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Trotz zwei Jobs kaum Geld
Ana Lúcia (39) putzt ums Überleben

Vor allem Frauen sind von prekären Arbeitsbedingungen betroffen. Eine von ihnen ist Ana Lúcia (39). Trotz gleich zwei Jobs als Putzfrau kommt sie kaum über die Runden. Uns hat sie von ihrem stressigen Alltag erzählt.
Publiziert: 18.08.2019 um 00:10 Uhr
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Aktualisiert: 18.08.2019 um 13:36 Uhr
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«Mit einer Anstellung würde ich nicht genug verdienen, um alle Rechnungen und das Essen zu zahlen. Es ist sehr streng, aber es gibt keine andere Lösung. Ich habe keine Ausbildung», sagt sie beim Gespräch in einem Zürcher Café.
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Dana Liechti

Immer mehr Menschen in der Schweiz haben mehrere Jobs. Weil sie sich nach Abwechslung sehnen, sagt der Arbeitgeberverband. Weil sie müssen, um zu überleben, sagen die Gewerkschaften. Ana Lúcia putzt und putzt ums Überleben: Die 39-Jährige, die nicht mit ihrem ganzen Namen in der Zeitung stehen möchte, arbeitet tagsüber als Reinigungskraft in einem Zürcher Luxushotel, angestellt über eine externe Firma. Abends putzt sie in einem Bürogebäude weiter.

Trotz zweier Arbeitsstellen kommt sie manchmal kaum über die Runden. Rund 3500 Franken bekommt sie Ende Monat ausbezahlt – für beide Jobs. «Mit einer Anstellung würde ich nicht genug verdienen, um alle Rechnungen und das Essen zu bezahlen. Es ist sehr streng, aber es gibt keine andere Lösung. Ich habe keine Ausbildung.» Ana Lúcia stammt aus Brasilien. In die Schweiz kam sie – der Liebe wegen – vor mehr als zehn Jahren mit ihren mittlerweile erwachsenen Töchtern.

Heute lebt sie getrennt von ihrem Mann in einer winzigen Wohnung in Zürich. Sie ist spärlich eingerichtet mit einem Bett und zwei Stühlen, die Küche ist so klein, dass kein Tisch drin Platz hat. Anfangs hatte Ana Lúcia sogar drei Jobs. Sie putzte auch noch nachts weiter. Oft schlief sie nicht mehr als zwei Stunden. Bis es nicht mehr ging: Ihr Körper wehrte sich. «Ich konnte morgens die Augen nicht mehr öffnen und kam nicht mehr aus dem Bett», sagt sie.

Ihr Arbeitstag beginnt um sechs Uhr und endet 16 Stunden später

«Man denkt immer, wenn man in der Schweiz arbeitet, hat man genug Geld fürs Leben. Aber das stimmt nicht. Wir bekommen praktisch nichts», sagt Ana Lúcia. Und doch: «Ich habe keinen guten Job. Aber ich habe immerhin einen.» Eigentlich würde sie gerne einen Deutschkurs belegen und eine Ausbildung in der Gastronomie machen – in Brasilien führte sie früher ein Restaurant –, doch dafür fehlt ihr die Zeit. Ihr Arbeitstag beginnt um sechs Uhr und endet 16 Stunden später. Bis zu sieben Mal die Woche schuftet sie im Hotel, an fünf Abenden zusätzlich in einem Bürogebäude.

Sicherheit hat sie keine, trotz der zwei Stellen. Denn manchmal kommen die Putzfrauen morgens ins Hotel und werden wieder weggeschickt, weil es nichts zu tun gibt. Dann bekommen sie natürlich auch keinen Lohn. Zwei freie Tage am Stück sind für Ana Lúcia eine Ausnahme. Wenn sie am Mittag eine halbe Stunde Pause hat, verbringt sie die mit ihren Kolleginnen in der Garderobe und isst, was sie am Abend vorher gekocht hat. Das Mittagessen für die Hotelangestellten kann sie sich nicht leisten: Es kostet zwölf Franken. Fast so viel, wie sie in der Stunde verdient. 18 Franken und 80 Rappen. Brutto. Dafür putzt Ana Lúcia riesige Suiten und Bäder, macht Betten und räumt den Dreck weg, den Hotelgäste hinterlassen. Die Zeit, die der Einsatzplan dafür vorsieht, reicht nicht. Die Folge sind Stress für die Putzfrauen – und Mängel in der Hygiene des schicken Hotels, in dem eine Übernachtung 220 Franken kostet.

Um 17 Uhr nimmt Ana Lúcia erst den Zug, dann den Bus, um zu ihrem nächsten Arbeitsort am anderen Ende von Zürich zu fahren. Dort wischt sie Staub von Computern, saugt den Boden und säubert Pulte von Menschen, die ein vielfaches ihres Lohns verdienen. Dankbarkeit kriegt sie dafür nicht. Vor 22 Uhr ist sie selten zu Hause. «Zum Glück habe ich neben meiner Wohnung einen Supermarkt, der lange offen hat», sagt sie. Ihr Leben daheim hat Ana Lúcia in exakte Zeitfenster aufgeteilt. Sie weiss genau, wie viel ihr bleibt, um zu duschen, auf die Toilette zu gehen, ein Abendessen und das nächste Mittagessen zu kochen. Schlaf? Fünf Stunden müssen reichen.

Seit acht Monaten keine Ferien

Ana Lúcia weiss, dass sie und ihre Kolleginnen etwas Besseres verdient hätten. Darum erzählt sie uns an ihrem einzigen freien Tag in dieser Woche ihre Geschichte. Und will sich für bessere Arbeitsbedingungen einsetzen. «Ich fordere, dass wir Putzfrauen direkt beim Hotel angestellt werden, einen fixen Monatslohn und einen sicheren Arbeitsvertrag haben», sagt sie. Sie gibt die Hoffnung auf ein besseres Leben nicht auf. Obwohl sie beim Gespräch in einem Zürcher Café von ihrem schwierigen Alltag erzählt, lacht sie viel.

Trotzdem – zu Hause, wenn sie alleine ist, sei sie schon manchmal traurig, sagt sie später. Ferien hat sie seit mehr als acht Monaten nicht mehr gemacht. Die kann sie sich nicht leisten, weil sie dann keinen Lohn bekommt. Aus demselben Grund geht Ana Lúcia zur Arbeit, selbst wenn sie krank ist: Jede Stunde zählt. Zum Abschied reicht Ana Lúcia die Hände. Sie sind rau von der vielen Arbeit und dem aggressiven Putzmittel.

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