Hollywoodstar Richard Gere (74) feiert in Cannes sein cineastisches Comeback im Filmdrama «Oh, Canada». Künstlich älter gemacht, spielt er den fiktiven Charakter des vom Krebs gezeichneten Dokumentarfilmers Leonard Fife, der kurz vor seinem Tod seiner Frau die dunklen Geheimnisse seiner Jugend enthüllt. Bei der Premiere am Wochenende sorgte Gere in Begleitung seiner Ehefrau Alejandra Silva (41) und seinem Sohn Homer James (24) aus seiner zweiten Ehe für frenetischen Applaus. Am Tag danach traf ihn Blick beim Pressegespräch. «Sorry, es war eine sehr lange Nacht. Meine Stimme klingt viel tiefer als sonst», so der «Pretty Woman»-Hauptdarsteller.
Blick: Herr Gere, weshalb haben sie die Rolle in «Oh, Canada» angenommen?
Richard Gere: Als ich das Drehbuch von Paul Schrader bekam und es gelesen habe, ist es mir persönlich sehr nahe gegangen. Ich konnte mich mit meiner Rolle identifizieren, weil mein eigener Vater nur wenige Wochen zuvor kurz vor seinem 101. Geburtstag gestorben war.
Gere hält inne und trinkt einen Schluck Wasser, um sich zu sammeln.
Mein Vater hat seine letzten Jahre bei mir, meiner Frau und unseren Kids gelebt. Er sass im Rollstuhl und es war sehr klar, dass er nicht mehr viel Zeit haben würde. In seinem Kopf wechselte er zwischen verschiedenen Realitätsebenen hin und her. Was Vergangenheit und Gegenwart waren, spielte keine Rolle – Zeit war nicht mehr linear für ihn. Das Drehbuch erinnerte mich daran, dass wir alle zu diesem Punkt am Ende unseres Lebens kommen werden.
Der 26-jährige Jacob Elordi spielt im Film ihre Jung-Version. Haben Sie ihm Tipps gegeben?
Wir haben uns zur ersten Drehbuchlesung getroffen. Jacob hat mich genau beobachtet, genau das hätte ich an seiner Stelle auch getan. Er musste ja so sein wie ich, nur jünger. Er hat mir verraten, dass er einige meiner alten Filme studiert hat – die Filme, in denen ich ungefähr so alt war wie er jetzt. Das war schlau. Das Einzige, wobei ich ihn direkt unterstützen konnte, war, dass ich Leonard Fife einen unkomplizierten Durchschnitts-Amiakzent verpasst habe. Ich habe ihm diesen vorgesprochen, damit er auch wusste, welche Stimmlage ich nutze. Alles sehr simpel. Zudem hat er mich sehr an meinen Sohn erinnert, das war grossartig.
Im Film flüchtet Leonard Fife als junger Mann nach Kanada, um nicht im Vietnam-Krieg kämpfen zu müssen. Wenn man das auf die heutige Zeit überträgt, zum Beispiel auf die Ukraine, gibt es Ihrer Meinung nach Kriege, für die es sich zu kämpfen lohnt?
Es geht am Ende für jeden um die Frage: ‹Nehme ich eine Waffe in die Hand und ziehe ich in die Schlacht? Ist es ein gerechter oder ungerechter Krieg?› Doch selbst, wenn wie im Fall der Ukraine das eigene Land attackiert wird, muss jeder für sich entscheiden: ‹Kann ich jemanden töten? Und wie weit werde ich gehen, um meine Familie zu schützen?› Ich gebe zu, ich persönlich habe darauf keine Antwort!
Gibt es Erinnerungen, die Sie erst am Ende Ihres Lebens mit Ihren Kindern teilen würden?
Ich glaube, diese Entscheidung trifft wirklich erst dann, wenn es mit einem zu Ende geht. Hinzu kommt, dass unsere Erinnerungen sich im Laufe der Zeit verändern oder sich weiterentwickeln können.
Sie werden künstlich älter gemacht. Wie haben Sie sich gefühlt, als Sie sich das erste Mal als Greis im Spiegel gesehen haben?
Es war schon ziemlich schaurig, das muss ich zugeben! Weil ich so eines Tages in echt aussehen werde – zumindest, wenn ich so alt werde, wie mein Vater es war. Ach ja, ich sehe auf alt gemacht wirklich aus wie mein Vater.
Ist es schwierig für Sie, sich alte Filme anzusehen, in denen Sie noch jung sind?
Ja, ich finde es jedes Mal bizarr, wenn ich auf einem Event für mein Lebenswerk ausgezeichnet wurde und sie einen Zusammenschnitt meiner wichtigsten Rollen gezeigt haben. Dann rauscht dein Leben tatsächlich in zwei Minuten vor deinen Augen an dir vorbei. Eine sehr schräge Erfahrung!