Irgendwie wirkt sie zeitlos. Weil wir sie immer so gesehen haben, seit gut 50 Jahren. Mädchenhaft schmal, mit langen, dunkelblonden Haaren und nur zart angedeuteten Fältchen um die grossen, braunen Augen. Am 25. Februar wird die Schlagersängerin Ireen Sheer 75.
Ihr Name klingt nach einem englischen Künstlernamen wie er in der deutschen Schlagerbranche mal sehr beliebt war, ein Tony Marshall (1938-2023) hiess tatsächlich Anton Hilger, und aus einem Horst Nussbaum wurde ein Jack White (83). Bei Ireen Sheer ist das etwas anders. Sie ist wirklich eine gebürtige Engländerin. Ihr Vater war Soldat der britischen Rheinarmee, heiratete eine Deutsche aus Düsseldorf, die Tochter Ireen kam 1949 in Romford im Osten von London zur Welt. Allerdings hörte die Familie auf den Namen Wooldridge, und der klang, als Ireen zu singen begann, nicht so gut. Sie nannte sich Sheer – nach dem ins Englische umgewandelten Mädchennamen ihrer deutschen Grossmutter, die Schir hiess.
Sie findet schon früh ihre Bestimmung
Zum Showbiz kommt sie schon als Kind. 1961 gewinnt sie als Zwölfjährige einen Talentwettbewerb der BBC. Sie singt «It's now or never » von Elvis Presley (1935-1977) – und findet ihre Bestimmung. «Das war das erste Mal, dass ich mit Mikrofon auf einer Bühne stand. Das war in einem wunderschönen Theater – das Publikum sass da, ich sah nur die Silhouetten. Dann gab es Applaus [...] Und dann habe ich gewusst: Das ist das, was ich mit meinem Leben machen will», erzählt sie später in einem Interview mit dem MDR.
Zwar macht sie nach der Schule noch eine Banklehre, doch da singt sie schon in der britischen Popgruppe Family Dog, bei der zeitweise Stars wie Albert Hammond (79) oder Jimmy Page (80) mitwirken. Ab 1970 steigt sie in eine Solokarriere ein – und landet ziemlich schnell in Deutschland, denn Ireen ist zweisprachig aufgewachsen und hat ihre Ferien meist bei den Grosseltern mütterlicherseits im Rheinland verbracht.
Sie hat einen süssen, unverwechselbaren englischen Akzent, über den ihre Mutter oft sagt: «Don't loose it!». Das finden auch deutsche Plattenlabel, und weil sie zudem eine hübsche Stimme hat, bringt die Polydor 1971 mit ihr und dem Song «Oh Holiday» die deutsche Version des englischen Hits «Hey Pleasure Man» auf den Markt. Dann schreibt der Erfolgskomponist Ralph Siegel (78) für sie «Goodbye Mama», mit dem sie in die Top-5 der deutschen Charts kommt.
«Ich hatte immer meine Nische»
Sie zieht nach Hamburg und ist nun ein fester Bestandteil der deutschen Schlagerszene, macht insgesamt 20 Studioalben, spielt in einem Musikfilm («Wenn jeder Tag ein Sonntag wär») mit, tritt dreimal im Eurovision Song Contest auf und holt 1978 mit «Feuer» für Deutschland einen 6. Platz. Sie singt Duette mit Bernhard Brink (71), Cliff Richard (83) oder Gilbert Bécaud (1927-2001, «Der hat gedacht, er hätte Chancen bei mir, aber nein»).
Ireen Sheer ist ständiger Gast in Musik- und Unterhaltungsshows und hat zahlreiche Auftritte in der «ZDF-Hitparade», von der ihr vor allem die «Todeszelle» in Erinnerung bleibt, eine Kneipe, in der die Stars immer mit ZDF-Moderator Dieter Thomas Heck (1937-2018) Nordhäuser Korn trinken mussten, «da durfte ich auch als Frau nicht kneifen».
Als Superstar hat sie sich nie gesehen. «Ich hatte immer meine Nische», sagt sie selbst. Ihr Bereich sei die Mittel- bis Oberklasse. «Megastars sind da eine ganz andere Liga ... Aber man muss 50 Jahre erst mal bestehen, und das habe ich auch.»
Ihren Stellenwert hat die «taz» 2002 so beschrieben: «Ireen Sheer hat sich ... den Ruf einer wackeren Schlagersängerin erarbeitet. Skandale pflasterten nie ihren Weg. In der Pop-Branche gibt es niemanden, der Böses über sie sagt. Eine Interpretin der zweiten Reihe, die es zur Champions League nie gebracht hat, weil sie mit Lieder wie ‹Goodbye Mama› oder ‹Und heute Abend hab ich Kopfweh› sich den Ruf einer Sängerin mit freundlichem Nichterregungsappeal erworben hat.»
Ein Skandälchen bringt sie auf die Titelseite
Irgendwann kam auch sie in den Genuss eines Skandals, besser gesagt: eines Skandälchens: Als ihre erste Ehe mit dem englischen Sänger und Songschreiber Gavin du Porter (74) in die Brüche ging, war selbst die nette Ireen Sheer mal auf der «Bild»-Titelseite. Unter der Zeile «Er lügt – Er geht fremd – Er warf mich raus» schrieb das Blatt: «Jetzt rechnet sie mit ihrem Ehemann ab». Der schwor «beim Leben unseres Hundes», sie niemals betrogen zu haben. Worauf sie in der ARD-Sendung «Beckmann» erwiderte, sie habe sich in den 25 Ehejahren mit du Porter seinen Wünschen untergeordnet und an Selbstwertgefühl verloren, was sie in ihrer Biografie «Jetzt oder nie» noch einmal bekräftigte.
2010 hat sie ihren deutschen Manager Klaus-Jürgen Kahl geheiratet. Mit ihm lebt sie in einer Altbauwohnung in Berlin-Wilmersdorf.
Ireen Sheer war auch sonst selten in den Schlagzeilen: Mit gesundheitlichen Problemen (Wirbelsäule, Blutgerinnsel hinter dem Auge) und mit ihrer Empörung über die britischen Landsleute nach ihrer Abstimmung für den Brexit. 2019 beantragte die entschiedene Brexit-Gegnerin die deutsche Staatsangehörigkeit, 2020 wurde sie eingebürgert.
Besonders gern erinnert sie sich an die 1970er-Jahre zurück: «Wir waren in der Branche wie eine grosse Familie.» Noch heute ist sie mit Roland Kaiser (71), Mary Roos (75) und Patrick Lindner (63) eng befreundet.
Sie verabschiedet sich von der Bühne
«Die Bühne ist wie ein Jungbrunnen für mich. Eigentlich bin ich zurückhaltend und normal, aber auf der Bühne macht es ‹boom› und dann muss ich alles geben», so hat sie es für den NDR formuliert. Und doch kündigte sie 2021 ihren Rücktritt an. Der Entschluss ist langsam gereift, während der Corona-Pandemie beschliesst sie ihre Showkarriere zu beenden und «endlich» ein Leben fernab von Auftritten zu leben. «Wir haben überlegt, wie viele gute Jahre haben wir noch? Wir wollen noch so viel machen und erleben, aber dafür müssen wir fit sein.»
2022 erscheint ihr Abschiedsalbum «Aufwiedersehen-Goodbye», und Anfang 2023 ist wirklich Schluss nach über 60 Showjahren mit mehr als 7000 Auftritten. Ihre Order an sich selbst: «Ab jetzt wird gelebt!»: Freunde treffen, reisen, mit dem Motorboot auf Tour gehen, Wannsee, mecklenburgische Seenplatte, Ostsee. So wie sie in ihrem letzten Lied «Abschied ist wie ein neues Leben» singt: «Da wird ein ganz, ganz neuer Traum geboren.» (Spot on)
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