Morgens eine Sitzung in Bern, dann ein Treffen in Zürich und abends eine Extraschicht, weil Personalnotstand herrscht: Ein SBB-Mitarbeiter arbeitete wochenlang über zwölf Stunden pro Tag. Bis er nicht mehr konnte. Ein Krankenwagen holte ihn direkt vom Arbeitsplatz ab. Diagnose: Burnout. Die Personalnot bei den SBB ist akut, wie BLICK berichtete.
Jetzt packen Insider aus. «Der Kollege, der mit der Ambulanz abgeholt werden musste, war Teamleiter», sagt eine Person, die Kenntnis vom Fall hat. Sie will anonym bleiben. Zu gross ist der Druck bei den SBB. Aufgrund einer «desaströsen» Reorganisation sei der Teamleiter gezwungen gewesen, «über Monate Doppelschichten zu schieben. Dies war allen übergeordneten Hierarchiestufen bekannt».
Grösste Reorganisation seit 1999
Mit dem «desaströsen» Umbau ist das Programm «Weiterentwicklung Personenverkehr» gemeint. Es ist laut SBB-Urgestein Toni Häne (64) die grösste Reorganisation der Division Personenverkehr seit 20 Jahren. Hunderte Mitarbeitende mussten den Arbeitsort wechseln. Betroffen waren Angestellte in den Bereichen Rollmaterial, Zugpersonal, Personaleinteilung und Steuerung. Sie bilden das Herz der SBB. Und sie leiden am meisten unter dem Umbau.
Die Reorganisation hat innert Monaten den Betrieb umgekrempelt. Mit entsprechenden Folgen. Frustrierte Mitarbeitende haben die Kündigung eingereicht. In gewissen Teams herrscht massiver Unterbestand. Dramatisch ist die Situation im Bereich Steuerung und Lenkung, wie zwei Personen gegenüber BLICK schildern. Die Stimmung ist auf dem Tiefpunkt.
Vor zwei Wochen kam es zur Aussprache. Das Treffen hat dem Vernehmen nach fundamentale Risse zwischen Personal und Management offenbart. Ein Mitarbeiter meinte, man sei «wie die Titanic unterwegs». Man habe leckgeschlagen. Seit der Reorganisation werde nur noch Wasser geschöpft, um nicht unterzugehen.
Workshops nach Radikalumbau
«Wie bei Anpassungen üblich, funktionieren die Prozesse anfänglich noch nicht optimal», so ein SBB-Sprecher. Die Geschäftsleitung der neu geschaffenen Einheit Bahnproduktion sei sich dessen bewusst. «Deshalb laufen Workshops mit den betroffenen Mitarbeitenden und der Führung, damit Massnahmen laufend umgesetzt werden können.»
Die SBB bestätigen, dass es in letzter Zeit «zu Belastungsspitzen im gesamten operativen Betrieb» gekommen sei. Täglich müssten über 7000 Züge geplant werden. Wegen Grossbaustellen und Extrazügen sei der Aufwand nochmals höher gewesen. Gegen die Darstellung, wonach man willentlich eine gesundheitliche Schädigung von Mitarbeitenden in Kauf genommen habe, wehrt sich die Bahn aber. Insbesondere im Fall des ausgebrannten Teamleiters. «Motivation und Gesundheit der Mitarbeitenden haben bei den SBB höchste Priorität.»