Klar, zu den grossen literarischen Persönlichkeiten der Weltgeschichte gehört Rosamunde Pilcher (1924–2019) nicht. In den Feuilletons wurden ihre Bücher belächelt oder erst gar nicht erwähnt. Schnulzig, kitschig, trivial hiess es allenthalben.
Tatsächlich sind die Geschichten stets nach ähnlichem Muster gestrickt: Ein Mann und eine Frau treffen und verlieben sich, werden durch Irrungen und Wirrungen getrennt, finden am Schluss wieder zusammen. Happy End garantiert!
Doch genau damit machte Rosamunde Pilcher, die am 22. September ihren 100. Geburtstag gefeiert hätte, viele Menschen glücklich. Oder wie sie es selbst mal formulierte: «Es ist ja nicht so, dass unser Leben immer angenehm wäre. Da ist es doch manchmal schön, an die Hand genommen und in eine andere Welt geführt zu werden.»
England hat grossen Stellenwert in ihren Büchern
Als Kulisse für diese Welt diente meist die südenglische Grafschaft Cornwall mit ihren hübschen Cottages, viel Wind und mystischen Moorlandschaften.
Die Gegend, in die sie 1924 als Rosamunde Scott selbst hinein geboren wurde, ist ein wichtiger Bestandteil ihrer Bücher, wie sie 2011 in einem Interview mit dem ZDF verriet: «In meinem Kopf sind Inhalt und Figuren, aber auch die Atmosphäre komplett fertig, bevor ich zu schreiben anfange. Ich mache mit dem Bleistift Pläne und Notizen und zeichne auch die Häuser.»
Dank Pilcher ist aus dem verschlafenen Cornwall längst eine Feriendestination geworden: 2002 erhielt sie dafür zusammen mit dem ZDF den British Tourism Award.
Zeit im Krieg
Mit dem Schreiben begann sie schon als Teenager. Was viele nicht wissen: Als junge Frau erlebte sie nicht nur Idyllisches: Kurz nach Abschluss der Schule ging sie im Zweiten Weltkrieg freiwillig zum Women’s Royal Naval Service und wurde bis 1945 nach Indien und Ceylon (heutiges Sri Lanka) berufen, die damals zum British Empire gehörten. Bekannt ist über diese Lebensjahre kaum etwas.
Ihr späteres Privatleben konnte mit der Romantik ihrer Romane aber mithalten: Über 60 Jahre war sie mit dem Textilunternehmer Graham Pilcher (1916–2009) verheiratet, zog in dessen schottische Heimat, wo sie vier Kinder bekam.
Über Nacht erfolgreich
Seinetwegen hörte sie in den Nullerjahren mit dem Schreiben auf. «Graham war damals über 90, und ich dachte mir, dass ich unsere letzten gemeinsamen Jahre nicht mit neuen Büchern verbringen will, sondern nur mit ihm», erklärte sie einst diese Entscheidung.
Pilcher schrieb jahrzehntelang, war aber schon 63, als sie mit der Familiensaga «Die Muschelsucher» 1987 den Durchbruch schaffte. Seither verkaufte sie über 60 Millionen Bücher.
«Ich wurde über Nacht erfolgreich, habe allerdings 45 Jahre dafür gebraucht», sagte sie in einer BBC-Talkshow schmunzelnd.
2002 wurde Pilcher der Titel «Officer of the Order of the British Empire» verliehen. Wobei sie im deutschsprachigen Raum bis heute viel bekannter ist als in ihrer Heimat. Grund dafür ist die «ZDF»-Reihe «Herzkino»: Seit 1993 entstanden 173 Filme, die auf ihren Romanen und Kurzgeschichten basieren.
Hübsches Detail am Rande: Unter den Drehbuchautoren besagter Filme findet man gleich mehrmals den Namen Christiane Sadlo, besser bekannt unter ihrem Pseudonym Inga Lindström.
Pilcher-Schnulzen
Doch zurück zu Pilcher. «Die Muschelsucher» wurde sogar zweimal verfilmt: 1989 mit Angela Lansbury («Mord ist ihr Hobby»), 17 Jahre später mit Vanessa Redgrave und Maximilian Schell in den Hauptrollen. Dabei wird – ähnlich wie in den Büchern – auch in Filmszenen gerne über die «Pilcher-Schnulzen» geschnödet.
Schaut man sich jedoch die Liste der bisherigen Schauspieler/innen genauer an, sind einige dabei, auf die «Ich war jung und brauchte das Geld!» definitiv nicht zutraf: Da gaben sich Weltstars wie Sir Peter Ustinov, Jane Seymour, Jacqueline Bisset oder Michael York die schweren Klinken britischer Herrenhaustüren in die Hand.
Auch die versammelte deutsche Schauspielgilde liess sich gerne den südenglischen Wind im obligaten Cabriolet durch die Haare wehen: von Senta Berger und Nadja Tiller über Siegfried Rauch und Dietmar Schönherr bis hin zu Ruth Maria Kubitschek und den «Tatort»-Kommissaren Miroslav Nemec, Axel Milberg und Harald Krassnitzer. Auch TV-Kultfiguren wie Hugo Egon Balder («Genial daneben»), «Disco»-Moderator Ilja Richter oder zuletzt Horst Lichter («Bares für Rares») waren dabei.
Am 6. Oktober läuft nun Verfilmung Nummer 173. Pro Jahr gebe es nur noch drei statt fünf Filme, liess das ZDF verlauten. Sparen ist angesagt, doch ganz aufs «Herzkino» verzichten will man nicht.
Apropos Herz: Geht es bei einem Dreh ständig um Romantik, färbt dies offenbar ab. So fanden über die Jahre mehrere Mitarbeitende der Produktionsfirma am Set ihre grosse Liebe. Inzwischen gibt es sogar über ein Dutzend deutsch-englische «Pilcher-Kinder».
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