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Swissmem-Präsident Hans Hess sieht den Werkplatz Schweiz in Gefahr
«Öffnet rasch die Grenzen für unsere Leute»

Viele Schweizer Industriefirmen haben gut gefüllte Auftragsbücher. Und auch produziert wird fleissig. Nur kriegen die Unternehmen die Maschinen nicht aus dem Land. Swissmem-Präsident Hans Hess ergreift nun die Initiative.
Publiziert: 06.05.2020 um 23:42 Uhr
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Aktualisiert: 28.08.2020 um 08:49 Uhr
Industriefirma bleibt auf fixfertigen Maschinen sitzen
6:04
Swissmem-Präsident fordert:Industriefirma bleibt auf fixfertigen Maschinen sitzen
Interview: Ulrich Rotzinger

Er habe Glück gehabt, auch die Familie. Bislang sei er vom Coronavirus verschont geblieben, sagt Hans Hess (65). «Seit langem habe ich nun wieder meine Grosskinder in die Arme genommen.» Man spürt den Tatendrang des Swissmem-Präsidenten. Ob das an der Lockerung des Lockdowns liegt? Auf Mundschutz verzichtet er beim Interview mit BLICK. Der nötige Abstand bleibt gewahrt. «Ich gehöre ja auch zur Risikogruppe.» Weniger Glück hat die Industrie, die er vertritt. Viele Maschinenbauer sind ins Strudeln geraten.

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Für Swissmem-Präsident Hans Hess (65) sind die Reiserestriktionen ein Graus.
Foto: Philippe Rossier

BLICK: Herr Hess, nicht nur Sie scheinen der Lockerung entgegenzufiebern. Kommt die Öffnung zu spät?

Hans Hess: Anfangs dachte ich das. Die Lockerung ist mir zu langsam vorwärtsgegangen. Dabei sind wir eines der Länder, die früher als andere bereits wieder aufmachen. Der Bundesrat hat jetzt aber nachgebessert. Inzwischen halte ich den Mittelweg, den die Schweiz gewählt hat, für einen vernünftigen Weg. Ob er richtig war, werden wir in ein bis zwei Jahren sehen.

Was fehlt Ihnen?

Der Bundesrat hat mit dem rigorosen Lockdown zwar die Leute aufgeweckt. Sie haben gemerkt, dass jetzt nicht mehr alles normal ist, dass sie jetzt aufpassen müssen. Der Bundesrat hat der Bevölkerung aber noch keine kohärente, auf verschiedene Instrumente abgesicherte Schutzstrategie als Alternative zu einem erneuten Schliessen präsentiert. Denn das Letzte, was wir wollen, ist, noch einmal in einen Lockdown gehen zu müssen. Das kann sich unser Land auch finanziell nicht nochmals leisten.

Was sind das für Instrumente?

Es braucht deutlich mehr Covid-19-Tests, auch bei kaum wahrnehmbaren Symptomen. Viel mehr Antikörper-Tests für diejenigen, die das Virus bereits hatten. Gerade in einer Grossvater-Enkel-Beziehung ist es wichtig zu wissen, dass man immun ist. Dazu gehören auch der breitere Einsatz von Schutzmasken, Handschuhen sowie alle Social-Distancing-Massnahmen. Und natürlich auch Contact-Tracing. Den ganzen Strauss von Instrumenten und Massnahmen sollte man zu einem Standard machen für die Zukunft. Bei der Stufe Gelb müssen wir beispielsweise Abstand halten, bei Stufe Rot müssen wir beispielsweise eine Maske tragen, und so weiter.

Hat die Krisenbewältigung jetzt nicht Vorrang?

Was unsere MEM-Industrie anbelangt, haben wir uns im ersten Quartal noch einigermassen gehalten. Unsere Produktion stand ja nie ganz still. Doch seit Ende März schlägt die Krise in den Betrieben voll durch. Die kommenden Monate werden eine Katastrophe. Die Aufträge sind abgearbeitet, neue kommen keine mehr rein. Die Mehrheit der Firmen wird im zweiten Quartal einen Verlust einfahren.

Welche Rolle spielen die geschlossenen Grenzen?

Die Reise-Restriktionen sind für die exportorientierten Firmen ein grosses Problem, das der Bundesrat noch nicht wirklich angegangen ist und das mir grosse Sorgen bereitet. Geschlossene Grenzen sind absolutes Gift für uns. Die MEM-Industrie exportiert 80 Prozent ihrer Produkte ins Ausland. Grenzüberschreitende Reisen sind für uns überlebensnotwendig, um den Verkauf und die Abnahme von Produkten sicherzustellen.

Ab nächstem Montag dürfen doch erste Fachspezialisten wieder die Grenze passieren, wie Bundesrätin Karin Keller-Sutter angekündigt hat.

Ob die Fachleute tatsächlich im Ausland ein- und ausreisen dürfen, ist überhaupt noch nicht garantiert. Ich habe Frau Keller-Sutter genau zugehört. Sie ist in ihrem Denken auf das Migrationsthema ausgerichtet. Zum Beispiel, wie viele Anträge am Montag wieder bearbeitet, wie viele Aufenthaltsbewilligungen wieder erteilt werden. Mit unserem Problem hat das absolut nichts zu tun.

Inwiefern?

Unsere Abnahme-, Installations- und Servicemonteure müssen wieder uneingeschränkt zu den Kunden in der ganzen Welt reisen und wieder zurückkommen können. Gleichzeitig müssen Fachspezialisten aus dem Ausland in die Schweiz einreisen können, um ihre bestellten Maschinen abzunehmen. Die Deutschen sind zum Teil nicht in die Schweiz gekommen, weil sie bei ihrer Rückkehr zwei Wochen in Quarantäne hätten gehen müssen. Und so bleiben die Maschinen auf den Verladerampen blockiert, niemand kommt sie abholen. Die Firmen können nicht einmal eine Rechnung stellen, geschweige denn Geld einziehen. Liquiditätsnotstand droht.

Viele Ihrer Firmen haben doch längst Verkaufs- und Serviceniederlassungen in den Abnehmerländern.

Für die grösseren Firmen stimmt das natürlich. Die haben weniger Probleme. Am schlimmsten ist es für die kleinen und mittleren Unternehmen, die mehr oder weniger alles aus der Schweiz heraus machen. Die leiden jetzt am meisten.

Wie lange halten das die Betriebe noch durch?

Monate kann das so nicht mehr weitergehen. Der Bundesrat muss sich bewusst sein, dass die im Migrationsverwaltungswesen angekündigte Massnahme zur Grenzöffnung bei weitem nicht unsere Erwartungen und Bedürfnisse erfüllt. Sie ist irrelevant für die Exportindustrie mit ihren über 700'000 Angestellten in der Schweiz und einem Beitrag von 20 Prozent des Bruttoinlandprodukts. Wir brauchen eine Perspektive, wie alle anderen Branchen auch. Darum appelliere ich, die Grenzen für unsere Geschäftsleute rasch wieder zu öffnen.

Wie stellen Sie sich das denn vor?

Ich spreche hier von einer gezielten Lockerung der Ein- und Ausreisesperren. Es ist entscheidend, dass der Bundesrat mit gewissen Abnehmerländern in einer gewissen Priorität jetzt sicherstellt, dass Geschäftsreisende umgehend wieder reisen können. Und das nicht nur am Boden, sondern auch interkontinental in der Luft. Die Flughäfen Zürich und Genf und die Swiss sind für den Export ebenfalls Schlüssel-Infrastrukturen.

Welche Länder haben jetzt Priorität?

Am wichtigsten ist die Europäische Union, in die 60 Prozent unserer Exporte hingehen. Wenn die Schweiz nur schon mit unserem bedeutendsten Abnehmer Deutschland am nächsten Montag eine Vereinbarung treffen könnte, wäre schon vieles einfacher. Und dann noch mit Österreich. Sie sind in einem ähnlichen Öffnungszustand wie wir. Also öffnet am Montag die Grenzen beider Länder für alle Geschäftsleute, von mir aus mit Begleitmassnahmen wie Corona-Tests. Zeigen Bund und Kantone nur ein bisschen Willen, ist so eine Sonderbewilligung in einem Tag auf dem Tisch.

Viele Firmen sagen bereits, nicht die Corona-Krise, sondern das, was danach kommt, mache ihnen mehr Sorgen.

Die Frage ist, wie gross der strukturelle Schaden ist, der nach der Krise bleibt. Wenn wir jetzt nach den Sommerferien neue Aufträge bekommen, kann im vierten Quartal wieder langsam vorwärtsgemacht werden. Ein Grossteil der Arbeitsplätze wäre gesichert. Gibt es über Monate aber keine Lösung bei den Reiserestriktionen, sieht es düster aus. Gerade solche Firmen, die letztes Jahr schon grössere Verluste machten, werden dieses Jahr dann nicht überstehen. Auch darauf müssen wir uns gefasst machen.

Der Industrie-Kapitän

Er ist das bekannteste Gesicht der Schweizer Industrie: Hans Hess (65), Präsident des Branchenverbands Swissmem. Dieser vertritt 320'000 Angestellte der Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie (MEM). Beim Wirtschaftsdachverband Economiesuisse ist Hess Vizepräsident. Darüber hinaus präsidiert er den Verwaltungsrat von Reichle & De-Massari und ist Vizepräsident der Dormakaba Holding. Seit 14 Jahren gehört ihm die Unternehmensberatung Hanesco.

Er ist das bekannteste Gesicht der Schweizer Industrie: Hans Hess (65), Präsident des Branchenverbands Swissmem. Dieser vertritt 320'000 Angestellte der Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie (MEM). Beim Wirtschaftsdachverband Economiesuisse ist Hess Vizepräsident. Darüber hinaus präsidiert er den Verwaltungsrat von Reichle & De-Massari und ist Vizepräsident der Dormakaba Holding. Seit 14 Jahren gehört ihm die Unternehmensberatung Hanesco.

Coronavirus

Das Coronavirus beschäftigt aktuell die ganze Welt und täglich gibt es neue Entwicklungen. Alle aktuellen Informationen rund ums Thema gibt es im Coronavirus-Ticker.

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