Auf einen Blick
- Film über Leni Riefenstahl am Zurich Film Festival gezeigt
- Riefenstahl war eine überzeugte Nationalsozialistin und verbreitete die Ideologie
- 700 Kisten Nachlassmaterial wurden für den Film verwendet
Am Zurich Film Festival wurde der Dokfilm «Riefenstahl» über die deutsche Regisseurin Leni Riefenstahl (1902–2003) erstmals in der Schweiz gezeigt, bevor er nun am 21. November in den Kinos anläuft. Blick hat mit Produzentin Sandra Maischberger (58) und Regisseur Andres Veiel (65) gesprochen.
Blick: Es wurden schon unzählige Bücher über Leni Riefenstahl geschrieben und auch viele Filme über sie gedreht. Weshalb ist gerade Ihr Werk notwendig und wichtig?
Sandra Maischberger: Weil es ein Film über unsere Gegenwart ist, um es kurz auszudrücken. Über unsere Verführbarkeit, über unsere Sucht nach einfachen Antworten, über unsere Weigerung, Verantwortung zu übernehmen.
Andres Veiel: Und weil wir erstmals einen Nachlass mit 700 Kisten Umfang zur Verfügung hatten. Wir konnten an Riefenstahl untersuchen, woher diese Sehnsucht nach einer Ästethik des Siegreichen, Starken und Überlegenen kommt. Und dem gleichzeitigen Wunsch, das Fremde und andere abzuwerten, auszugrenzen und zu vernichten.
Was war Riefenstahl nun? Opfer? Mitwisserin? Mittäterin?
Sandra Maischberger: Sie war eine überzeugte Nationalsozialistin und eine perfekte Distributorin dieser Ideologie. Sie hat diese Ideologie mit ihren Fähigkeiten verbreitet.
Andres Veiel: Entscheidend war für uns nicht, Riefenstahl wieder auf die Anklagebank zu setzen. Sondern den Nachlass zu nützen, hinter diese Lügen und Legenden zu schauen. Und einen genauen Blick darauf zu werfen, was die Produktion von Fake News auch heute ausmacht: eine Lüge so lange und mit Vehemenz zu wiederholen, bis sie nicht nur von demjenigen, der sie wiederholt, geglaubt wird, sondern von Millionen anderen auch. Leni Riefenstahl ist keine Ausserirdische. Sie kommt aus unserer Mitte, sie ist leider eine von uns.
Riefenstahl hat ihre Telefongespräche und sogar Anrufbeantworter-Nachrichten aufgenommen. Hat sie das im Wissen darum getan, haftbar gemacht zu werden?
Maischberger: Das glaube ich eben gerade nicht. Ich glaube, dass sie diese Anrufe aufgezeichnet hat, weil sie darin eine Bestärkung, einen Zuspruch und eine Bekräftigung ihrer Unschuld fand. Und ich glaube, dass sie gar nicht so weit gedacht hat, dass die Aufnahmen nicht nur festhielten, was die Anrufer sagten, sondern auch, was sie darauf antwortete. Das war eher eine Kurzschlusshandlung, die von ihr nicht zu Ende gedacht war.
Veiel: Das drückte wohl ihre unbedingte Sehnsucht nach einer Rehabilitierung aus. Dazu muss man sich vergegenwärtigen, dass nach 1945 kaum jemand aus Deutschland kam, der eine Frage an sie hatte. Man hatte genug von der Schuld und wollte sich mit Riefenstahl gar nicht erst beschäftigen, weil möglicherweise kritische Fragen auf einen selbst zurückgefallen wären. Nach dem Auschwitz-Prozess 1964 kam eine Sehnsucht nach einem Schlussstrich auf, man wollte nach vorne schauen. Und Riefenstahl wurde zu einer Märtyrerin stilisiert, die für ein ganzes Land zu Unrecht leiden musste. Man wollte sie wieder rehabilitiert sehen. Und Riefenstahl war sehr dankbar, dass das möglich schien.
Gab es nicht auch die Gefahr, Riefenstahl sympathisch wirken zu lassen? Gerade mit Bildern, die sie in der Banalität ihres Alltags zeigen? Es gibt eine Szene, in der sie scheinbar harmlos mit Freundinnen plaudert.
Maischberger: Ich denke nicht, dass sie den Zuschauern zu sympathisch werden kann. Es war wichtig, sie in unterschiedlichen Facetten zu zeigen. Um eben dann auch dem Publikum die Möglichkeit zu geben, sich zu fragen: Wie viel Riefenstahl steckt in mir? Andererseits wollten wir auch ihre Kunstfertigkeit zeigen und die Kraft der Bilder wirken lassen. Damit man versteht, was gemeint ist, wenn man in ihrem Zusammenhang immer wieder von Verführung spricht. Gerade diese Szene mit den Freundinnen hat mir nochmals die Augen geöffnet und gezeigt, warum sie bei einer einmal gefassten Lüge geblieben ist: weil sie das früh einstudiert hat. Und weil sie schon früh Empörung gespielt hat, damit sie letztlich zum Ziel kommt. Diese Szene ist sehr entlarvend für sie.
Veiel: Wir hatten das Privileg, sehr viel unveröffentlichtes Material auswerten zu können. Dazu gehörten auch die Outtakes der Gespräche von Riefenstahl mit dem deutschen Regisseur Ray Müller. Szenen vor und nach den eigentlichen Aufnahmen für seine Dokumentation, die er weggeschnitten hat. Dort erleben wir sie anders, fern von jeder Selbstinszenierung, unkontrolliert und auch impulsiv. Das alles ergibt die ganze Bandbreite, wie sie es geschafft hat, so erfolgreich zu sein. Weil sie ein Repertoire als Schauspielerin draufhatte, mit dem sie sich instinktsicher durchsetzen konnte. Anders ist nicht zu erklären, dass sie diesen Zuspruch nicht nur im Dritten Reich, sondern auch später mit ihren Nuba-Bildbänden hatte. Andere Nuba-Spezialisten wie George Rodger hatten Auflagen von 5000, sie das Hundertfache. Und da war auch dieser Unique Selling Point, den Rodger nicht mitbrachte: ihre Bekanntschaft mit Hitler.
Hat sie dieses Böse gesucht? Es kommen in ihrem Leben und im Film viele «böse» Männer vor. Ihr erster Liebhaber, Otto Froitzheim, Wimbledon-Finalist 1914, war gewalttätig, Joseph Goebbels sowieso. Und auch ihr Vater hat sie geschlagen.
Maischberger: Ich denke nicht. Wir zeigen auch Aufnahmen, die sie beim Film «Der heilige Berg» von 1926 im Kreise der Crew zeigen, da wirken alle sehr freundlich und heiter. Abgesehen von Arnold Fanck, dem Regisseur, der viele seiner Mitarbeiter schlimmen Gefahren aussetzte. Doch ich glaube nicht, dass sie das gesucht hat. Sie hat vor allem starke Männer gesucht. Und sie ist manchmal an solche geraten, die ihre Stärke mit Gewalt ausdrückten.
Veiel: Diese Art von gewalttätiger Erziehung war damals sehr weit verbreitet. Dass Riefenstahl als Mädchen mit einer ähnlichen Härte erzogen wurde, ist interessant. Es hat immer mit Demütigung zu tun. Die Menschen identifizieren sich mit der Stärke, mit der Macht, die sie schlägt und demütigt. So wird verständlich, warum Riefenstahl diese Abspaltung betrieb und nur das Schöne, Erhabene und Siegreiche in ihren Bildwelten verarbeitete. Und Tod, Krankheit und Siechtum nicht wahrhaben wollte. Damit wird auch deutlich, woher heute das Bedürfnis nach Überlegenheit kommt. Sei das bei Donald Trump oder bei anderen, die uns suggerieren, dass sie eine Welt schaffen wollen analog einer Vergangenheit, in der angeblich alles besser war.
Warum sollten gerade junge Menschen sich diesen Film anschauen? Warum sollten Lehrer mit ihren Schülern dafür ins Kino gehen?
Maischberger: Weil es eine Wiederkehr von faschistischen Ideen und Idealen gibt. Weil es eine Wachsamkeit erfordert gegenüber diesen Mechanismen, gerade, wenn man mit jungen Menschen zu tun hat, die diesen Sprung in die Historie nicht so selbstverständlich wie wir machen. Weil auch die junge Generation unter einem starken Druck steht, sich in der Globalisierung ohnmächtig und möglicherweise dahin getrieben fühlt, wo autoritäre Prinzipien attraktiv werden. Weil es zurzeit vielerorts eine Verherrlichung des Schönen und der Selbstoptimierung gibt, die verführerisch erscheint, bis man merkt, dass es dort auch einen Ausschluss des Nicht-Schönen auf Kosten der Menschenwürde gibt. Ich würde diesen Film gerne als Ausrufezeichen sehen, dass wir nicht historische Fehler wiederholen, bloss weil manche von uns die Geschichte vergessen haben.
Veiel: Wenn ich mir die Generation meines Sohnes anschaue, der 26 ist, merke ich, dass es dieses Zukunftsversprechen von früher, «ihr werdet es einmal besser haben», so nicht mehr gibt. Dadurch entsteht eine fundamentale Verunsicherung. Diese Verführungskraft einer verklärten Vergangenheit ist heute mindestens genauso da wie in den 1920er- und 1930er-Jahren. Und diese Parallele wird verstanden. Wir haben kürzlich eine Auszeichnung der Jugendjury der Filmkunstmesse in Leipzig bekommen, eigentlich das schönste Kompliment für diesen Film. Von drei 17-jährigen Frauen, die gesagt haben: «Dieser Film geht unsere Generation an. Und wir wollen, dass er von uns gesehen wird.» Das wünschen wir uns gerne auch für die Schweiz.
Die 1966 in München geborene Sandra Maischberger ist Journalistin, Autorin, Produzentin und Moderatorin. Sie führte durch TV-Sendungen wie «Live aus dem Schlachthof» oder «Talk im Turm». Derzeit moderiert sie die ARD-Talkshow «Maischberger». Mit ihrer Produktionsfirma realisiert sie TV-Formate und Filme, so 2013 «Ein blinder Held – Die Liebe des Otto Weidt» oder 2019 «Nur eine Frau» und nun «Riefenstahl». Sie ist seit 1994 mit dem Kameramann Jan Kerhart (64) verheiratet. Die beiden leben in Berlin und haben seit 2007 einen Sohn.
Andres Veiel kam 1959 in Stuttgart zur Welt und ist ursprünglich Psychologe. 1985 bis 1989 absolvierte er seine Regie- und Dramaturgie-Ausbildung am Berliner Künstlerhaus Bethanien, wo ihn der Pole Krzysztof Kieslowski (1941–1996) besonders prägte. Der Durchbruch gelang ihm 2001 mit «Black Box BRD», für den er den Bayerischen, Deutschen und Europäischen Filmpreis gewann. 2011 folgte sein erster Spielfilm «Wer wenn nicht wir» und 2017 der Dokfilm «Beuys» über den deutschen Künstler Joseph Beuys (1921–1986). Veiel lebt ebenfalls in Berlin.
Die 1966 in München geborene Sandra Maischberger ist Journalistin, Autorin, Produzentin und Moderatorin. Sie führte durch TV-Sendungen wie «Live aus dem Schlachthof» oder «Talk im Turm». Derzeit moderiert sie die ARD-Talkshow «Maischberger». Mit ihrer Produktionsfirma realisiert sie TV-Formate und Filme, so 2013 «Ein blinder Held – Die Liebe des Otto Weidt» oder 2019 «Nur eine Frau» und nun «Riefenstahl». Sie ist seit 1994 mit dem Kameramann Jan Kerhart (64) verheiratet. Die beiden leben in Berlin und haben seit 2007 einen Sohn.
Andres Veiel kam 1959 in Stuttgart zur Welt und ist ursprünglich Psychologe. 1985 bis 1989 absolvierte er seine Regie- und Dramaturgie-Ausbildung am Berliner Künstlerhaus Bethanien, wo ihn der Pole Krzysztof Kieslowski (1941–1996) besonders prägte. Der Durchbruch gelang ihm 2001 mit «Black Box BRD», für den er den Bayerischen, Deutschen und Europäischen Filmpreis gewann. 2011 folgte sein erster Spielfilm «Wer wenn nicht wir» und 2017 der Dokfilm «Beuys» über den deutschen Künstler Joseph Beuys (1921–1986). Veiel lebt ebenfalls in Berlin.
Leni Riefenstahl gilt als kontroverseste Figur der deutschen Filmgeschichte. Die 1902 in Berlin geborene Schauspielerin und Regisseurin begann ihre Karriere 1926 in «Der heilige Berg». Durch ihr Regie-Debüt «Das blaue Licht» 1932 wurden Adolf Hitler (1889–1945) und Joseph Goebbels (1897–1945) auf sie aufmerksam. Riefenstahl erhielt ab 1933 den Auftrag, die «Reichsparteitagstrilogie» mit dem bekannten Werk «Triumph des Willens» zu drehen. 1936 dokumentierte sie die Olympischen Spiele in Berlin. 1939 begleitete sie Hitlers Überfall auf Polen. Trotz ihrer Positionierung wurde sie nach dem Krieg nur als «Mitläuferin» eingestuft. Durch ihre Vergangenheit war es ihr jedoch nicht möglich, ihre Regie-Karriere fortzusetzen. Der Film «Tiefland» von 1954 wurde schon 1944 gedreht – mit zwangsrekrutierten Sinti und Roma, die später umkamen. Ab 1960 veröffentlichte Riefenstahl mehrere Fotobände über die Nuba im Sudan und mit Unterwasseraufnahmen. Sie starb 2003 im bayerischen Pöcking. Ihr Nachlass ging nach dem Tod ihres 40 Jahre jüngeren Ehemanns Horst Kettner 2016 an ihre frühere Sekretärin Gisela Jahn, die ihn 2018 der Stiftung Preussischer Kulturbesitz in Berlin übergab.
Leni Riefenstahl gilt als kontroverseste Figur der deutschen Filmgeschichte. Die 1902 in Berlin geborene Schauspielerin und Regisseurin begann ihre Karriere 1926 in «Der heilige Berg». Durch ihr Regie-Debüt «Das blaue Licht» 1932 wurden Adolf Hitler (1889–1945) und Joseph Goebbels (1897–1945) auf sie aufmerksam. Riefenstahl erhielt ab 1933 den Auftrag, die «Reichsparteitagstrilogie» mit dem bekannten Werk «Triumph des Willens» zu drehen. 1936 dokumentierte sie die Olympischen Spiele in Berlin. 1939 begleitete sie Hitlers Überfall auf Polen. Trotz ihrer Positionierung wurde sie nach dem Krieg nur als «Mitläuferin» eingestuft. Durch ihre Vergangenheit war es ihr jedoch nicht möglich, ihre Regie-Karriere fortzusetzen. Der Film «Tiefland» von 1954 wurde schon 1944 gedreht – mit zwangsrekrutierten Sinti und Roma, die später umkamen. Ab 1960 veröffentlichte Riefenstahl mehrere Fotobände über die Nuba im Sudan und mit Unterwasseraufnahmen. Sie starb 2003 im bayerischen Pöcking. Ihr Nachlass ging nach dem Tod ihres 40 Jahre jüngeren Ehemanns Horst Kettner 2016 an ihre frühere Sekretärin Gisela Jahn, die ihn 2018 der Stiftung Preussischer Kulturbesitz in Berlin übergab.