Der Bundesrat will am Mittwoch schweizweite verschärfte Massnahmen zur Eindämmung von Corona-Neuinfektionen beschliessen. Experten zweifeln bereits, ob das Regelpaket ausreicht, darunter verschärfte Maskenpflicht, Beschränkung von öffentlichen Versammlungen auf 50 Personen, Schliessung von Restaurants um 22 Uhr sowie weitere Massnahmen. Wird die Schweiz nicht umhinkommen, auch nächtliche Ausgangssperren und strikte Reisebeschränkungen auszurufen?
Der «SonntagsZeitung» sagt Nicola Low, Mitglied der wissenschaftlichen Taskforce des Bundes und Epidemiologin an der Universität Bern: «Die vorgeschlagenen Massnahmen könnten bereits nicht mehr ausreichen.» In der aktuellen Situation zähle jeder Tag, und «mit jedem Tag Zuwarten wird es schwieriger, die zurzeit hohe Anzahl von Infektionen zu bremsen».
Die gleichen Bedenken äusserte zuvor ihr Taskforce-Kollege Christian Althaus, ebenfalls Epidemiologe an der Uni Bern. Die von Bund und Kantonen ergriffenen Massnahmen würden der Entwicklung der Infektionsausbreitung hinterherlaufen. «Es braucht mindestens zwei Wochen bis die Wirkung einer Massnahme ersichtlich ist. Was soll dieses sinnlose Zuwarten?», schrieb Althaus auf Twitter.
Die Schweiz ist nicht China, aber ...
Doch welche Massnahmen verbleiben dem Bundesrat oder den Kantonen? Wie haben andere Länder die Ausbreitung des Virus wirksam bekämpft? China, das der erste von Covid-19 betroffene Schauplatz war, hatte schnell alle Weichen gestellt, um das neuartige Lungenfieber in den Griff zu bekommen. Ein zentralisiertes System bekämpfte die Epidemie. Auf Schweizer Verhältnisse angewendet hätte das Grenzschliessungen, interkantonale Reisebeschränkungen und strikte lokale Lockdowns bedeutet.
Haben sich die Rahmenbedingungen inzwischen geändert? Wird die Schweiz nicht verhindern können, ähnlich radikale Massnahmen ergreifen zu müssen? In der Schweiz herrschen noch immer vergleichsweise lockere Massnahmen im Vergleich zu anderen europäischen Ländern.
Die «Schnelligkeit der Reaktion Chinas war der entscheidende Faktor», sagte Gregory Poland, Direktor der Impfstoff-Forschergruppe an der renommierten Mayo-Klinik in Rochester, USA, dem auf Infektionskrankheiten spezialisierten Journal «The Lancet». Die Chinesen hätten «sehr schnell gehandelt, um die Übertragung zu stoppen. Andere Länder, obwohl sie viel länger Zeit hatten, sich auf die Ankunft des Virus vorzubereiten, verzögerten ihre Reaktion, und das bedeutete, dass sie die Kontrolle verloren.»
Was, wenn Zahl der Neuinfektionen nicht sinkt?
Die grosse Frage wird sein, ob die Schweiz um nächtliche Ausgangssperren umhinkommt, wenn auch verschärfte Massnahmen die Zahl der Neuinfektionen nicht drosseln. Ausgehsperren gelten derzeit in verschiedenen Städten und Ländern Europas, darunter in Rom, Paris und Belgien, und haben zuvor in zahlreichen Hotspots Infektionsherde auch einzudämmen vermocht.
Thailand zum Beispiel hat es geschafft, eingeschleppte Virusfälle gleich nach Beginn der Pandemie mit einem rigorosen zweiwöchigen nächtlichen Ausgangsverbot und starken Einschränkungen im Reiseverkehr abzutöten. Die teils harschen Beschränkungen – auch ein Verkaufsverbot für Alkohol – wurden Schritt für Schritt gelockert, als sich der Erfolg der Massnahmen abzeichnete.
Heute kann man sich in Thailand praktisch sorglos bewegen. Strikte Einreisemassnahmen dauern an und sollen über die nächsten Monate gelockert werden. Ökonomen zufolge kommt die thailändische Volkswirtschaft trotz massiver Einbrüche mit einer Abschottung besser davon, als wenn das Land die Kontrolle über die Viruskrise verloren hätte.