Es ist 13.03 Uhr und 50 Sekunden, als sich am Donnerstag die Tür der Schwedischen Akademie in Stockholm öffnet und Mats Malm (59) heraustritt. Der ständige Sekretär hat sich Zeit gelassen, um den diesjährigen Nobelpreisträger für Literatur zu verkünden. War sich die Jury uneinig? Musste man noch um die Worte der Verlautbarung ringen?
Melodiös, melancholisch, mystisch
Wohl kaum, denn für einmal war die Sache einfach: Mit dem Norweger Jon Fosse (64) bekommt dieses Jahr ein Favorit und weltberühmter Autor den Literaturnobelpreis. Seine Bücher sind in über 40 Sprachen übersetzt, seine Theaterstücke auf den wichtigsten Bühnen der Welt zu sehen – Fosse hat den Preis mehr als verdient.
Die Texte von Fosse sind melodiös, meist melancholisch und manchmal mystisch. Das Düstere mag damit zu tun haben, dass er in der «Grotte» lebt, einer Ehrenwohnung des norwegischen Staates in Oslo. Aber es hat auch damit zu tun, dass er mit sieben Jahren einen Unfall hatte, bei dem er fast gestorben wäre.
«Mein Schreiben hat sehr viel damit zu tun», sagte mir Fosse 2002 in einem Interview. «Ich rutschte damals mit einer Flasche in der Hand auf Eis aus und schnitt mir dabei die Pulsader auf.» Diese Nahtoderfahrung fliesst etwa in seinen grandiosen Roman «Morgen und Abend» (2000) ein, wo er einen sterbenden Fischer reden lässt – mit seinem Tod endet der Text.
Barbara Frey inszenierte Fosse in der Schweiz
Gott sei Dank starb Fosse nicht als Kind. Er ist heute selber Vater von fünf Kindern und schaut auf ein umfangreiches Werk zurück. Vor 40 Jahren begann er mit dem Roman «Rot, schwarz» (1983), in den 1990er-Jahren schrieb er vornehmlich Theaterstücke wie «Der Name» (1995), für das er den nationalen Ibsen-Preis bekam.
Seit Henrik Ibsen (1828–1906, «Peer Gynt») ist Fosse der erfolgreichste norwegische Dramatiker. In der Schweiz inszenierte die Basler Theaterregisseurin Barbara Frey (60) etliche deutschsprachige Erstaufführungen von Fosse-Stücken, unter anderem am Schauspielhaus in Zürich.
«Jon Fosse ist einer unserer Könige», sagte mir der norwegische Schrifsteller Tore Renberg (51) bereits vor 20 Jahren. Nun bekommt der König mit dem Literaturnobelpreis auch noch einen Goldschatz von umgerechnet rund 913’000 Franken – die Verleihung ist am 10. Dezember, dem Todestag von Preisstifter Alfred Nobel (1833–1896).