Die Not im Führerstand ist gross. Lokführer müssen zunehmend Extraschichten schieben, damit die Kunden nicht auf den Bahnhöfen stehen bleiben. Auch für das Personal in der Planung ist der Notstand eine extreme Belastung. Sie schuften in Schichten von zehn Stunden und mehr, um den Betrieb am Laufen zu halten. Das System ist am Limit, wie BLICK-Recherchen zeigen. Diverse Angestellte leiden bereits am Burnout-Syndrom.
«Die Belastung beim Lokpersonal ist hoch», bestätigt SBB-Sprecher Reto Schärli. «Es gibt Mitarbeitende, die wegen gesundheitlicher Probleme ausfallen, auch in anderen Bereichen.» Die Bundesbahn nehme jeden einzelnen Fall sehr ernst und unterstütze die Angestellten.
BLICK hatte Einsicht in interne Dokumente und sprach mit Mitgliedern der Bahn-Gewerkschaft SEV, dem Personalverband Transfair sowie dem Berufsverband VSLF. Im Schnitt fehlen jeden Tag knapp 30 Lokführer. Bis Ende des Monats herrscht an jedem einzelnen Tag Unterbestand. Wochentags ist die Situation am schlimmsten.
Bettel-SMS und Sonderprämie
Zugführer werden verzweifelt gesucht, Bettel-SMS der Einsatzplaner fast täglich verschickt. Um dem Mangel entgegenzuwirken, werden Lokführer mit Sonderzulagen in den Führerstand gelockt. Wer auf einen seiner freien Tage verzichtet, erhält bei den SBB seit kurzem 80 Franken extra pro Tag. Das Bahnunternehmen BLS zahlt sogar 100 Franken Prämie, wenn Lokführer sich flexibel zeigen und zusätzliche Tage schuften (BLICK berichtete). Das bringt zwar mehr Geld in die Haushaltskasse, ist aber nicht unbedingt gut für die Gesundheit.
Bei den Einsatzplanern macht sich derweil Verzweiflung breit. Sie sind in der Rolle des «Ausputzers», wie ein Bähnler sagt. Tagtäglich leisten sie einen Zusatzeffort, um gegen den Unterbestand zu kämpfen. Sie suchen stundenlang Lokführer, damit der Führerstand am nächsten Tag tatsächlich besetzt ist. Damit alle Züge verkehren. Und damit Reisende wie geplant ans Ziel kommen.
Die Situation bringt das SBB-Personal an den Anschlag. Der Berufsverband VSLF schlägt Alarm. «Bereits sind erste Kollegen mit eindeutigem Burnout-Symptom ausgefallen», schreibt VSLF-Chef Hubert Giger (50) in einem internen Newsletter, der BLICK vorliegt. Die Details sind schockierend. Die Belastung war so hoch, dass ein SBB-Angestellter direkt mit der Ambulanz abgeholt werden musste.
Kritische Situation im Wallis
Besonders schlimm sei die Lage beim Tochterunternehmen SBB Cargo im Wallis. Die Personalsituation bei Lokführern und Einsatzplanern sei hier derart gravierend, dass viele Leistungen nicht mehr erbracht werden können. Die Güterzustellung zu den Lonza-Werken in Visp stehe in Frage, heisst es.
Die SBB bestätigen den Mangel auf Anfrage. Die Situation sei «angespannt», sagt Sprecher Schärli. «Aktuell fehlen insbesondere in Brig Lokführer, aber auch Rangierlokführer – begründet durch mehrere Krankheitsfälle», so der SBB-Sprecher. Es sei «zu einzelnen Zugausfällen» gekommen. «Grossmehrheitlich wurden die Züge dann anderntags nachgefahren.»
Um die Not zu lindern, haben die SBB Lokführer aus anderen Depots nach Brig detachiert. Personal einer Schwestergesellschaft hilft aus. Zudem sind Teamleiter nun wieder im Führerstand aktiv, damit es nicht zu weiteren Zugausfällen kommt.
SBB-Führung in der Kritik
Burnout-Betroffene finden eine Anlaufstelle bei der Sozialberatung der SBB, sagt Schärli. Sie helfe bei privaten und beruflichen Problemen. «Dies reicht von finanziellen Nöten über Schwierigkeiten am Arbeitsplatz bis zu privaten Beziehungsproblemen», so der SBB-Sprecher. Wenn nötig würden externe Fachstellen miteinbezogen.
Für die Vertreter der Arbeitnehmer sind die Zustände unhaltbar. Bruno Zeller (50) vom Personalverband Transfair und Manuel Avallone (57) vom SEV, der Gewerkschaft des Verkehrspersonals, kritisieren die SBB-Führung. Sowohl im Personenverkehr als auch im Güterverkehr sei es in den letzten Jahren zu Fehlentscheiden gekommen, sagen die zwei. Die verschiedenen Sparübungen der SBB hätten das System «nicht fit, sondern schwach und anfällig gemacht», sagt Avallone. «Es gibt keine Reserve mehr.»
Sowohl Zeller als auch Avallone begrüssen den Extra-Batzen, den die SBB und die BLS neuerdings für Lokführer ausrichten. Sie sind sich aber einig darin, dass dies nur vorübergehend funktionieren kann.
Warnung vor einem Unfall
«Ob diese Massnahme über längere Zeit erfolgversprechend sein wird, ist mehr als fraglich», sagt auch Giger vom Berufsverband VSLF. Er berichtet von Lokführern, die zwei Wochen ohne Pause arbeiteten. Das ist das absolute Limit. «Die Angestellten dürfen höchstens 13 Tage am Stück arbeiten», sagt eine Sprecherin des BAV (siehe Box).
Giger warnt vor Unfällen: Wenn Lokführer bis zu zwei Wochen im unregelmässigen Dienst arbeiten, «stellt sich bei Fehlhandlungen die Frage der Verantwortlichkeit», so der Präsident des Berufsverbandes in Richtung der Bahn-Bosse. Und für die Zukunft hält er fest: «Eine Erleichterung ist nicht in Sicht.»
Zwei Wochen ohne Pause im Lokführerstand: Ist das erlaubt? «Die Regelung ist klar», schreibt das Bundesamt für Verkehr (BAV) auf Anfrage. «Die Angestellten dürfen höchstens 13 Tage am Stück arbeiten.» Das gelte für alle Transportunternehmen im öffentlichen Verkehr. Für jeden Zug, jedes Tram, jeden Bus und jedes Schiff.
«Ausnahmen zu dieser Höchstlimite sind keinesfalls erlaubt», so das BAV weiter. Wer 13 Tage ohne Pause im Dienst war, darf nicht einmal einen Kurzeinsatz machen. «Es würde nichts daran ändern, wenn die betroffene Person beispielsweise nur vier Stunden pro Tag arbeiten würde», ergänzt die Bundesbehörde. Auch finanzielle Kompensationen, wie sie die SBB und BLS ausrichten, ändern nichts an der rechtlichen Situation.
Ziel der Vorschrift ist die Gesundheit der Mitarbeitenden. Und die Sicherheit der Benutzer des öffentlichen Verkehrs. «Die Arbeitgeber wie auch die Arbeitnehmer machen sich strafbar, wenn sie gegen diese Vorschriften verstossen», hält das BAV fest. Marc Iseli
Zwei Wochen ohne Pause im Lokführerstand: Ist das erlaubt? «Die Regelung ist klar», schreibt das Bundesamt für Verkehr (BAV) auf Anfrage. «Die Angestellten dürfen höchstens 13 Tage am Stück arbeiten.» Das gelte für alle Transportunternehmen im öffentlichen Verkehr. Für jeden Zug, jedes Tram, jeden Bus und jedes Schiff.
«Ausnahmen zu dieser Höchstlimite sind keinesfalls erlaubt», so das BAV weiter. Wer 13 Tage ohne Pause im Dienst war, darf nicht einmal einen Kurzeinsatz machen. «Es würde nichts daran ändern, wenn die betroffene Person beispielsweise nur vier Stunden pro Tag arbeiten würde», ergänzt die Bundesbehörde. Auch finanzielle Kompensationen, wie sie die SBB und BLS ausrichten, ändern nichts an der rechtlichen Situation.
Ziel der Vorschrift ist die Gesundheit der Mitarbeitenden. Und die Sicherheit der Benutzer des öffentlichen Verkehrs. «Die Arbeitgeber wie auch die Arbeitnehmer machen sich strafbar, wenn sie gegen diese Vorschriften verstossen», hält das BAV fest. Marc Iseli