Sie geben sich als Polizisten aus – und ergaunern 12 Millionen
Türkische Banden zocken Schweizer Rentner ab

12 Millionen Franken ergaunerten Kriminelle 2019 von Schweizer Senioren – immer mit dem gleichen Trick. Die Schadenssumme explodiert, die Spur der Täter führt in die Türkei.
Publiziert: 08.02.2020 um 23:42 Uhr
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Aktualisiert: 10.02.2020 um 09:29 Uhr
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Die Betrüger gehen immer gleich vor: Sie rufen Senioren an und geben sich als Polizisten aus. Weil das Geld des Angerufenen angeblich in Gefahr sei, übergeben die Rentner dieses an falsche Polizisten.
Foto: Illustration: Regina Vetter
Fabian Eberhard

Die Masche ist perfide – und immer gleich: Betrüger rufen Rentner mit einer manipulierten Telefonnummer an, sodass auf dem Display der Kontaktierten die 117 erscheint. Doch in der Leitung ist kein Polizist, sondern ein türkischer Gauner, der es auf das Ersparte des Opfers abgesehen hat.

Der vermeintliche Polizeibeamte warnt dann: In der Nähe sei eingebrochen worden, man habe Hinweise, dass bei der angerufenen Person in Kürze ein Raubüberfall geplant sei. Mehr noch: Man wisse, dass es die Täter zudem auf das Konto des Rentners abgesehen hätten. Und dass Bankangestellte mit den Kriminellen zusammenarbeiteten.

Falscher Beamte in Zivil

Der falsche Polizist rät den ­Betroffenen dann, sämtliche Wertsachen sowie das Ersparte vorübergehend einem Beamten in Zivil zu übergeben und aufgrund der laufenden Ermittlungen niemandem davon zu erzählen.

Wie erfolgreich die Betrüger mit dieser Masche sind, zeigen neue Zahlen des Bundesamts für Polizei (Fedpol). Demnach hat die Summe des damit ergaunerten Geldes in der Schweiz explosionsartig zugenommen. Im Jahr 2019 zockten die Täter bei hilflosen Senioren zwölf Millionen Franken ab – dreimal so viel wie im Jahr zuvor und mehr als 30-mal so viel wie 2016.

Die Täter rufen in der Schweiz systematisch Menschen mit alt klingenden Namen ab. Rund 2000 Versuche registrierte das Fedpol letztes Jahr, 56 waren erfolgreich. Die Dunkelziffer dürfte allerdings deutlich höher liegen.

Rentnerin um 3,6 Millionen betrogen

Der krasseste Fall bisher: Von ­einer Rentnerin aus dem Kanton Zürich erbeuteten Unbekannte 3,6 Millionen!

Die Spuren der falschen Polizisten führen in die Türkei. Dort betreiben die Hintermänner eigens ­dafür eingerichtete Callcenter. ­Sobald ein Opfer in die Falle tappt, kommen Kleinkriminelle aus Deutschland oder der Schweiz als Geldabholer zum Einsatz.

Die Ermittler gehen davon aus, dass die Fäden vom sogenannten Miri-Clan gezogen werden, einer libanesisch-türkischen Grossfamilie, die vor allem in Deutschland in der organisierten Kriminalität verwurzelt ist.

Deren Boss, Ibrahim Miri, sorgte in den letzten Wochen für Schlagzeilen, weil er kurz nach seiner Abschiebung in den Libanon erneut illegal nach Deutschland eingereist war. Wegen dieses spektakulären Falls liess Bundesinnenminister Horst Seehofer vorübergehend die Grenzkontrollen verschärfen.

«Hypnotisiert vor Sorge»

Dass sich die Haupttäter oft im Ausland befinden, macht es für die Fahnder besonders schwierig. Fedpol-Sprecherin Sibyl Kurz: «Die ­Ermittlungen gestalten sich oft komplex, da die Täter transnational agieren.» Und sie warnt: «Wir gehen davon aus, dass die Problematik weiterhin akut bleibt.»

Gleichzeitig hofft man beim Bund und den Kantonspolizeien, dass vor allem ältere Menschen durch gezielte Aufklärungskampagnen sensibilisiert werden können (siehe Box).

Eine Warnung der Behörden kommt für Elsa R.* (80) zu spät. Die ehemalige Kauffrau wurde vor rund einem Jahr Opfer der Callcenter-Mafia. Nun ist sie einige der wenigen Betroffenen, die über ihren Fall reden.

Im Rückblick sagt sie: «Ich kann mir nicht erklären, warum ich nicht misstrauisch geworden bin.» Doch die Täter seien dermassen glaubhaft vorgegangen, dass die Angst überwogen habe. «Ich kam mir vor wie eine ferngesteuerte Marionette, war hypnotisiert vor Sorge.»

12,1 Millionen zockten falsche Polizisten im Jahr 2019 hilflosen Senioren ab – so viel wie nie zuvor.

Geldübergabe am Hauptbahnhof

Was Frau R. zu jenem Zeitpunkt wohl geholfen hätte, wäre eine Vertrauensperson gewesen. Doch ihr Partner war kurze Zeit vor der Tat verstorben. «Er hätte mich ganz sicher davon abgehalten und die Polizei verständigt», sagt die Rentnerin.

So kam es, dass die Anrufer Elsa R. zum Zürcher Hauptbahnhof lotsten, wo sie den Gaunern beinahe ihr gesamtes Erspartes übergab – 16000 Franken.

Viele Täter kommen davon

Immerhin: In ihrem Fall war die echte Polizei erfolgreich, einer ­ihrer falschen «Kollegen» wurde geschnappt. Im November 2019 verurteilte das Bezirksgericht Zürich Ali P.** (33) wegen gewerbsmässigen Betrugs und Geldwäscherei zu vier Jahren Gefängnis. Der türkische Bäcker hatte innert dreier Monate 17 ältere Damen um insgesamt 710000 Franken erleichtert. Dabei war er für das Ausspionieren der Opfer und das Einziehen der Gelder zuständig.

Viele andere Täter kommen mit ihrer Masche davon. Dies laut Fedpol auch, weil sich viele Opfer aus Scham gar nicht oder viel zu spät an die Polizei wenden. Denn genauso schlimm wie der finan­zielle Schaden sind für die Betroffenen oft die psychischen Folgen des Betrugs: Ängste, Depressionen, Verlust von Lebensqualität.

Vera Müller, Koordinatorin beim Bundesamt für Polizei, schreibt in einer Untersuchung über das Phänomen der falschen Polizisten: «Die psychologischen Folgen sind bei den Betrugsopfern nicht selten gravierend. Die Betroffenen erleben einen starken Vertrauensverlust in die Mitmenschen.» Besonders gestört wird das Vertrauen ausgerechnet in jene, die gegen die Täter ankämpfen: richtige Polizisten.

So schützt man sich vor Telefonbetrug

Um sich vor Telefonbetrügern zu schützen, empfiehlt die Polizei, diese einfachen Regeln zu befolgen: Seien Sie misstrauisch, wenn jemand von Ihnen am Telefon Geld verlangt – meist handelt es sich um Betrüger. Vorsicht auch dann, wenn ein angeblicher Polizist Sie dazu bringen will, Bargeld abzuheben, zu zahlen oder an Unbekannte zu übergeben. Die Polizei verlangt nie Bargeld am Telefon. Deponieren Sie keine Wertsachen an öffentlich zugänglichen Orten. Geben Sie am Telefon keine persönlichen Daten, Passwörter oder Angaben zu Ihren finanziellen Verhältnissen preis. Im Zweifelsfall legen Sie auf und melden den verdächtigen Anruf der Polizei. Sinnvoll ist auch, wenn Angehörige mit älteren Verwandten über die Betrugsmasche der falschen ­Polizisten sprechen.
Weitere Tipps der Polizei im Internet: www.telefonbetrug.ch

Um sich vor Telefonbetrügern zu schützen, empfiehlt die Polizei, diese einfachen Regeln zu befolgen: Seien Sie misstrauisch, wenn jemand von Ihnen am Telefon Geld verlangt – meist handelt es sich um Betrüger. Vorsicht auch dann, wenn ein angeblicher Polizist Sie dazu bringen will, Bargeld abzuheben, zu zahlen oder an Unbekannte zu übergeben. Die Polizei verlangt nie Bargeld am Telefon. Deponieren Sie keine Wertsachen an öffentlich zugänglichen Orten. Geben Sie am Telefon keine persönlichen Daten, Passwörter oder Angaben zu Ihren finanziellen Verhältnissen preis. Im Zweifelsfall legen Sie auf und melden den verdächtigen Anruf der Polizei. Sinnvoll ist auch, wenn Angehörige mit älteren Verwandten über die Betrugsmasche der falschen ­Polizisten sprechen.
Weitere Tipps der Polizei im Internet: www.telefonbetrug.ch

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