In seiner heute erscheinenden Autobiografie «Spare» packt Prinz Harry (38) aus. Doch was treibt den ehemals ranghohen Royal dazu, intimste Details aus seinem familiären Umfeld zu veröffentlichen? Dies habe mit seiner persönlichen Geschichte zu tun, erklärt Familientherapeut und Psychologe Henri Guttmann (68) aus Winterthur ZH.
Blick: Herr Guttmann, was bringt Prinz Harry dazu, seine tiefsten Verletzungen und familiären Auseinandersetzungen mit aller Welt zu teilen?
Henri Guttmann: Prinz Harry ist wie sein Bruder Prinz William durch den tragischen Tod ihrer Mutter Diana schwer traumatisiert. Beide sind mit diesem Trauma anders umgegangen. Bei Harry passiert nun etwas, das wir in der Psychotherapie oft sehen: Der Betroffene wiederholt ein biografisches Muster, das gescheitert ist, und hofft, durch die Wiederholung ein anderes Ergebnis zu erzielen. Anders gesagt: Harry konnte seine Mutter vor den britischen Medien und dem Tod nicht retten, dafür rettet er nun seine Ehefrau Meghan.
Die Abdankung als aktive Royals und der Umzug in die USA waren scheinbar als Rettungsmassnahme nicht genug.
Ja, und ich vermute, dass dies stark mit Harrys Charakter zusammenhängt. Die Rolle des Braven und Angepassten, die Bruder William rasch einnahm, lag Harry nie. Indem er sich jetzt erneut rebellisch zeigt und seinen eigenen Weg geht, grenzt er sich einmal mehr von seinem Bruder und seiner Familie ab. Für diese Freiheit und vermeintliche Sicherheit ist Harry bereit, einen hohen Preis zu bezahlen.
Dennoch betont Harry, dass sein grösster Wunsch, eine Versöhnung mit seinem Bruder und mit seinem Vater sei. Ist das nach diesen brisanten Enthüllungen noch möglich?
Ja, eine Versöhnung ist immer möglich, denn die familiäre Bindung ist eine der stärksten Bindungen, die wir kennen. Als Familientherapeut hab ich gesehen, dass selbst die zerstrittensten Familien einander verzeihen können – vorausgesetzt, dass dies alle Seiten wollen. Für eine Annäherung zwischen Harry, William und Charles wäre es meiner Ansicht nach besonders wichtig, dass eine Fachperson die Versöhnungsgespräche moderiert. Dies verhindert unnötige Schuldzuweisungen.
Was lösen Harrys intime Enthüllungen bei Bruder William und Vater Charles aus?
Diese Aussagen werden bei beiden für Unverständnis sorgen. Ich glaube aber nicht, dass sie wütend sind. Seit Charles' Tampon-Affäre und Andrews Sex-Skandal ist sich die britische Königsfamilie anderes gewohnt. Die Aussagen von Harry haben aber einen Signalcharakter. Er wollte damit alle einmal durchschütteln und sagen: ‹Hey da läuft etwas falsch. Das muss aufhören, und ich möchte wieder von euch akzeptiert werden!› Harrys Bruder und Vater täten nun gut daran, auf ihn zuzugehen. Das heisst, Charles sollte nicht auf den Tisch hauen, sondern ein Treffen auf Augenhöhe arrangieren.
Wie schätzen Sie die Auswirkungen von Harrys Enthüllungen auf sein Image ein?
Harry hat sich mit seinen Aussagen massiv geschadet. Gerade das Taliban-Statement war nicht lebensklug – da hätte ihn der Verlag schützen sollen. Doch dieser scheint die Verkaufszahlen über die Sicherheit und das Image seines Autors zu stellen. Ich hoffe für Prinz Harry, dass er sich fortan darauf konzentrieren kann, sich ein neues Leben abseits der Opferrolle aufzubauen und sich mit seiner Familie bald aussöhnen kann.