Familie Wittensöldner-Rechsteiner: Adieu Zürichsee, hallo Greifensee!
Wer in der Schweiz nach einer richtig städtischen Gegend sucht, ist mit dem Zürcher Bucheggplatz gut bedient. Auf und unter diesem riesigen Kreisel dröhnt der Verkehr eigentlich immer. Hier wohnte die Familie Wittensöldner-Rechsteiner in einer neuen Genossenschaftssiedlung. Bis vergangenen Monat, als Marilen (33), Beat (35), Bené (bald 5) und Hanno (bald 3) ihre Sachen packten und nach Nänikon ZH beim Greifensee zogen. Marilen Wittensöldner, Primarlehrerin in Zürich, ist in Greifensee aufgewachsen. Der Lärm, die vielen Leute, der viele Verkehr – nach Jahren des Stadtlebens hat sie die Reizüberflutung zunehmend gestört. Ein Gefühl, das sich auch mit der Mutterschaft eingestellt habe.
Und in der Genossenschaftssiedlung «habe ich schnell einmal gespürt, dass ich mich nicht ganz daheim fühlte». Nicht der Leute wegen, aber alles sei schon fertig gebaut gewesen. Dabei wollte sie mitgestalten, wünschte sich einen Garten, wollte mitentscheiden, wo welche Beete hinkommen und was dort angepflanzt wird. Beat Rechsteiner, Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Uni Zürich, lässt sich hinter dem Haus auf dem neuen üppigen Rollrasen nieder und lacht. «Wir waren uns gar nicht einig», sagt er. Sie wollte raus, er wollte bleiben: «Die Diskussionen waren heftig.»
Durch Bekannte erfuhren sie vom Bau des Mehrfamilienhauses in Nänikon. Gesucht waren Mieter, die mitmachen wollten. Also ein Gemeinschaftsprojekt, wie es ihr vorschwebte. Zunehmend sah auch er die Möglichkeiten, ob im Haus oder in der Gemeinde. Beat Rechsteiner: «Phasenweise waren wir aber auch nahe dran, das Projekt wieder abzusagen.» Als die Pandemie kam, war der Umzug zwar schon entschieden. «Während des Lockdowns war die Stadt toll, etwa konnten die Kinder all die leeren Plätze erkunden», sagt sie. Der Stillstand habe aber ihr Gefühl nach Ruhe bestätigt. Ein Zustand, den sie sich auch vom neuen Daheim erhofft.
Beim Abschied von Stadt und Bewohnern «flossen Tränen», sagt sie. Nun leben sie ausserhalb, eine 15-minütige S-Bahnfahrt bis Zürich. Die Buben haben sich schnell eingelebt und Spielkameraden gefunden. Bené besucht den Kindergarten, Hanno die Spielgruppe. Die Stadt wollen sie sich nahe halten, betonen beide. Freunde treffen, essen gehen, solche Dinge halt. Zum Baden aber gehts nun in den Greifen- statt in den Zürichsee.
«Die Hektik und der Stadtlärm stressten mich»
Im Fachwerkhaus aus dem 18. Jahrhundert kann Ivana Leiseder endlich durchatmen: «Am Dienstag bin ich aus dem Zentrum von Zürich nach Rüti ZH gezogen – aus einer Stadtwohnung in ein Fachwerkhaus aus dem Jahr 1750. Es ist innen komplett neu renoviert und kostet mich gerade einmal 200 Franken mehr Miete als meine bisherige Wohnung. Ich bin in einem 2000-Seelen-Dorf im Kanton Luzern aufgewachsen.
Auch meine zweite Heimat Südserbien ist sehr ländlich. So gesehen kehre ich nun zurück zu den Wurzeln. Schon vor Corona zog es mich aufs Land, weil ich beruflich sehr gefordert bin. Die Hektik und der Lärm in der Stadt, zusammen mit der Enge einer Stadtwohnung – das machte meine sehr spärliche Freizeit stressig.
Ich hatte einfach keinen Platz und keine Ruhe mehr, um durchzuatmen. Corona hat meine Bemühungen, ein passendes Haus zu finden, dann intensiviert. Ohne den Lockdown wäre ich nicht von heute auf morgen umgezogen. Denn in meinem Unternehmen arbeiten wir nun im Homeoffice und sollten dies nach Möglichkeit auch weiterhin tun.»
«Dank Homeoffice kann ich meinen Traum verwirklichen»
Thomas Vogt ist es in der Stadt zu eng geworden: «Ich habe mir diesen Monat ein kleines Wohnwagenhäuschen auf einem Campingplatz im Emmental gekauft und will langfristig raus aus der Stadt. Aktuell habe ich noch eine Wohnung in der Altstadt von Bern, die ich aber gerne aufgeben möchte. Mein Arbeitgeber hat im Lockdown auch externen Mitarbeitenden wie mir das Homeoffice ermöglicht. Darum bin ich jetzt nicht mehr so an die Stadt gebunden und kann meinen Traum vom Leben im Grünen verwirklichen.
Auch das Gefühl, dass es mir während einer Pandemie in der Stadt zu eng wird und zu viele Menschen hat, spielte bei meinem Entscheid, dieses Häuschen zu kaufen, eine Rolle. Während der ersten Welle bin ich kaum mehr vor die Tür meiner Stadtwohnung gegangen und habe alles desinfiziert. Hier kann ich mich draussen bewegen, ohne Angst zu haben vor Corona. Ich habe auch mehr Aussenfläche, einen gedeckten Sitzplatz, einen Rasen und zwei Ahornbäume – und das erst noch für weniger Geld. Ich kann hier bis zu 1000 Franken im Monat sparen.»
«Uns hat die Natur gefehlt»
Jana K. und Matthias B. sind von Bern-Bümpliz nach Oberbottigen BE gezogen: «Anfang August zogen wir aus einer Blockwohnung in Bümpliz in eine Parterrewohnung nach Oberbottigen. Wir sind beide sehr gerne draussen und laden auch gern Leute zum Grillieren ein, das ist jetzt besser möglich. Wir lieben unseren neuen Wohnort, weil alles so gemütlich ist und wir uns jetzt endlich den Wunsch nach einem Kätzchen erfüllen können.
Klar, es hat hier mehr Mücken und die Anbindung an den ÖV ist etwas weniger gut. Aber wir geniessen die Abende im Garten sehr. Und wir trinken unseren Morgenkaffee jetzt auf der Bank vor unserem Haus mit Blick auf Felder und Wald – das ist unglaublich schön! Was Corona betrifft, sind wir froh, dem ganzen Stadttrubel fern zu sein.
Während dem Lockdown haben wir gemerkt, dass uns bei einer Ausgangssperre am alten Wohnort die Natur gefehlt hätte – und wir uns zum Beispiel auf dem Balkon niemals so hätten ausleben können wie jetzt im Garten. Darum sind wir froh, auf dem Land zu leben.»