Die Angst geht um in der Schweiz. Es ist die Angst vor Armut. Im jüngsten Sorgenbarometer der Credit Suisse rangiert sie unter den zehn grössten Sorgen von Herrn und Frau Schweizer.
Im reichsten Land der Welt sieht fast jeder Fünfte schwarz für sich und seine Kinder. Woher mag das nur kommen?
Viele Verantwortungsträger in Wirtschaft und Politik flössen den Menschen mächtig Angst ein. Die Schweiz droht ständig irgendwo den Anschluss zu verlieren. Immerzu muss die Wettbewerbsfähigkeit gesteigert, müssen Kosten gesenkt werden. Bald warnt der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse vor einer weiteren Belastung des Werkplatzes, bald der Arbeitgeberverband vor negativen Folgen für die Arbeitsplatzsicherheit. Für den Bundesrat steht die Schweiz unmittelbar vor finanziell schweren Zeiten – er stellt diese Prognose seit Jahren.
Und weil den Sozialwerken der Kollaps droht, fordert UBS-Chef Sergio Ermotti: Rauf mit dem Rentenalter auf 72 Jahre!
Natürlich geht dieser Alarmismus nicht spurlos an uns vorüber, kein Wunder, machen wir uns da Sorgen! Und sind darum bereit, den Gürtel noch etwas enger zu schnallen. Uns noch etwas mehr Leistung abzuverlangen. Noch mehr Lernbereitschaft und Flexibilität an den Tag zu legen.
Das ist denn das Perfide an der Angstpolitik: Sie ist es, die in letzter Konsequenz zu mehr Armut führt.
Die Armut trifft vielleicht nicht jeden Fünften. Die Schwächsten aber trifft sie bestimmt!
Das Kinderhilfswerk Unicef hat kürzlich die Familienfreundlichkeit von 31 europäischen Ländern miteinander verglichen. Die Schweiz liegt abgeschlagen auf dem letzten Platz.
Weil die Schweiz offenbar zu arm ist für familienfreundliche Strukturen, müssen die Familien eben selber schauen, wo sie bleiben. Der Mittelstand mag sich irgendwie ja arrangieren. Für weniger Privilegierte jedoch gehts unweigerlich ans Lebendige.
Eine steigende Anzahl Menschen braucht zwei oder noch mehr Jobs, um ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können. Gemäss Bundesamt für Statistik sind davon überdurchschnittlich viele Frauen zwischen 40 und 54 Jahren betroffen – meist Mütter ohne Ausbildung, meist ausländischer Herkunft. Sie schuften als sogenannte Putzfrauen, als sogenannte Zimmermädchen, im Verkauf, im Schnellimbissrestaurant. Ihre Arbeitskraft ist zwar begehrt, aber schlecht entlöhnt. Und nebenbei müssen sich diese Frauen um ihre Kinder kümmern.
Was das für die Betroffenen konkret bedeutet, zeigen beispielsweise Studien zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Menschen in prekären Arbeitsverhältnissen weisen ein vier Mal höheres Infarktrisiko auf als Leute in Führungspositionen.
In der Schweiz wächst die Zahl der prekär Beschäftigten, sie wächst langsam, aber sicher. Die USA – das andere westliche Land ohne Familienpolitik – sind schon einen Schritt weiter. Dort sinkt neuerdings die allgemeine Lebenserwartung. Besonders auffällig ist, wie stark die Todesrate für weisse Frauen im Alter zwischen 40 und 54 Jahren ansteigt.
Viele dieser Frauen sterben an einem Herzinfarkt.