Der Dokfilm «Operation Silence – Die Affäre Flükiger» von Werner Schweizer (68) zeigt den mysteriösen Fall des Berner Offiziersaspiranten Ruedi Flükiger (1956–1977) in einem neuen Licht und beweist, dass die Realität oft aufregender ist als jede Fiktion. Am 16. September 1977, mitten in der heissesten Phase des Jura-Konflikts, verschwindet Flükiger während eines Nacht-OL auf dem Waffenplatz Bure JU. Eine grossangelegte Suchaktion, bei der die Armee sogar einen Wahrsager einsetzt, bleibt ergebnislos. Die Bundesanwaltschaft ermittelt, Bundesrat Kurt Furgler (1924–2008) schaltet sich persönlich ein.
Am 13. Oktober 1977 findet ein Jäger Flükigers Leiche neun Kilometer entfernt auf französischem Boden – von einer Handgranate zerfetzt. Die Militärbehörden sprechen von Suizid, doch Flükigers Angehörige glauben nicht daran. «Das stinkt ja zum Himmel», sagt eine der Schwestern im Film. Auch die Medien sind skeptisch und suchen nach Alternativen. Einerseits könnte die separatistische «Groupe Bélier» ins Verschwinden involviert gewesen sein. In einem anonymen Bekennerschreiben ist denn auch von einer missglückten Entführung die Rede.
Blick bringt die RAF ins Spiel
Filmemacher Schweizer konfrontiert den damaligen «Bélier»-Chef in der Ajoje, Patrick Buchwalder. «Eine solche Entführung hätte nicht zur DNA der Gruppe gepasst», sagt Buchwalder. Auch nicht zur radikaleren «Front de libération jurassien», die durchaus mit gewalttätigen Aktionen in Erscheinung trat. Buchwalder hält die Bélier-Fährte für «antijurassische Propaganda» und das Bekennerschreiben für fingiert.
Eine weitere Linie führt nach Deutschland. Nach der Beerdigung von Flükiger berichtet Blick erstmals über einen möglichen Zusammenhang zum Tod von Hanns Martin Schleyer (1915–1977). Am 18. Oktober 1977 wird die Leiche des von der RAF entführten deutschen Wirtschaftsfunktionärs bei Mulhouse (F) entdeckt, nur rund 50 Kilometer von Flükigers Fundort entfernt. «Musste Aspirant Flükiger wegen Schleyer sterben?», lautet die entsprechende Blick-Schlagzeile. Dass die RAF tatsächlich auch im Jura aktiv ist, wird spätestens durch die Schiesserei vom 2. Dezember 1977 beim Grenzübergang in Fahy JU klar, als Gabriele Kröcher-Tiedemann (1951–1995) und Christian Möller acht Schüsse auf zwei Grenzwächter abgeben.
In minutiöser Kleinarbeit geht Schweizer (68) im Film den früheren Spuren nach. Weil Flükigers drei Schwestern zwar über ihren Bruder sprechen, aber nicht im Bild erscheinen wollten, werden sie von der Berner Schauspielerin Sonja Riesen (45, «Der Goalie bin ig») verkörpert. Das verleiht dem Werk zusätzliche Kraft. Unter dem Strich zeigen Schweizers Recherchen, dass die offizielle Version «Selbstmord» wohl nicht haltbar ist und die Handgranate erst nach Flükigers Tod explodierte. Der frühere Truppenarzt Jean-Luc Eberlin sagt im Film: «Ein Suizid ist schlicht nicht vorstellbar.» Flükigers Leiche müsse mindestens zwei Stunden nach Eintreten des Todes mit einer Zusatzladung in die Luft gesprengt worden sein, damit sich ein solches Bild ergebe.
Welches Lied sang die weisse Amsel?
Als der Film bereits im Schnitt ist, öffnet sich ein weiteres Feld. Schweizer werden Tonbänder aus einer anonymen Quelle übergeben. Sie stammen von einem Verhör mit einem Komplizen von Joseph Juillard (gestorben 2014). Dieser als «Babar» oder «le merle blanc» – die weisse Amsel – bekannte, berühmt-berüchtigte jurassische Infanterie-Hauptmann stahl der Armee bei verschiedenen Einsätzen in grossem Stil Waffen und Handgranaten, die er später an französische Kriminellen verhökerte. In den Aufnahmen wird auch über Flükiger gesprochen. Diese Aussagen stützen die These, der Soldat könnte auch rein zufällig in eine Waffen-Übergabe gelaufen sein und die Täter hätten ihn mit einem Polizisten oder Zöllner verwechselt.
Flükigers Tod beschäftigt seine Angehörigen noch jahrzehntelang. «Das ist das Schwerste, was uns der Herrgott auferlegt hat», hört eine der Schwestern die Eltern einmal sagen.
Sein Grab in Jegenstorf BE wird nach 25 Jahren ordnungsgemäss aufgelöst. Zusammen mit Werner Schweizer pflanzt Sonja Riesen deshalb am Ende des Films beim Fundort der Leiche einen Baum zum Gedenken an Ruedi Flükiger. Es ist die einzige versöhnliche Szene in einer Geschichte voller Zorn, Gewalt, Unruhe und ungeklärten Rätseln.