurde von Neonazis vertrieben. Und als Erwachsener wurde ich in meiner Zeit als Unternehmensberater von einigen weissen Vorgesetzten nicht wirklich ernst genommen.
Ist es in der Musikindustrie anders?
Na ja. Es ist schon seltsam, dass meine Pop-Songs, die ich veröffentliche, dann plötzlich unter dem Label «Urban» laufen. Das gehört alles zu diesem systematischen Rassismus, der aber nach und nach aufgebrochen wird, weil wir öffentlich darüber sprechen und Machtverhältnisse sich ändern. Das freut mich.
Durch Ihre Musik sind Sie um die ganze Welt gereist. Wie war die Corona-Reisepause für Sie?
Ich liebe es zu reisen, meine Musik der Welt zu präsentieren und bei meinen Fans zu sein. Aber dies ist eine gute Zeit, um bei meinen Liebsten zu sein. Meine Kinder sind noch sehr klein. Und ich finde es wichtig, dass sie sehen, wie es ist, wenn Papa immer daheim bei ihnen ist. Das ist der einzige Vorteil in dieser Zeit.
Hatten Sie jemals so viel Zeit für Ihre Familie?
Die Frage ist mehr, ob ich sie mir genommen habe. Meistens bin ich abwechslungsweise eine Woche weg und eine Woche wieder da. Wenn ich eine Tour in Europa habe, nehmen wir uns eine Ferienwohnung in Berlin, dann reise ich von dort aus. Das Gleiche habe ich in Australien gemacht. Aber meine Familie nehme ich nicht mit auf Tournee, das wäre für alle zu anstrengend.
Ist Ihre Familie auch der Grund, weshalb Sie für Ihr neues Album sieben Jahre gebraucht haben?
Ja, mein ältestes Kind ist sieben. Und ich wollte nicht einen Albumzyklus mit einer Tour erschaffen. Darum habe ich mich dazu entschieden, mit anderen Künstlern einzelne Lieder herauszubringen, viel Musik zu schreiben und einzelne Konzerte zu geben. Jetzt sind die Kinder eigentlich alt genug, damit ich so einen Albumzyklus angehen kann.
Sie sind seit zehn Jahren mit Ihrer Frau Maya Jupiter verheiratet. Ihr widmeten Sie den Song «I Do» auf dem Album. Was ist das Geheimnis Ihrer Beziehung?
Wir waren etwas älter, als wir uns getroffen haben, also gegen Ende 20. Wir hatten schon erfolgreiche Karrieren, sie im TV- und Radiobereich, ich in der Wirtschaftsbranche. Wir haben verstanden, dass wir als Personen gegenseitig sind und hatten viele gemeinsame Interessen und Erlebnisse. Beispielsweise haben wir beide eine Verbindung zur Latino-Community: Ihre Eltern sind Mexikaner, meine aus Panama. Hinzu kommt der Respekt, den wir füreinander haben.
Bleiben Sie noch immer zu Hause?
Ich bleibe auch jetzt noch zu Hause, nur für ein paar Aufnahmen musste ich raus. Dann haben wir aber Maske getragen und teilweise auch Corona-Tests zu unserer eigenen Sicherheit gemacht. Aber grundsätzlich habe ich hier mein eigenes Studio und muss kaum raus.
Was haben Sie durch die Corona-Zeit gelernt?
Wie verbunden wir miteinander sind. Früher dachte man ja, dass man nur mit Blut oder Spucke eine Krankheit weitergeben kann. Jetzt kommt das Atmen hinzu. Also hat man eine viel grössere Verantwortung, sich und seine Mitmenschen zu schützen. Ich denke, das rüttelt die Menschen für ein neues Miteinander auf und verbindet. So dass wir miteinander besser und respektvoller umgehen.
Wegen Konzertabsagen sind Musiker stark von der Corona-Krise betroffen. Spielten Sie mit dem Gedanken, wieder als gut verdienender Unternehmensberater zu arbeiten?
Nein, ich glaube nicht, dass ich jemals wieder dorthin zurückkehren sollte. Mich reizt wohltätige Arbeit viel mehr. Ich spende viel, ich engagiere mich für gute Zwecke. Und um an Geld zu kommen, ist die Musik ein Weg. Aber was ein Dr. Dre mit seinem Kopfhörer-Unternehmen geschafft hat, finde ich sehr bewundernswert. Ich will als Musiker einen neuen Ertragszweig finden, um mich noch mehr für das Wohl von Mutter Erde einzusetzen.
Aloe Blacc (bürgerlich Egbert Nathaniel Dawkins III) startete seine Musikkarriere als Hip-Hop-Künstler, während er Linguistik und Psychologie studierte und später als Unternehmensberater arbeitete. 2010 wurde sein Lied «I Need a Dollar» zur Titelmelodie der Serie «How to Make It in America», woraufhin der Song Blacc weltweit bekannt machte. Durch die Zusammenarbeit mit dem verstorbenen schwedischen DJ Avicii festigte der US-Amerikaner aus Kalifornien mit Wurzeln in Panama seinen Platz im Musikbusiness. Blacc lebt mit seiner mexikanisch-australischen Frau Maya Jupiter und seinen zwei Kindern in Los Angeles.
Aloe Blacc (bürgerlich Egbert Nathaniel Dawkins III) startete seine Musikkarriere als Hip-Hop-Künstler, während er Linguistik und Psychologie studierte und später als Unternehmensberater arbeitete. 2010 wurde sein Lied «I Need a Dollar» zur Titelmelodie der Serie «How to Make It in America», woraufhin der Song Blacc weltweit bekannt machte. Durch die Zusammenarbeit mit dem verstorbenen schwedischen DJ Avicii festigte der US-Amerikaner aus Kalifornien mit Wurzeln in Panama seinen Platz im Musikbusiness. Blacc lebt mit seiner mexikanisch-australischen Frau Maya Jupiter und seinen zwei Kindern in Los Angeles.
Ihr Erfolg ist in der Schweiz grösser als in anderen Ländern. Welche Beziehung haben Sie zu unserem Land?
Die Schweiz gehört zu meinen liebsten Ländern. Es war eines der ersten Länder, die ich besucht habe, als ich Anfang der 2000er-Jahre Hip-Hop-Künstler war. Und auch in diesem Jahr, als ich mit «Art on Ice» durch die Schweiz touren durfte, sah ich wieder, wie wunderschön die Landschaft ist und wie nett die Menschen sind. Ihr habt echt coole Städte und wunderschöne Panoramen. Die Schweiz gehört zu meiner Top-Auswahl, wenn es darum geht, wo ich Zeit verbringen will. Vielleicht wohne ich ja mal da, wie Tina Turner.
Einer Ihren grössten Hits ist «Wake Me Up» mit dem verstorbenen schwedischen DJ Avicii. Nervt Sie die Frage nach ihm mittlerweile?
Kurz nach seinem Tod war es hart, darüber zu sprechen. Aber ich finde es wichtig, seine Arbeit noch immer zu würdigen und weiterzuführen. Es ehrt mich, dass ich in der Position bin, das zu tun.
Gibt es noch unveröffentlichte Lieder mit Avicii, die Sie veröffentlichen wollen?
Die gibt es. Viele davon finden sich jetzt im Internet. Ich glaube, er hat zu Lebzeiten schon viele seiner Lieder mit anderen Menschen geteilt, um deren Meinungen zu erfahren. Vielleicht werden wir sie noch veröffentlichen. Wenn sie sowieso im Internet sind und Avicii mit den Songs derart zufrieden war, dass er sie anderen gezeigt hatte, warum sollten wir sie dann nicht veröffentlichen?