Nein, Matthias Schweighöfer (41) ist keiner, den man per se in einem Netflix-Flüchtlingsdrama erwartet. Den mehrfache Bambi-Preisträger kennen die meisten aus typischen deutschen Komödien geläufig. Seine Situationskomik machte den Schauspieler auch zu einer gern gesehenen Ergänzung des Komiker-Duos Joko & Klaas. Sein auffälliges, ansteckendes Lachen ist längst zu seinem Markenzeichen geworden.
Auffällig: In den letzten Jahren hat Schweighöfer fast ausschliesslich ernste Rollen angenommen, vor allem in Kriegsfilmen. Auch «The Swimmers» thematisiert Krieg, hier tritt der Deutsche aber nicht als Soldat, sondern als Schwimmlehrer Sven in Erscheinung. Der echte Sven (41) sitzt beim Interview mit Blick übrigens auch im Raum – er heisst mit Nachnamen Spannekrebs, lebt in Berlin-Spandau und hat die 2015 aus Syrien geflüchtete Yusra Mardini (24) ein Jahr später sensationell zu den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro gecoacht.
«So eine Geschichte muss immer her»
Schweighöfer kommt im lachsfarbenen Anzug zum Interview, mit lässigen Sneakers bricht er den schicken Look gekonnt – in «The Swimmers» trägt er vornehmlich Trainingsjacke und Jogginghose. Der «Bullyparade»-Star erzählt angeregt von seinem ersten Treffen mit dem «richtigen» Sven. Er und Spannekrebs hätten zwar keinen Kaffee zusammen getrunken, sich die Sportanlage, in der er Yusra Mardini für Olympia vorbereitete, aber genauestens angeschaut. «In diesen Räumen ist ja viel Geschichte passiert», erklärt Schweighöfer und spielt vor allem auf das Zimmer an, in der Mardini mit ihrer Schwester Sarah nach ihrer anfänglichen Unterbringung im Flüchtlingszentrum wohnten. Es wird deutlich, dass ihm eine minuziöse Vorbereitung für die Rolle wichtig war, die Story liegt ihm persönlich am Herzen.
Dann spricht Schweighöfer eindrücklich von der Szene des Films, die ihm noch immer Gänsehaut beschert. Es ist der Moment, als das Schwesternpaar Mardini nach ihrer gefährlichen Flucht von der Türkei über die Ägäis auf Lesbos ankommt – als die Kamera langsam rauszoomt, ist ein Meer von Schwimmwesten und Rettungsringen zu sehen, das die Geflüchteten nach ihrer Passage zurückgelassen haben. Man denke zuerst, das sei ein Film aus dem 19. Jahrhundert, Szenen aus der Vergangenheit, erklärt Schweighöfer diesen Moment. «Dann muss ich mich manchmal kneifen und sagen: ‹Das ist jetzt! Das ist kein Witz, das passiert nebenan.›» Damit spielt er auf die nach wie vor Tausenden an, die sich tagtäglich über die lebensgefährliche Mittelmeer-Route auf die Suche nach einer besseren Zukunft machen. «So ein Film muss immer her», fordert der Filmstar. Ihm geht es offensichtlich nicht um die reine Zuschauerzahl, sondern um die Thematik, der er einen grossen Stellenwert beimisst.
«Ich musste immer so nett bleiben!»
«The Swimmers» ist mitnichten eine Komödie à la «Schlussmacher», in der Schweighöfer 2018 den Chef einer Trennungs-Agentur spielte – und doch impft der Deutsche dem Film als Schwimmlehrer Sven eine gehörige Portion Leichtigkeit ein. Angesprochen auf die grössten Herausforderungen während der Dreharbeiten, antwortet Schweighöfer wie aus der Pistole geschossen: «Ich musste immer so nett bleiben.» Er habe zwar durchaus auch mal «ernstere Töne» anschlagen wollen, habe dann aber verstanden, wieso er durchs Band den «netten Sven» habe spielen müssen: «Das war irre schwer, Sven hat mir gesagt, dass es doch ab und zu mal geknallt hat – aber es braucht am Ende auch dieses Licht, es ist eben doch eine schwere Thematik.»
Obwohl Schweighöfer alias Sven einen jovialen Typen darstellt, ist es dem 41-Jährigen wichtig, einen weiteren Appell an das Publikum zu richten, um zu versuchen, das Elend von Geflüchteten wenigstens ein bisschen zu mindern: «Ihr könnt schon in der eigenen Strasse anfangen, schaut mal nach links oder rechts.» Auch ihm ist bewusst, dass solche Glücksgeschichten nicht an der Tagesordnung sind – diese Sichtweise passt zum neuen Schauspielimage des Matthias Schweighöfer, den man zukünftig gerne noch öfter in ernsten Rollen sehen möchte.
«The Swimmers» läuft momentan im Rahmen des Zurich Film Festival, ab 23. November dann voraussichtlich auf Netflix.