Wer stellt sich schon Müll ins Bücherregal! Es braucht deshalb ein gerüttelt Mass an Unverfrorenheit, das Buch, welches am kommenden Mittwoch neu in den Handel kommt, «Müll» zu nennen und auf dem Umschlag einen schwarzen Abfallsack abzubilden. Oder es braucht grosses Selbstbewusstsein.
Und das darf der österreichische Schriftsteller und Bestsellerautor Wolf Haas (61) durchaus haben, denn seine Krimis rund um den kurlig-kauzigen Privatdetektiv Simon Brenner sind das, was man häufig hört, aber selten zutrifft: Kult. Und sie räumen viele Preise ab, darunter den Burgdorfer Krimipreis (2000).
Wertstoff
«Ich denke, die Menschen mögen den sarkastischen Humor, in dem die Geschichten erzählt werden», sagt Wolf Haas gegenüber Blick. «Ein kleiner Erholungsurlaub vom literarischen Tonfall.» Mündlich anmutende Sätze in der «Brennerschen Hauruck-Grammatik» (O-Ton Haas).
Tadelt der Autor im Privatleben oberlehrerhaft jeden Grammatikfehler, schreibt er in seinen Krimis halbgare Sätze wie «aber jetzt pass auf», «aber interessant», «jetzt ist schon wieder was passiert» oder «und du darfst eines nicht vergessen» – sie machen den besonderen Brenner-Krimi-Sound aus.
«Ich suche eigentlich gar keinen Sound», sagt Haas, «Der Tonfall ergibt sich einfach aus dieser übermotivierten Erklärsucht meines Erzählers.» Dieser wolle die Welt so gern verstehen, aber könne einfach nicht begreifen, dass er zu blöd dazu sei. Dabei darf man die Figur des Erzählers nicht mit dem blitzgescheiten Autor gleichsetzen.
Altlast
Letzten Herbst waren es 25 Jahre her seit dem ersten Brenner-Krimi «Auferstehung der Toten». «Komisch, dass das schon so lang her ist», sagt Haas. «Gefühlsmässig war mein erstes Buch erst vor ein paar Jahren.» Aber er habe unlängst auch eine neue Jacke angezogen, die er nachweislich vor zehn Jahren gekauft habe.
Die ersten Brenner-Krimis seien nicht so bombastisch gelaufen, weil sich die Leser erst an den heftigen Tonfall hätten gewöhnen müssen. «Viele haben mir erzählt, dass sie den Brennerstil zuerst ablehnten und erst nach ein paar Kapiteln angefixt waren», sagt Haas. So seien von Buch zu Buch ein paar Unerschrockene dazugekommen.
Die riesig angewachsene Nachfrage belastete den Autor. Haas: «Erwartungen erfüllen macht keinen Spass.» Er wollte lieber Sachen schreiben, die man nicht so von ihm erwartete: «Ausgebremst. Der Roman zur Formel 1» (1999), «Das Wetter vor 15 Jahren» (2006) oder «Verteidigung der Missionarsstellung» (2012).
Wegwerfartikel
So veröffentlichte Haas mit «Das ewige Leben» 2003 fürs Erste den letzten Brenner-Krimi. Wie machte er Schluss? Nicht, indem er Brenner aus dem Weg räumte, sondern weitaus raffinierter. «Ich hab die Serie mit dem sechsten Band beendet, indem der Erzähler auf der letzten Seite erschossen wurde», so Haas.
«Vom Heinz aus gesehen ich direkt hinter dem Brenner», heisst es auf Seite 203 von «Das ewige Leben». Dann schiesst Heinz, Brenner macht einen Sprung – und die Kugel trifft den Erzähler: «… ich höre noch ding wie wie wie ding und ding und riesenrotes Loch und ganz gewaltig ding und ich ding und ich ding ding ich …»
Danach pulsieren über eine ganze Buchseite noch 401 «ding». Fertig. In einigen Zeitungsartikeln stand danach zu lesen, dass Privatdetektiv Simon Brenner tot sei. Und Wolf Haas lachte sich ins Fäustchen, denn fintenreich hatte er sein Publikum hinters Licht geführt – schliesslich heisst der Krimi «Das ewige Leben».
Secondhand
2003 gab es bereits eine erste Zweitverwertung der Krimis: Mit «Komm, süsser Tod» war im Jahr 2000 die Verfilmung des dritten Brenner-Krimis von 1998 in die Kinos gekommen. 2004 folgte «Silentium!», 2009 «Der Knochenmann» und 2015 «Das ewige Leben» – in Österreich sind sie allesamt unter den 15 erfolgreichsten Filmen.
Das hat vor allem mit der passgenauen Besetzung von Simon Brenner zu tun: Der österreichische Schauspieler und Kabarettist Josef Hader (60) spielt in allen Filmen den Privatdetektiv. «Hader als Darsteller war auf jeden Fall ein Glücksfall», sagt Haas, der seine Krimis früher für unverfilmbar hielt.
«Buch und Film haben sich wohl gegenseitig die Räuberleiter gemacht», sagt Haas. «Anfangs war der Erfolg der Bücher der Grund dafür, dass es zu einer Verfilmung kam.» Danach seien die Filme hilfreich gewesen, dass der Brenner nicht so schnell in Vergessenheit geraten sei.
Altes Eisen
Jahre nach dem vermeintlich letzten Brenner-Fall «Das ewige Leben» erinnerte sich Haas an den schönen Spruch: «Wenn du einmal stirbst, muss man das Maul extra erschlagen.» Ihm gefiel der Gedanke, dass das Maul vom erschossenen Erzähler weiterredet. Und wenn das Maul rede, sei der Brenner nicht weit.
So erschien 2009 mit «Brenner und der liebe Gott» der siebte und 2014 mit «Brennerova» der achte Krimi der Reihe. «Durch die langen Pausen ist Brenner für mich wieder neu geworden», sagt Haas. «Er war wieder der Dahergelaufene, nach dem kein Hahn mehr gekräht hat.» Das passe besser zu ihm als ein Erfolgsabo.
Und nun also «Müll», nach acht Jahren der neunte Brenner-Krimi. Da der Privatdetektiv im ersten Krimi 44 Jahre alt war, müsste er dieses Jahr den runden 70. feiern können. «Um diese Frage hab ich mich herumgeschwindelt», sagt Haas. Es könne sein, dass er weniger schnell altere als sein Autor.
Bioabfall
Denn einerseits will Haas keinen zu alten Detektiv präsentieren, andererseits auch keine Corona-Masken beschreiben. Deshalb legt er die Handlung in die Vergangenheit und beginnt «Müll» mit dem Satz: «Jetzt, wo es verjährt ist, muss man wenigstens keine Angst mehr haben, dass man was Falsches sagt.»
In der Geschichte findet Udo, ein Angestellter bei einer Wiener Kehrichtverwertungsanlage, einen falsch entsorgten Gegenstand in der Wanne für Sperrmüll. «Knie in Wanne 4, da kannst du von einem Kreislauf nur träumen», sagt der Erzähler in «Müll». «Menschliches Knie wäre natürlich, wenn schon, Biomüll. Wanne 19.»
Schnell finden die Müllmänner weitere Leichenteile – nur vom Herz fehlt zunächst jede Spur. Geht es hier bloss um Leichenfledderei, wie die Polizei vermutete, oder handelt es sich um Mord? Und schon steckt Privatdetektiv Simon Brenner voll im Mist und versucht Ordnung in die Sache zu bringen.
Recycling
Wieso mussten wir acht Jahre auf diesen rasanten Krimi warten, in dem der Privatdetektiv abwechselnd Tesla, Altglas-Laster und Strassenreinigungsmaschine fährt? «Ich würde gern behaupten, dass man mit der Zeit selbstkritischer wird», sagt Haas. «Aber wahrscheinlich wird man einfach langsamer.»
Eins, zwei, fünf, acht: Die Jahresabstände zwischen den Brenner-Krimis folgen fast schon der immer grösser werdenden Fibonacci-Zahlenreihe. Dergemäss müssten wir 13 Jahre auf den nächsten Brenner warten, danach 21 Jahre. Richtig? «Wunderbar, diese Idee werde ich von Ihnen klauen», sagt Haas.
«Dann hab ich also jetzt 13 Jahre frei», sagt er. Und beim übernächsten Krimi ist Haas 95 Jahre alt. Im Hinblick darauf sagt der Schriftsteller noch fordernd: «Dann müssen Sie mich aber wieder interviewen!» Versprochen!
Wolf Haas, «Müll», Hoffmann und Campe; der Roman erscheint am 2. März.