«Die Völkerwanderung ist grotesk»
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Christian Schaub (53):«Die Völkerwanderung ist grotesk»

Ü50 sollen im Nachbarland Job suchen – Betroffener ist sauer
Basel schickt Schweizer Arbeitslose nach Deutschland

Christian Schaub steht kurz vor der Aussteuerung. Deshalb wird der Langzeitarbeitslose so richtig sauer, als er von seinem RAV eine Einladung zu einem Info-Anlass erhält, der ihm das Arbeiten in Deutschland schmackhaft machen soll.
Publiziert: 06.05.2019 um 22:57 Uhr
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Aktualisiert: 30.07.2019 um 16:52 Uhr
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Christian Schaub zeigt das Schreiben, das ihn so sauer macht: «Wohnen in der Schweiz – Arbeiten als GrenzgängerIn in Deutschland.»
Foto: Stefan Bohrer
Christian Kolbe

Christian Schaub (53) ist sauer: Der arbeitslose Speditionskaufmann aus Basel hat vom kantonalen Amt für Wirtschaft und Arbeit (AWA) eine Einladung zu einem Info-Anlass erhalten. Der Titel lautet: «Wohnen in der Schweiz – Arbeiten als GrenzgängerIn in Deutschland.» 

Schaub ist auf Jobsuche, hat viele Absagen erhalten. Ab Juli droht ihm die Aussteuerung und damit das Sozialamt. Nun soll er auch in Deutschland nach Arbeit suchen. «Es ist grotesk, Basel wird von Grenzgängern überflutet. Schweizer Arbeitslose wie mich schickt man dafür zum Arbeiten nach Deutschland. Dieses System ist doch krank», echauffiert sich Schaub im Gespräch mit BLICK. Er wolle sich nicht nach Deutschland zur Arbeitssuche abschieben lassen. «Ich sehe keinen Grund, warum ich nach Deutschland arbeiten gehen soll.»

Inländer-Vorrang für alle durchsetzen 

Schaub schlägt vor: «Man sollte die Arbeitgeber viel mehr in die Pflicht nehmen, erst Schweizer anzustellen, bevor sie Angestellten aus der Grenzregion einen Job verschaffen.»

Mit einer Quote von 3,3 Prozent war die Arbeitslosigkeit im März in Basel-Stadt so hoch wie in keinem anderen Deutschschweizer Kanton. In Deutschland ist die Quote tiefer. Das sind dort allerdings auch die Löhne. 

Der Weg von Christian Schaub in die Langzeitarbeitslosigkeit beginnt 2015. Damals arbeitet er in einer Speditionsfirma, bekommt einen neuen Chef, fühlt sich von diesem aber nicht akzeptiert. Schaub kündigt die Stelle, findet schnell eine neue. Die er bald darauf wieder verliert. Festanstellungen gibt es keine mehr, nur noch Temporärjobs mit tieferem Einkommen. Schaub passt seine Ausgaben laufend an, zieht in eine kleinere Wohnung, trägt sich mit dem Gedanken, sein Auto zu verkaufen. 

Den Mumm verloren

Die Situation belastet den Schweizer, er leidet unter Depressionen, seine langjährige Beziehung zerbricht. Er bewirbt sich wieder und wieder – ohne Erfolg. «Ich würde gerne arbeiten, bin voll arbeitsfähig. Doch langsam verliere ich den Mumm, mich überhaupt noch zu bewerben», erzählt Schaub.

Sein Verdacht: «Ich werde zwar zu Vorstellungsgesprächen eingeladen, doch aufgrund meines Alters schnell wieder aussortiert. Diese Scheinheiligkeit macht mir zu schaffen.»

Auch deshalb fordert er, dass die Hürde für Schweizer Firmen höher sein müsste, ehe sie einen Grenzgänger überhaupt einstellen dürfen. «Wer in der Schweiz lebt – egal, ob Schweizer oder Ausländer –, der soll auch in der Schweiz arbeiten können.» 

Amt für Arbeit und Wirtschaft sieht kein Problem

Seine Stimmung ist auf dem Tiefpunkt. Die Einladung des AWA Basel in seinem Mail-Postfach brachte das Fass zum Überlaufen: «Es kann doch nicht sein, dass billigere Grenzgänger Vorrang vor älteren Schweizer Arbeitnehmern haben», beklagt sich Schaub. 

Auf Anfrage von BLICK erklärt das AWA Basel, dass die grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Arbeitsmarkt Tradition habe. «Es handelt sich um einen Informationsanlass, der sich an freiwillig interessierte Stellensuchende richtet, die ihre Kenntnisse über den deutschen Arbeitsmarkt erweitern wollen. Es findet keine Stellenvermittlung statt. Eine Verpflichtung besteht nicht», wiegelt die Amtsstelle ab. Das AWA bestätigt aber, dass das Mail «vornehmlich an Personen Ü50» geschickt wurde. 

Kein Zwang, bloss Information? Schaub sieht im Moment keinen Grund, am AWA-Anlass teilzunehmen: «Ich würde mich an dieser Veranstaltung nur zu sehr aufregen!»

Sie arbeiten bereits in Deutschland und wohnen in der Schweiz. Wie geht das? Erzählen Sie uns von Ihren Erfahrungen:

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Computer sortiert Alte aus

Wer einen Job will, muss heute oft erstmals an einem Computerprogramm vorbeikommen. Besonders schwierig haben es über 50-Jährige. Denn die automatisierten Programme arbeiten mit Filtern, bei denen das Alter der Bewerber ein zentrales Kriterium bildet, so der SonntagsBlick in der aktuellen Ausgabe. Seither haben es die Ü50 noch schwerer, einen Job zu finden.

Diese Diskriminierung der älteren Arbeitnehmer ist nun auch amtlich belegt: «Gewisse Arbeitgeber in gewissen Branchen ziehen jüngere Stellenbewerber aus verschiedenen Gründen grundsätzlich vor.» Das steht in einem Bericht, der das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) in Auftrag gegeben hat.

Die über 50-Jährigen bringen zwar Know-how und Erfahrung mit, sind aber auch häufig teurer. Besonders wenig Chancen haben sie in der Informatik-, Telekom- und Bankenbranche, aber auch in der Pharma- und Lebensmittelindustrie, so Daniel Lampart vom Schweizerischen Gewerkschaftsbund. Er fordert deshalb einen besseren Kündigungsschutz für langjährige Mitarbeiter und ein Diskriminierungsverbot.

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