Kirsten Dunst (41) war elf Jahre alt, als sie die Rolle der Claudia im Film «Interview mit einem Vampir» ergatterte. Ihr Charakter ist ebenfalls ein Vampir, eine erwachsene Frau, gefangen im Körper eines Kindes. Wer jedoch ein erwachsener Vampir ist und auch so aussieht, ist Louis de Pointe du Lac, der Charakter, der im Film von Brad Pitt (60) gespielt wird. Und dieser war zum Zeitpunkt des Drehs 1994 bereits 30 Jahre alt. An sich klingt das bisher alles harmlos – doch in einer Szene küsst Claudia Louis. Um die Situation zu verdeutlichen: Ein elfjähriges Mädchen küsst einen 30-jährigen Mann. Das löste bereits damals einen Skandal aus und Kirsten Dunst erinnert sich: «Das war eklig.»
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Dürfen Erwachsene Kinder im Film küssen?
Doch wie sieht es rechtlich in so einer Szene aus? Wir haben mit den Intimitätskoordiantorinnen Ximena Sànchez und Désirée Wenger über dieses heikle Thema gesprochen. Intimitätskoordinatoren sind an Filmsets oder bei Theaterproduktionen essentiell, wenn in diesen intime Handlungen vorkommen. «Dazu gehören physischer Intimität, simulierte sexuelle Handlungen und partielle oder ganzheitliche Nacktheit», erklärt Désirée Wenger. Es sei wichtig, dass sich die involvierten Personen wohlfühlen und nichts tun müssen, was sie nicht wollen. Intimitätskoordinatoren sind dafür da, den Schauspielerinnen und Schauspielern in entsprechenden Szenen zu helfen, die Illusion einer Handlung zu erzeugen, ohne, dass man eine Grenze überschreitet. Ausserdem üben sie im Vorfeld mit den Schauspielerinnen und Schauspielern, um mit ihnen herauszufinden, ab welchem Zeitpunkt sie sich mit einer Handlung oder in einer Situation unwohl fühlen – körperlich als auch psychisch.
«Es gibt viele Möglichkeiten, wie Intimitätskoordinatoren die Tricks und Magie des Filmemachens erleichtern können, indem sie den Anschein erwecken, dass etwas passiert, was in Wirklichkeit nicht der Fall ist, oder indem sie choreografische Alternativen anbieten, die dieselbe Geschichte erzählen – und auf diese Weise können wir die Vision der Regie unterstützen, ohne dass die Schauspielenden (re)traumatisiert», so Wenger weiter.
Mit Doubles und Winkeln tricksen
Und wie sieht die Situation mit Kinder aus? Hier ist es wichtig zu fragen, welche Geschichte erzählt wird, um welche Art von Intimität es sich handelt. Eine Umarmung zwischen Vater-Rolle und Tochter-Rolle hat eine ganz andere Gewichtung als ein Kuss zwischen einem erwachsenen Mann und einem kleinen Mädchen. Die Expertinnen sagen eindeutig: «Sobald es um romantische Intimität, simulierte sexuelle Handlungen und sexuelle Gewalt von Erwachsenen gegenüber Minderjährigen geht, finden wir es unethisch, wenn Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren in der Szene präsent sind, wenn diese Inhalte gedreht werden. Dann sollte man mit Doubles und Kamerawinkel arbeiten, um zu tricksen.»
Wenger und Sànchez stellen klar, dass ethische Arbeitsweisen im Umgang mit intimen Szenen die freiwillige, gut informiert Zustimmung der beteiligten Personen voraussetzt, ohne dass die Schauspielenden Angst vor Konsequenzen oder Kündigung bei einem «Nein» ihrerseits haben müssen. Bei Minderjährigen müssten die Erziehungsberechtigten zusätzlich ihr Einverständnis geben.
Ist das Kinderpornographie?
Überschreitet man rechtlich eine Grenze, wenn man solche Szenen zwischen Minderjährigen und Erwachsenen drehen lässt? «Das kommt darauf an, wie diese Szene gemacht wird», erklären die Expertinnen. Trickse man beispielsweise, sodass die Kinder beim eigentlichen Dreh der intimen Szene nicht anwesend sind, sei nichts dagegen einzuwenden – immer unter der Bedingung, dass die involvierten Personen ihr Einverständnis gegeben haben.
Unter Kinderpornographie läuft eine solche Szene wie in «Interview mit einem Vampir» übrigens nicht. Es war nämlich nur ein Kuss. «Wäre es ein Zungenkuss oder eine andere sexuelle Handlung gewesen, die auch mit dem Kind gedreht würde, dann ist dies rechtlich gesehen Kinderpornographie», so das Team von «Intimacy Coordinators and Directors Switzerland». «Sollte solch eine Szene wirklich vorkommen, dann müsste man - um sich nicht strafbar zu machen – eben mit Tricks, Kamerawinkel und einer guten Intimitätskoordinator*in arbeiten, so dass das Kind und die erwachsene Person separat gedreht werden, und es eben nicht zu einer Straftat kommt, sondern nur so scheint» schildern die Profis das Vorgehen am Set.