Als Legende der Popkultur gilt er. Von sich selber dachte «Playboy»-Gründer Hugh Hefner noch grösser: Ein wesentlicher Protagonist der sexuellen Revolution sei er gewesen – «ich war und bin ein Befreier». Und genau als das wurde er gefeiert, als er 2017 im Alter von 91 Jahren starb. Als Ikone.
Aufgewachsen ist Hefner, wie er selbst sagte, in einer verklemmten, puritanisch-methodistischen Familie. Er studierte Psychologie. Lanciert 1953, nach eigenen Angaben aus seiner ewigen Suche nach Liebe heraus, den «Playboy». Auf dem ersten Cover: Marilyn Monroe, freizügig. Es war der Startschuss für ein Männermagazin, das die Welt eroberte. Es ging um Zigarren, Autos und Mode, garniert mit Herrenwitzen und hochkarätigen Interviews. Die Frauen in Hefners Welt waren: Hasen. Es funktionierte.
Auf dem Höhepunkt seines Ruhms kaufte Hefner sich 1971 die Villa Mansion. Ein Anwesen mit 29 Zimmern, eigenem Kino, Bibliothek, Weinkeller. Er feierte opulente Partys mit exklusiven Gästen. Die Häschen stets dabei. Mit der ständigen Verfügbarkeit von harter Pornografie für die Masse kam dann der Untergang des «Playboys». Was früher für Aufsehen sorgte, war nun harmlos. Hefner aber wurde im Alter durch die Serie «The Girls of the Playboy Mansion» zum Reality-Star. Es zeigte sein Leben mit jungen blonden Frauen. War er früher legendär, wurde er im Alter zur Ikone.
Die Dokumentation «The Secrets of Playboy» die am Montag anläuft, benennt nun, was Hefner wirklich war: ein Mann, der Frauen sexuell und psychisch missbrauchte – sie mit Medikamenten gefügig machte. Seine Villa Mansion? «Eine Hölle.»
Zeitlebens wollte das niemand sehen. Die Männer schauten fasziniert zu, wie er Frauen zu Häschen machte, dabei an Ansehen und Geld gewann und von sexueller Befreiung redete. Es ist ein Trick des Patriarchats: Frauen zu degradieren und das als Geschichte weiblicher Ermächtigung zu erzählen.
«Wir werden nie mehr dieselben sein»
Jetzt, da Hefner tot ist, erzählen die Frauen. «Niemand weiss, was wir durchgemacht haben und wie es sich anfühlt, ein 18-jähriges Mädchen mit einem 83 Jahre alten Mann zu sein. Und ihm mit deiner Zwillingsschwester Oralsex zu geben. Das ist etwas, was du nicht vergessen kannst», so die Zwillinge Kristina und Karissa Shannon (32), die drei Jahre die Freundinnen von Hefner waren. Beide leiden unter einer posttraumatischen Belastungsstörung. «Wir waren erst 18 und hatten keine Ahnung, in was wir da gerieten. Wozu wir im Schlafzimmer gezwungen wurden, hat uns ruiniert. Und wir werden nie wieder dieselben sein.»
Oder Sondra Theodore (65), die Ende der 70er und Anfang der 80er in der Villa lebte: «Er hat mich eingeritten und gebrochen, wie man ein Pferd einreitet. Er hat mir am Ende nur noch Angst gemacht.» Lisa Loving Barrett, Hefners ehemalige Privatassistentin, erzählt von Hefners Vorratslager an Beruhigungspillen: «Sie galten in der Playboy-Villa als ‹Beinebreitmacher›, weil die Frauen alles gemacht haben, wenn sie unter dem Einfluss der Pillen standen.» Und so geht es immer weiter. Hefners ehemaliger Chauffeur berichtet von den sogenannten «Schweine-Nächten». Da liess Hefner sich von einem Zuhälter sechs «besonders hässliche» Prostituierte liefern. «Diese wurden von einem Arzt untersucht, ob sie irgendwelche Krankheiten haben. Dann mussten seine VIP-Freunde mit den Prostituierten Sex haben.» Hefners ehemalige PR-Chefin Miki Garcia (74) sagt: «Es war wie in einer Sekte. Die Frauen wurden im Glauben gelassen, Teil der Familie zu sein. In Wirklichkeit glaubte Hefner, dass er diese Frauen besass. Wir hatten Playmates, die an Überdosen gestorben sind, und andere, die Selbstmord begangen haben.»
Holly Madison ist es, die die Villa Mansion als Hölle bezeichnet. Holly Madison? War das nicht die Frau, die Hefner in der Reality-Show der 90er-Jahre Küsschen gab und «love you» flüsterte? Exakt. Das ist sie. Ihre Geschichte geht so: Als sie an die Tür der Villa Mansion klopfte, war sie kurz vor der Obdachlosigkeit. Sie sah keinen anderen Ausweg.
Die erste Nacht war traumatisch: Sie war betrunken, der Sex mit Hefner nicht gewollt.
Sie blieb, weil sie es ohnehin nicht ungeschehen machen konnte, wie sie sagt.
Wehren sich Frauen gegen Ausbeutung, wird es gegen sie verwendet. Die US-Frauenrechtlerin Gloria Steinem kennt das. Die heute 87-Jährige hat als junge Journalistin undercover im «Playboy»-Universum recherchiert. Was sie noch heute hört, wenn jemand sie diskreditieren will: Du warst ein «Playboy»-Häschen! Und wie war es bei den Frauen, die ihre Stimme fanden und gegen Jeffrey Epstein aussagten? Prostituierte! Haben ja Geld dafür bekommen, müssen jetzt nicht so tun, hiess es.
Die Mitwisser schwiegen
Zuerst der Missbrauch, dann die Beschämung. Bloss: Gesehen, was geschehen ist, haben viele. Sowohl bei Hugh Hefner, der Partys mit allerlei exklusiven Gästen feierte, wie auch Jeffrey Epstein und seinen Sexhandelsring, der neben Prinz Andrew auch mit Bill Clinton, Bill Gates und unzähligen anderen mächtigen Männern befreundet war. Weshalb drang nichts davon an die Öffentlichkeit?
«The Secrets of Playboy» hat eine Erklärung: Hefner lud regelmässig die bekanntesten Journalisten zu «Playboy»-Partys ein. Diese wurden, ohne dass sie es wussten, mit versteckten Kameras gefilmt. Ex-Playmate Sondra Theodore sagt: «Am Ende haben sie immer etwas getan, was sie bereut hätten, wenn es an die Öffentlichkeit gekommen wäre. Hef hatte sie also in der Tasche.»
Neben Monroe im Grab
Nach all der Korrumpierung und dem Missbrauch bleibt die Frage: Warum gelingt es Männern, die Frauen missbrauchen, die Geschichte umzudeuten? Es als etwas Gutes zu verkaufen? Denn Hefner ist kein Einzelfall. Der 1972 erschienene Pornofilm «Deep Throat» gilt noch heute als Kult und die mittlerweile verstorbene Hauptdarstellerin Linda Lovelace als Ikone der sexuellen Befreiung. Sie selber allerdings schilderte ihr Leben als eine Aneinanderreihung von sexueller Gewalt und Erniedrigung. Den Kultporno drehte sie teils mit einer Waffe am Kopf. Gezeigt wird «Deep Throat» noch heute an Film- und Kunstfestivals.
Die freizügigen Bilder von Marilyn Monroe, die Hefners Startschuss zum «Playboy»-Erfolg waren, entstanden übrigens vor ihrer Karriere. Aus finanzieller Not heraus. Sie bekam 50 Dollar dafür. Hefner kaufte sie dem Fotografen für 500 Dollar ab. Heute liegt Hefner im Grab neben Monroe. Er hat es sich zu Lebzeiten für 75'000 Dollar gesichert. «Die Ewigkeit neben Marilyn zu verbringen, ist eine zu schöne Vorstellung, um ihr zu widerstehen», liess er sich zitieren. Monroe selber kam nie mit ihrem Image als Sexikone zurecht. Sie starb mit 36 Jahren, vermutlich Suizid. Monroe hatte weder eingewilligt, auf dem Cover des ersten «Playboys» zu erscheinen, noch jemals auch nur einen Dollar dafür bekommen.
Die Serie kann man auf Crime + Investigation sehen