Das Ölgemälde «The Fighting Temeraire» von William Turner (1775–1851) hängt in der National Gallery in London und wirkt als prächtige Darstellung eines Kriegsschiffs im Sonnenuntergang. Tatsächlich zeigt es eine Tragödie: Die «Temeraire», in der Schlacht von Trafalgar zu Ehren gekommen, wird von einem Dampfer zur Abwrackung geschleppt.
Nicht nur britische Republikaner halten Turners Meisterwerk für ein perfektes Sinnbild der Art, wie sich die Monarchie in diesen Tagen zelebriert: die Volksorgie «Platinum Jubilee» als riesiges Täuschungsmanöver, um den morbiden Zustand des Hauses Windsor zu kaschieren.
Dessen Unterstützung sinkt unter Menschen zwischen 18 und 24 gemäss einer aktuellen Umfrage massiv. Die Zahl der Befürworter nahm seit 2011 von 59 Prozent auf 33 Prozent ab. Das wirkt sich auch auf die Gesamtzustimmung aus: Sprachen sich damals noch fast drei Viertel der Bevölkerung für die Monarchie aus, sind es heute 62 Prozent.
Spielverderber nicht erwünscht
Die Lage ist so bitter wie der Rauchtee Lapsang Souchong, auf den Winston Churchill (1874–1965) schwor – Queen Elizabeth II. (96) empfand ihn stets als zu bissig. Während Churchill und auch spätere Premiers die Krone jedoch stützten, ist von Boris Johnson (57) kein Support zu erwarten. Anmerken liess sich die Queen noch nie etwas: Ihre gute Miene der letzten Tage ist Ausdruck einer finalen Optik, die das Volk spürt. Dies ist ihre letzte grosse Show, Spielverderber bitte draussen bleiben.
Hinter vorgehaltener Hand stellt sich die Frage natürlich erst recht: Was passiert, wenn das märchenhafte Leben der «Lilibet» ein menschliches Ende erfährt?
Die optischen Fantasien sind weniger erlesen als jene von Turner, dessen Konterfei und die «Temeraire» übrigens von der Rückseite der neuen 20-Pfund-Note grüssen. Thronfolger Prinz Charles (73) ist bereits seit der Scheidung 1992 von Diana (1961–1997) als Landesvater de facto unten durch, der Unfalltod der «Königin der Herzen» 1997 hat ihm den Rest gegeben. Die Hochzeit mit seiner früheren Geliebten Camilla (74) bedeutete 2005 höchstens eine nachträgliche Gutheissung seiner Fremdgehereien.
Die Tolerierung dieses Akts liess man der Queen als Altersmilde durchgehen. Ganz im Gegensatz zur Causa um ihren angeblichen Lieblingssohn Andrew (62), die ihr heftig geschadet hat. Charles hat sich immerhin zusammengerissen und inszeniert sich mittlerweile als Landschaftsgärtner, Bierzapfer der Nation und eigentlicher Grüssaugust.
Jugend und Unschuld
Doch käme es gut, wenn er den Weg für seinen erstgeborenen Sohn William (39) frei machen würde? In der Karibik hatte dieser mit seiner Gattin Kate (40) im März bei einer Testreise einen schweren Stand und musste sich von erzürnten Einheimischen ausbuhen lassen. Der jüngere Sohn Harry (37) hat sich nicht uneigennützig in den USA der Verantwortung entzogen.
Die stärkste Hoffnung liegt auf der Jugend und der Unschuld. Wie sich der charmante George (8) weiter entwickelt, ist naturgemäss offen. Ob er sich eine ähnliche Karriere wie diejenige seiner Urgrossmutter antun möchte? Und was wird ihm vom zerbröckelnden Commonwealth überhaupt bleiben? Doch unverhofft kommt oft, sagt der Volksmund: «Lilibet» wusste bis ins Alter von zehn noch nicht einmal, dass sie dereinst überhaupt als Königin infrage käme.
Klar zeichnet sich ab: Das Vereinigte Königreich, wie wir es bis anhin kannten, mit all seinen Figuren und Schrulligkeiten, wird unaufhaltbar zu Grabe getragen.
Am Mittwoch hat in Bern bereits Sir Elton John (75) Abschied genommen, zumindest von der Schweiz, seit fünf Jahren ist er auf Abschiedstournee. Zuerst von der Queen noch kritisch als Diana-Intimus betrachtet, etablierte er sich über die Jahre hinweg als inoffizieller Hofnarr.
Und auch «The Long Fellow» ist nicht mehr – für die Queen als Pferdenärrin ein besonders bitterer Verlust. Am 24. Mai starb in seinem Exil in Genf Star-Jockey Lester Piggott (†86), ein Gigant der Rennbahnen, der allein neun Mal das britische Derby gewann.
Einziger Trost für Traditionalisten: Nottingham Forest steigt nach 23 Jahren wieder in die oberste Spielklasse auf, gegründet 1865 im Stammgebiet des heimlichen Nationalhelden Robin Hood, einer Sagenfigur. Märchen spenden Trost, besonders in dunklen Zeiten.