«Bitte entschuldigen Sie, ich muss schauen, dass mein Sohn rechtzeitig hierherkommt», sagt Geena Davis (67) mit einem entwaffnenden Lächeln und dieser leicht rauen Stimme, die sofort wiedererkennt, wer je einen ihrer Filme in der Originalsprache gesehen hat. Während sie auf ihrem Handy tippt, erzählt sie, dass sie und ihr 19-jähriger Sohn zum ersten Mal in Zürich seien, sie leider nicht lange bleiben könne, da sie in New York «Dinge zu erledigen» habe, sie aber sehr gern wiederkommen würde.
Der Hollywood-Star hält einen Vortrag am Equal Voice Summit von Ringier, bei dem es um die mediale Sichtbarkeit der Frauen geht. Sie selbst habe nie geplant, «das Thema zu meiner Lebensaufgabe zu machen», sagt sie. Sie hat einfach vieles etwas anders gemacht als andere. Zum Beispiel wollte sie nur starke Frauenrollen spielen. Aber nicht nur «Thelma & Louise» oder «A League of Their Own» machten sie zu einer Vorreiterin des Feminismus: Auch ihr Privatleben gestaltete die 1,83-Meter-Frau jenseits aller Klischees, als sie mit 46 Mutter von Tochter Alizeh wurde, zwei Jahre später folgten die Zwillingssöhne Kaiis und Kian. Vom Vater der drei – ihrem vierten Ehemann – ist sie seit eineinhalb Jahren geschieden.
Geena Davis, Sie sind nach Zürich gekommen, um über Gleichstellung in der Medien- und Filmbranche zu sprechen. Warum ist das Thema so wichtig für Sie?
Wir alle haben unbewusst Rollenbilder im Kopf. Das liegt an unserer Kultur, an der Art, wie wir Frauen generell dargestellt sehen, von unserer frühesten Kindheit an. Was wir am Bildschirm sehen, reflektiert unsere Gesellschaft – und umgekehrt. Deshalb finde ich es von grösster Wichtigkeit, dass wir, und vor allem auch unsere Kinder, nicht ständig Klischees vorgesetzt bekommen.
Sind Sie Feministin?
Ja, natürlich. Jede und jeder, die oder der denkt, dass Frauen und Männer auf allen Ebenen gleiche Rechte haben sollten, ist Feministin oder Feminist. Wie sollte man Feminismus denn sonst definieren? Es ist ganz einfach.
In Ihrer Autobiografie erzählen Sie unter anderem, dass Ihnen Ihr Kollege Dustin Hoffman beim Dreh von «Tootsie», Ihrem ersten Film, gleich Ratschläge erteilte, wie man mit sexuellen Avancen in dem Business umgehen sollte.
(Lacht.) Stimmt, und sie waren sehr nützlich. Ich glaube aber nicht, dass das Filmgeschäft anfälliger ist für unangebrachtes männliches Verhalten. «Unsere» Fälle werden halt eher publik gemacht, aber es gibt sie in jeder Branche.
Macht es Ihnen rückblickend eigentlich etwas aus, dass Sie diese Rolle damals bekamen, weil Sie in Unterwäsche eine gute Falle machten?
Nein, zumal ich mit dem Modeln angefangen habe, weil ich hoffte, dadurch in die Schauspielerei zu kommen – was ja funktioniert hat. Und ich habe die Rolle nicht ausschliesslich deswegen bekommen, ich musste schon vorsprechen.
Ihre kürzlich erschienene Autobiografie heisst «Dying of Politeness», was so viel bedeutet wie «Zum Sterben freundlich». Was ist falsch daran, nett zu sein?
Man kann tatsächlich allzu freundlich sein. Ich wuchs mit der Idee auf, dass das Wichtigste im Leben ist, dass einen alle mögen. Das heisst, man darf nie etwas verlangen, keine eigene Meinung haben, nichts sagen oder tun, bei dem sich jemand anderes unwohl fühlen könnte. Das galt nicht nur für Frauen, mein Vater war sein ganzes Leben lang so. Ich lernte spät, für mich einzustehen, und habe erst als Erwachsene gemerkt, wie limitierend es war, dass ich es nicht konnte.
Dieser Artikel wurde erstmals in der der «Schweizer Illustrierten» publiziert. Weitere spannende Artikel findest du auf www.schweizer-illustrierte.ch.
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In welchen Situationen war dies der Fall?
Als ich zum Beispiel anfing, mit Männern auszugehen, war ich nur schon von der Frage «Was möchtest du trinken?» total verunsichert – was auch immer ich bestellte, ich würde dafür beurteilt werden. Rückblickend tut mir mein jüngeres Ich ziemlich leid.
Vor 20 Jahren haben Sie das Geena Davis Institute on Gender Media gegründet, das Daten über die Rollenverteilung in Film und TV erhebt. Was hat sich seither getan?
Eine ganze Menge. Als wir die ersten Zahlen analysierten, waren zum Beispiel gerade mal elf Prozent der Hauptcharaktere in Kindersendungen weiblich. Heute sind wir bei fifty-fifty angelangt.
Wie haben Sie es in dieser Hinsicht mit Ihren eigenen drei Kindern gehalten – durften sie überhaupt fernsehen?
Ja, gemeinsam mit mir. Ich habe sie jeweils gefragt, ob sie finden, dass auch Mädchen Heldinnen sein können, oder warum sie denken, dass ein Junge oder ein Mädchen am Bildschirm dieses oder jenes getan, getragen oder gesagt habe. So wurden alle drei sehr aufmerksam solchen Themen gegenüber. Mit der Zeit wiesen sie mich darauf hin, wenn ihnen Ungleichheiten auffielen.
Haben Sie Ihre Tochter anders erzogen als Ihre beiden Söhne?
Nein. Es ist für Jungs ebenso wichtig wie für Mädchen zu realisieren, dass die Hälfte der Welt den Mädchen gehört, dass sie genauso lustig, interessant und mutig sein können wie Buben. Für Kaiis und Kian war das immer genauso selbstverständlich wie für Alizeh. Ein Beispiel: Als die Zwillinge neun Jahre alt waren, haben sie bei einer Übernachtungsparty den Film «Frozen» gesehen. Sie sprachen tagelang über die Eisprinzessinnen Anna und Elsa, und «Frozen» war für lange Zeit ihr Lieblingsfilm. Da soll noch mal jemand behaupten, Rollenbilder seien angeboren.
Würden Sie Ihre Kinder dazu ermutigen, ins Filmbusiness einzusteigen?
Bisher zeigt keines Interesse. Wenn, würde ich es natürlich unterstützen.
Sie standen kürzlich für Zoë Kravitz’ Regiedebüt vor der Kamera. Ist es anders, mit einer Frau zu drehen als mit einem Mann?
Jede Regisseurin und jeder Regisseur ist anders, deshalb könnte ich keinen Unterschied am Geschlecht festmachen. Zoë ist im Übrigen absolut fantastisch.
Denken Sie mit 67 Jahren eigentlich nicht an Pension?
Warum sollte ich? Mittlerweile gibt es ja sehr tolle Rollen für ältere Damen, das beweisen Frauen wie Helen Mirren oder Judi Dench. Aber vielleicht muss man in England leben, um diese zu kriegen (lacht). Ich hoffe, ich kann immer noch vitale Charaktere in spannenden Filmen spielen. Ich habe schon in jüngeren Jahren nie «die Freundin von» oder «die Mutter von» spielen wollen, ich werde jetzt nicht mit «die Grossmutter von» anfangen.