Der neue Roman des französischen Skandal-Autors
Michel Houellebecq prophezeit französischen Präsidenten von 2027

Der französische Starautor schlägt wieder zu, aber sanft: Michel Houellebecq (65) veröffentlicht heute seinen achten Roman «Anéantir», die deutschsprachige Übersetzung «Vernichten» folgt am kommenden Dienstag. Ein Rückblick und eine Vorschau.
Publiziert: 07.01.2022 um 09:31 Uhr
Daniel Arnet

Das neue Literaturjahr beginnt gleich mit einem Paukenschlag: Heute erscheint «Anéantir», die Originalausgabe des achten Romans vom französischen Starautor Michel Houellebecq (65), in einer Startauflage von 300’000 Exemplaren; nächsten Dienstag folgt die deutschsprachige Übersetzung «Vernichten».

Und wie das so ist mit Ereignissen, die wie ein Augapfel gehütet sind, auf die aber alle Blicke gerichtet sind: Die Versuchung ist gross, vorab etwas zu zeigen. Tatsächlich kursierten noch vor Weihnachten die 736 Seiten von «Anéantir» billig gescannt als Raubkopie im Internet. Ein Affront!

Aber irgendwie passt das bestens zum Skandalschriftsteller, der mit Werk und Wort seit über 25 Jahren regelmässig für medienwirksamen Aufruhr sorgt: Houellebecq, der Reaktionär; Houellebecq, der Rassist; Houellebecq, der Religionsfeind. Und immer wieder ertönt der Vorwurf, dass er ein Frauenhasser sei.

Ja, Houellebecq ist kein kuscheliger Wohlfühlautor. In seinen Bestsellerromanen von «Ausweitung der Kampfzone» (1999, französisches Original 1994) über «Die Möglichkeit einer Insel» (2005) bis hin zu «Serotonin» (2019) zeichnet er ein düsteres Bild der französischen Gesellschaft.

Frustrierte Franzosen

Die männlichen Hauptfiguren um die 40 sind meist ausgebrannte, frustrierte und depressive Gestalten – etwa Bruno in «Elementarteilchen» (1998), Michel in «Plattform» (2001) oder François in «Unterwerfung» (2015). Sie entwickeln eine Sexbesessenheit (Bruno), gehen zu Prostituierten (Michel) oder werden zu Trinkern (François).

Diese Abstürze der Männer gehen einher mit Erniedrigungen des weiblichen Geschlechts: «Frauen sind Schlampen», steht in «Serotonin» zu lesen, und in der «Ausweitung der Kampfzone» fordert der Erzähler einen Kollegen zu einem Sexualmord auf. Mit solchen Grenzüberschreitungen und Tabubrüchen provoziert Houellebecq immer wieder. Und das Publikum lässt sich provozieren.

Der deutsche Literaturkritiker Volker Weidermann (52) nennt ihn den «radikalsten Schriftsteller unserer Zeit». Die Tatsache, dass die meisten Romane aus der Ich-Perspektive erzählt sind, verleitet manche Leserin, manchen Leser dazu, die radikalen Aussagen der Figuren dem Verfasser zuzuschreiben. Auch wenn solche Parallelen unzulässig sind: Houellebecq liess da und dort seine Lebensgeschichte in die Literatur einfliessen.

So trägt der Komiker und Zyniker Daniel1 aus «Die Möglichkeit einer Insel» autobiografische Züge, in «Die Ausweitung der Kampfzone» verarbeitete der diplomierte Landwirtschaftsingenieur seine drei Jahre im französischen Landwirtschaftsministerium Mitte der 1980er-Jahre, und in «Karte und Gebiete» (2011) tritt er gleich selber als berühmt-berüchtigter Michel Houellebecq auf, den ein Künstler auf Leinwand porträtiert.

«Nicht mehr so zerbrochen»

Das Verweben von Leben und Literatur, von Fakten und Fiktion beherrscht der Franzose wie kein Zweiter, und er sorgt auch mit Aussagen ausserhalb seiner Bücher immer wieder für Empörung: Houellebecq streitet öffentlich mit seiner Mutter über sein Geburtsjahr (sie gibt 1956 an, er behauptet 1958), bezeichnet Napoleon schlimmer als Hitler und nennt den Islam die dümmste Religion – eine Aussage, die er allerdings später relativiert.

«Vernichten», der Titel des neuesten Romans, lässt wieder einen Rundumschlag gegen Frankreich vermuten. Doch der Kritiker der Westschweizer «Le Temps» ist überrascht: «Das von Houellebecq geschilderte Land ist nicht mehr so zerbrochen wie in den vorangegangenen Büchern.» Dieses Mal gebe es keine Verherrlichung der Gewalt und unheilvolle Leidenschaften.

Der französischen Zeitung «Le Monde» sagt Houellebecq, er erzähle in «Vernichten» die Geschichte des 47-jährigen Staatsbeamten Paul Raison und seiner ihm sexuell entfremdeten Frau Prudence. Das Paar wähle Marine Le Pen, allerdings nicht im aktuellen französischen Präsidentschaftswahlkampf, sondern erst im nächsten nach weiteren fünf Jahren Emmanuel Macron, denn der Roman spielt im Jahr 2027.

Houellebecq, der die Handlung seiner Bücher oftmals in die Zukunft versetzt, wird eine prophetische Sicht zugesprochen. Die Terroranschläge von Bali im Jahr 2002 und die Gelbwestenbewegung in Frankreich von 2019 zeichnete er schon in seinen Romanen vor. Mit seiner Prophezeiung in «Unterwerfung» (2015), dass 2022 ein Islamist französischer Präsident wird, dürfte Houellebecq allerdings falsch liegen – und revidiert dieses Szenario auch gleich mit seinem neuen Roman.

Foto: AFP

Michel Houellebecq, «Anéantir», Flammarion.

Die deutschsprachige Übersetzung «Vernichten» veröffentlicht der Dumont-Verlag am 11. Januar.

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