Für einmal interviewt Blick eine Blick-Journalistin – und bleibt deshalb beim Duzis. Der Grund: Silvia Tschuis Roman «Jakobs Ross» über das Leben der musikbegabten jungen Magd Elsie kommt heute in die Kinos.
Was würde Elsie dazu sagen, dass ihr jetzt ganz, ganz viele Menschen beim Singen zuhören?
Silvia Tschui: Sie würde lachen, sich um sich selbst drehen, würde die Leute dazu bringen, höhere Sprünge beim Tanzen zu machen, als sie es eigentlich können und sie würde sich zum Schluss tief verbeugen. Und insgeheim würde sie wissen, dass sie es verdient hat.
Wie fühlt es sich für dich als Autorin an, dass dein Stoff verfilmt wird?
Surreal. Es ist ein Ausnahmefall, auf den man kaum zu hoffen wagt. Ein bisschen wie ein Lottogewinn. Am besten fühlt es sich an, dass die Geschichte weitergeht, dass sie weiterhin unterhält, und dass die Leute, die am Film gearbeitet haben, durch eine Idee von mir für eine Zeit lang ihre Miete zahlen konnten. Dass sich andere Menschen so intensiv mit etwas beschäftigt haben, das meinem Hirn entsprungen ist, ist wohl das grösste Kompliment, das eine Autorin erhalten kann.
Wie viel Mitspracherecht hattest du bei der Umsetzung?
Ich habe die Rechte verkauft. Ich wurde von der Produktionsfirma Turnus gefragt, ob ich das Drehbuch schreiben wolle, habe das aber abgelehnt. Film ist ein ganz anderes Medium, das vielleicht anders funktioniert als Literatur. Deshalb dachte ich, ich lasse das Elsie und das Ross weitergaloppieren – auch weil ich da bereits am nächsten Romanstoff sass. Nach ca. 150 Lesungen mit dem Elsie, ihrer Geige, dem Jakob und dem Ross brauchte ich eine Pause. Ich konnte aber die letzte Drehbuchfassung sichten und kommentieren. Einige der Kommentare sind in den Film eingeflossen.
Bist du zufrieden mit der Besetzung des Films?
Ich glaube, kein Autor kann je mit einer Besetzung «zufrieden» sein. Man kennt jede Körperhaltung, den Gang, jeden Gesichtsausdruck einer Figur auswendig. Dem kann das beste Casting nicht entsprechen. «Mein» Elsie der Bühnenversion des Theater Neumarkts im Jahr 2014 fand ich zunächst völlig falsch besetzt, dann war Mirjam Strübl grossartig. Und genauso geht es mir mit der wunderbaren Luna Wedler, und so wird es mir bestimmt auch mit den Schauspielern der Berliner Bühnenfassung gehen, die Ende dieses Monats von der Regisseurin Sophie Bischoff auf der Bühne der Ernst-Busch-Akademie gezeigt wird. Die Version auf der Bühne, im Film, ist eben nicht mehr «mein» Elsie – und kann dabei aber genauso grossartig, schwach, stark, lieb, hinterhältig, genial und frustrierend, blöd und zerrissen sein.
Silvia Tschui (49) hat nebst Germanistik auch Grafikdesign, Illustration und Animationsfilm studiert und in diesen Berufsfeldern in London gearbeitet. Seit 2007 arbeitet sie als Journalistin und Autorin, seit 2013 bei Blick. Silvia Tschui lebt mit ihrem Sohn in Zürich.
Silvia Tschui (49) hat nebst Germanistik auch Grafikdesign, Illustration und Animationsfilm studiert und in diesen Berufsfeldern in London gearbeitet. Seit 2007 arbeitet sie als Journalistin und Autorin, seit 2013 bei Blick. Silvia Tschui lebt mit ihrem Sohn in Zürich.
Tut das auch etwas weh, weil man ja alles aus der Hand geben muss?
Ja. Und gleichzeitig freut man sich auch, dass alles eine neue Interpretation findet. Es ist eine seltsame Gefühlsmischung. Hauptsächlich bin ich dankbar und froh!
Wie kam diese Geschichte der Magd Elsie zu dir?
Es gibt einen Kern Familiengeschichte – ein Pferd und ein Pächter spielen auch da eine Rolle. Aber eigentlich wollte ich einen grossen Schweizer Familienroman schreiben, der über Generationen handelt und die heutige Befindlichkeit von Schweizern in der Schweiz sozusagen erklärt. Nur haben die fiktiven Charaktere der Urgrosseltern-Generation übernommen und auf ihrem eigenen Buch bestanden. Den Generationenroman habe ich dann im zweiten Roman «Der Wod» geschrieben.
Du bist in der Recherche eingetaucht, in die müffelige Welt des 19. Jahrhunderts in der Schweiz. Gibt es Dinge, die sich seither nicht geändert haben?
Das 19. Jahrhundert war keineswegs für alle «müffelig». Vielmehr war es eine aufregende, von Umbrüchen gezeichnete Zeit zwischen Tradition und beginnender Industrialisierung, von Strukturen, die aufbrachen und viele neue Träume und Chancen eröffneten, viele aber auch aus der Bahn warfen. Also eigentlich genauso wie heute in Zeiten von Globalisierung und künstlicher Intelligenz. Was gleich geblieben ist: Ohne Bildung und ohne Geld gehts einem mies, insbesondere als Frau. Und welche absurden Rollen gesellschaftlich von Frauen erwartet werden – da gäbe es nach wie vor grosses Verbesserungspotential.
Du hast eine ganz spezielle Sprache für das Buch entwickelt. Wie gingst du dabei vor?
Ich ging nicht vor, «es» ging mit mir vor. Ich habe immer wieder versucht, das Buch auf Hochdeutsch zu schreiben, um auf dem deutschen Markt vielleicht auch noch ein paar Bücher verkaufen zu können. Aber es ging nicht. Die Charaktere haben sich geweigert. Sie wollten in einem halbvergessenen Züritüütsch des späten 18. Jahrhunderts erzählt werden. Ich kannte das teilweise aus meinem Germanistikstudium fragmentweise, teilweise aber auch aus frühester Kindheit aus damals bereits altertümlichen Sprechweisen meines Grossvaters – der diese Ausdrücke wiederum von seinen Grosseltern hatte. Dies verwoben mit einer ungelenken Art Hochdeutsch, so als würde ein Schweizer Schulkind mit rudimentärster Bildung seine Geschichte erzählen.
«Jakobs Ross» war ein Bestseller. Bist du reich geworden?
Nein. Aber ich habe schon etwas Geld verdient. Ich hätte vielleicht zwei, maximal drei Jahre vom Geld, das ich mit «Jakobs Ross» verdient habe, leben können, wenn ich eine Art WG-Studentenleben geführt hätte. Mit Kind ist das nichts für mich. Ich glaube, die meisten Schweizer Autorinnen, die von ihren Büchern leben können, es sind wohl sehr wenige, haben keine Kinder. Ruth Schweikert war eine Ausnahme.
Es gibt Autorinnen und Autoren, die beim Schreiben bereits an eine filmische Umsetzung und in entsprechenden Bildern denken. Bist du dieser Schreibtyp?
Ich habe ursprünglich – neben, respektive nach – Germanistik auch Grafikdesign, Illustration und Animationsfilm studiert und in diesen Berufsfeldern in London gearbeitet. Ich denke und fühle und arbeite natürlich visuell. Aber bewusst tue ich das nicht.
Seither hast du mit «Der Wod» einen weiteren Roman veröffentlicht. Wird der auch verfilmt?
Na, ich hoffe doch schwer!
Was liest man als Nächstes von dir?
Artikel in dieser Zeitung! Aktuell arbeite ich auch an einer sehr schönen Auftragsarbeit, an einem Libretto – das ist der Text und die Geschichte einer Oper – für das Opernhaus Zürich. Voraussichtliche Premiere ist 2028. Denselben Stoff möchte ich schon lange auch als Roman bearbeiten – aber das Opernhaus ist bis jetzt dieser Arbeit zuvorgekommen.
Jakobs Ross, ab sofort in den Kinos und als Roman erschienen bei Nagel & Kimche, 2014
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