Jane (Julia Garner, 26) hat auf den ersten Blick einen ganz normalen Job. Die Büroassistentin bucht Flüge, storniert Termine oder bestellt das Mittagessen für ihren Boss, ein grosses Tier im Filmbusiness. Doch ihre Arbeit hat noch andere Seiten. Nach einem Termin mit einer jungen Schauspielerin muss sie die Flecken von der Castingcouch putzen. Eine andere Kandidatin muss sie in ein Hotelzimmer zu einem «Bewerbungsgespräch» mit dem Chef fahren. Oder sie muss ein Alibi schaffen, wenn die hysterische Ehefrau ihres Vorgesetzten anruft, während der einmal mehr mit einer Newcomerin verschwunden ist.
Filmemacherin Kitty Green (36) zeigt in «The Assistant» den Alltag in einem Büro, an dessen Spitze ein Sextäter im Stil von Harvey Weinstein (68) steht. Damit hat sie für viele den ersten Spielfilm überhaupt über die MeToo-Vorwürfe in Hollywood gedreht. Mit BLICK spricht die Regisseurin am Telefon über die Schattenseiten der Filmindustrie, über Diskriminierung und warum es ihren Film brauchte.
BLICK: Wann kam Ihnen die Idee zu «The Assistant»?
Kitty Green: Ursprünglich wollte ich einen Dokumentarfilm drehen und darin die Erlebnisse von Collegestudentinnen mit sexuellem Missbrauch behandeln. Das war noch vor Harvey Weinstein und der MeToo-Bewegung, und die Universitäten waren einer der wenigen Orte, wo man offen darüber sprach. In der Filmindustrie wurde dieses Thema immer noch totgeschwiegen, alle verschlossen die Augen. 2017 kam der Stein ins Rollen. Ich bin selbst schon lange in der Branche und habe viele Freundinnen, die dort arbeiten. Nach dem Knall sah ich endlich eine Chance, dass ich ihre Erlebnisse erzählen kann.
Dann basiert «The Assistant» auch auf Ihren eigenen Erlebnissen?
Ich war nie die Assistentin eines grossen Studiobosses, das nicht. Aber ich glaube, jede Frau, die in der Filmindustrie arbeitet, erkennt vieles in dem Film wieder. Ich wollte nicht nur den Missbrauch zeigen, sondern auch die Diskriminierung, unter der Frauen in der Branche leiden. Sie werden oft ignoriert, müssen härter für Beförderungen arbeiten, und es wird von ihnen erwartet, dass sie ihren Arbeitskollegen den Kaffee bringen. Das habe ich am eigenen Leib erlebt.
Einen Film über die Schattenseiten Hollywoods in Hollywood zu verkaufen, muss schwierig sein. Wie waren die Reaktionen?
Das war tatsächlich eine komplizierte Situation. Wir gingen meist zuerst die weiblichen Mitarbeiterinnen der Produktionsbüros an. Die waren vom Drehbuch eigentlich alle begeistert und wollten den Film unbedingt realisieren. Als sie das Projekt dann an ihre männlichen Vorgesetzten weiterleiteten, kam immer ein Nein zurück. Wir schwankten ständig zwischen Aufregung und Enttäuschung. Irgendwann hatten wir aber Glück und fanden ein Studio, das unsere Vision teilte.
Haben Sie die vielen Absagen eher motiviert oder demotiviert?
Ich habe von manchen Studios, die den Film abwiesen, gehört, dass es auch bei ihnen nicht mit rechten Dingen zugehen soll. Es ist klar, dass sie danach nicht einen Film drehen wollen, der solche Missstände ans Licht bringt. Umso mehr zeigte es mir aber, dass es einen Film wie «The Assistant» braucht.
Wie waren die Reaktionen auf den fertigen Film?
Ich habe mit Frauen gesprochen, die froh sind, dass ihre Erlebnisse auf der grossen Leinwand gezeigt werden. Viele kommen zu mir und sagen: «Das bin ich. Das war mein Leben.» Auch wenn sie nicht in der Filmindustrie arbeiten. Eine war bei einer Fischerei angestellt, eine andere in einem Restaurant. Sie kannten aber diese erdrückende Kultur des Schweigens. Solche Reaktionen bedeuten mir viel.
Kitty Green kam am 8. August 1984 in Melbourne (Australien) auf die Welt. Nach ihrem Filmstudium drehte sie zunächst Dokumentationen. Ihr Debüt «Ukraine Is Not a Brothel» wurde unter anderem an den Filmfestspielen von Venedig (I) ausgezeichnet. Mit «The Assistant» hat Green ihren ersten Spielfilm gedreht.
Kitty Green kam am 8. August 1984 in Melbourne (Australien) auf die Welt. Nach ihrem Filmstudium drehte sie zunächst Dokumentationen. Ihr Debüt «Ukraine Is Not a Brothel» wurde unter anderem an den Filmfestspielen von Venedig (I) ausgezeichnet. Mit «The Assistant» hat Green ihren ersten Spielfilm gedreht.
Und was sagen die Männer?
Nach einer Vorpremiere kam ein Journalist auf mich zu und sagte, dass er sich selbst in einer Szene erkannte. Darin geben Janes männliche Kollegen ihr Tipps, wie sie am besten ein E-Mail formuliert – und sprechen mit ihr wie mit einem kleinen Kind. Er sagte, dass er bisher nicht bemerkt habe, wie bevormundend solche Tipps sein können, und dass er sein Verhalten nun überdenken wolle. Wenn «The Assistant» eine solche Reaktion hervorrufen kann, habe ich mein Ziel erreicht.
Haben Sie keine Angst, dass der Film Frauen von der Filmindustrie abschrecken könnte?
Dazu muss man anmerken, dass mein Film vor der MeToo-Bewegung spielt. Seither ist vieles besser geworden. Wenn man sich das Beispiel Harvey Weinstein anschaut, drängt sich die Frage auf: Wie zur Hölle konnte er so lange machen, was er wollte? Was ist das für ein System, das so einen Mann unterstützt? Ich glaube, bevor es Veränderungen gibt, muss man erst mal aufzeigen, was verändert werden muss. Das wollte ich mit «The Assistant» tun.
Janes Boss bekommt man im Film nie zu Gesicht, er bleibt diese ominöse Kraft im Hintergrund. Wieso haben Sie ihn nie gezeigt?
Seine Figur an sich war für mich einfach nicht interessant. Ich will mich lieber auf den weiblichen Blickpunkt in der Situation konzentrieren. Dazu musste ich zwar zeigen, welchen Einfluss sein giftiges Verhalten auf das ganze Büro hat. Ihn selbst wollte ich aber möglichst ignorieren. Ich habe schon genug Filme über böse Männer gesehen. Irgendwann reicht es.
«The Assistant» läuft aktuell in den Deutschschweizer Kinos.
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