Streit um Bundesstudien
Schadet die Trinkwasser-Initiative der Umwelt?

Die Initianten werfen Agroscope vor, die Stimmbürger mit einer falsch angelegten Studie zu täuschen. Die Annahmen der Forschungsstelle seien völlig realitätsfremd.
Publiziert: 10.10.2020 um 23:54 Uhr
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Aktualisiert: 22.03.2021 um 18:26 Uhr
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Franziska Herren ist der Kopf hinter der Trinkwasser-Initiative – und sie befindet sich im Clinch mit einem mächtigen Gegner:
Foto: Peter Mosimann
Camilla Alabor

Franziska Herren muss tief durchatmen. «Was hier passiert, ist unglaublich», sagt sie. Die frühere Fitnessinstruk­torin (53) ist der Kopf der Trinkwasser-Initiative – und ärgert sich über das Verhalten eines mächtigen Gegenspielers: Agroscope, der landwirtschaftlichen Forschungsstelle des Bundes.

Streitobjekt sind zwei Studien, welche die Folgen einer Annahme der Trinkwasser-Initiative unter­suchen. Mit der sollen die Pestizidrückstände im Wasser reduziert und die Direktzahlungen auf Bauern beschränkt werden, die keine solchen Mittel verwenden.

Die Forscher von Agroscope ­kamen diesen Sommer in einer ­ersten Studie zu dem verblüffenden Schluss, dass die Initiative der Umwelt schade. Zwar steige dadurch die Wasserqualität in der Schweiz; die Umweltbelastung im Ausland nehme der Studie zufolge aber zu.

Unbestritten ist, dass eine Reduktion der Pestizide in der Schweiz kurzfristig mehr Lebensmittelimporte aus dem Ausland zur Folge hätte, weil dadurch die Er­träge hierzulande sinken.

Entscheidend aber ist, wie die Importe hergestellt werden – und da gehen die Meinungen ausei­nander: Die Agrarforscher des Bundes gehen davon aus, dass für die zusätzlich produzierten Lebensmittel im Ausland teil­weise Wald abgeholzt wird oder Pestizide zum Einsatz kommen, die in der Schweiz verboten sind.

Franziska Herren verwirft diese Prämissen als völlig r­ealitätsfremd: «Wenn wir mehr Weizen aus Deutschland importieren, funktioniert das, indem die Produktion ­etwas erhöht wird», sagt sie. «Wald muss dafür nicht gerodet werden.»

«Agroscope betreibt Politik statt Wissenschaft.»

Bei den Pestiziden gehe die ­Agroscope-Studie vom Einsatz ­toxischer Mittel aus, die in Wirklichkeit kaum verwendet werden. Generell hätten die Autoren die Parameter ihrer Berechnungen so gewählt, dass die Umweltbelastung für jegliche Importe möglichst hoch ausfalle, meint Herren. «Damit betreibt Agroscope Politik statt Wissenschaft.»

Die Urheberin der Ini­tiative bat Agro­scope-­Direktorin Eva Reinhard vergangenen Monat, in einer Nachfolge­studie die kriti­sierten Punkte aufzunehmen und ­bezüglich der Annahmen, auf denen die Studie basiert, Transparenz zu schaffen. So geht es aus einem Austausch von E-Mails hervor, den SonntagsBlick einsehen konnte.

Reinhard habe sich dazu auch bereit erklärt, sagt Herren im ­Gespräch. «Dennoch weigert sich Agroscope nun, just dies zu tun.» Einerseits blieben viele Annahmen der Studie geheim: beispielsweise, welche Pestizide im Ausland wo verwendet werden. «Das beeinflusst das Resultat natürlich entscheidend.»

Andererseits gingen die Autoren bei den Importen weiterhin vom Ist-Zustand aus, obwohl sich die Schweiz verpflichtet habe, künftig nachhaltigen Importen den Vorzug zu geben und Foodwaste im Inland bis 2030 zu halbieren. ­«Damit wären keine zusätzlichen Importe mehr nötig», sagt Herren, «und die allenfalls negativen Auswirkungen im Ausland fielen weg.»

Auch Vision Lanwirtschaft kritisiert die Studie

Herren ist mit ihrer Kritik nicht allein. Auch Andreas Bosshard von der Denkfabrik Vision Landwirtschaft wirft Agroscope vor, mit der publizierten Studie ein unrealis­tisches Bild zu zeichnen. Bosshard, der die Trinkwasser-Initiative unterstützt, verweist auf die Fleischbranche: Dort stamme das importierte Futtersoja bereits heute zu fast 100 Prozent aus nachhaltigem Anbau. «Warum sollte das beim ­Import von Lebensmitteln nicht auch möglich sein?»

Leider weigere sich Agroscope, die Auswirkungen der Trinkwasser-Initiative unter «realitätsnahen ­Annahmen» zu untersuchen, sagt Initiantin Herren. Sie hat deshalb keinen Zweifel, dass die Forschungsanstalt «weiter aktiv gegen die Trinkwasser-Initiative arbeitet».

Bei Agroscope weist man diese ­Vorwürfe zurück. Aufgabe der ­Forschungsanstalt sei es, «fundierte, wissenschaftliche Resul­tate» zu ­erarbeiten, heisst es in ­einer schriftlichen Stellungnahme. «Die Güterabwägung aufgrund der wissenschaftlichen Erkenntnisse obliegt der Verwaltung, der Politik und der Bevölkerung.»

In Bezug auf Herrens Kritik an ­einer der Studien schreibt Agroscope, diese «wurde von inter­na­tional anerkannten Experten auf Qualität und Korrektheit (...) geprüft», was die Unabhängigkeit der Forschung sicherstelle.

Im Übrigen treffe es nicht zu, dass Agroscope Daten geheim halte oder absichtlich von Annahmen ausgehe, die sich negativ auf die Trinkwasser-Initiative auswirkten: «Wir haben mit 18 Szenarien ge­arbeitet, die wir mit dem Status quo verglichen haben», und damit «eine grosse Bandbreite an verschiedenen Auswirkungen abgedeckt», teilt ein Sprecher mit.

Künftige Entwicklungen können nicht berücksichtigt werden

Allerdings könnten in solchen Studien künftige Entwicklungen nicht berücksichtigt werden, wie etwa eine angestrebte Reduktion von Foodwaste, also Lebensmittelverschwendung: «Diese Themen sind Gegenstand kontroverser Debatten und bieten bislang keine (...) verlässlichen Grundlagen für eine wissenschaftliche Studie», schreibt Agroscope.

Dem Anliegen der Initianten erteilt die Forschungsstelle deshalb eine Abfuhr.

Was aber bedeutet dieser Streit für den Abstimmungskampf im nächsten Jahr? Sicher ist: Der Kampf um die Deutungshoheit über die Folgen der Initiative wird weitergehen. Spätestens 2021, wenn voraussichtlich eine Nach­folgestudie publiziert wird.

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