«Der Lockdown war wie eine Zwangsdepression»
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In Therapie wegen Corona:«Der Lockdown war wie eine Zwangsdepression»

Mirco Deflorin (44) ist wegen Corona wieder in Therapie
«Der Lockdown war wie eine Zwangsdepression»

Mirco Deflorin kämpft seit mehr als zwei Jahrzehnten erfolgreich gegen Depressionen. Doch die Corona-Krise wird seiner Gesundheit gefährlich – er geht zurück in Therapie.
Publiziert: 23.08.2020 um 23:07 Uhr
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Aktualisiert: 10.02.2021 um 05:05 Uhr
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Mirco Deflorin kämpft gegen seine Depressionen. Mit Erfolg. Doch dann kommt der Lockdown.
Foto: STEFAN BOHRER
Celina Euchner

Müdigkeit, die ihn ans Bett fesselt. Erschöpfung, die alles einnimmt. Innere Leere, die ihn und all seinen Lebensmut verschluckt. Das Gefühl unterzugehen, zu versinken. Und Traurigkeit, «so als würde jeden Tag ein Verwandter sterben». So beschreibt Mirco Deflorin (44) seine Depression auf ihrem Höhepunkt.

Bis zu seinem 36. Lebensjahr war Deflorin schwer depressiv. Dann begab er sich in Therapie und ist seitdem auf dem Weg der Genesung. Er hat sich bewusst für das Leben entschieden, will alles geben. Und er schafft es, stabilisiert sich. Führt seither ein weitgehend normales Leben. Doch dann kommt der Corona-Lockdown.

Corona löst Strukturen auf

Mirco Deflorins jahrelang antrainierte Strukturen lösen sich auf. Keine Treffen mit Freunden, kein Sport, Selbstisolation, alleine sein, nicht das tun können, was er eigentlich will. «Der Lockdown war wie eine Zwangsdepression für alle», sagt er. Aber Deflorin weiss – besser als die meisten –, wie sich eine Depression anfühlt und wie man mit ihr umgeht.

Schon als 15-jähriger Bub hatte er erste Symptome. Erst mit 30 bekam der Churer die Diagnose Depression. Heute sagt er zu BLICK: «Ich konnte es meiner Mutter nicht antun, mich umzubringen. Wäre sie nicht, hätte ich das damals getan.»

Genesungsbegleiter kämpft gegen Krise an

Das Virus legt das Leben in der Schweiz lahm. «Ich hab wieder angefangen, länger zu schlafen, bis mittags. Ich habe keinen Sinn darin gesehen, morgens aufzustehen», sagt er. Antriebslosigkeit – ein Depressionssymptom. Trotzdem zwingt der 44-Jährige sich dazu, das Bett zu verlassen. Es sei das Wichtigste, sich kleine Ziele zu setzen. «Selbst wenn das nur ein geplanter Spaziergang ist oder dass man die Post öffnet.»

Mirco Deflorin arbeitet als Genesungsbegleiter. Normalerweise leitet er Gruppentherapien und Einzelgespräche in der Klinik St. Pirminsberg in Pfäfers SG. Was an Arbeit während des Lockdowns möglich ist, macht er. An Tagen, an denen er arbeitet, geht es dem Churer gut.

Corona-Studie: Unsere Psyche

Vielen Menschen geht es schlechter als vor der Pandemie – trotz gelockerter Massnahmen. Das hat die Studie «Swiss Corona Stress Study» der Universität Basel kürzlich ergeben. Über 10'000 Personen nahmen an der Online-Befragung teil. 40 Prozent gaben an, sich gestresster zu fühlen als vor dem Lockdown. Ebenso viele leiden unter Ängsten. Zwölf Prozent weisen nach eigenen Angaben depressive Symptome auf. Vor der Corona-Krise waren es drei Prozent. Als Gründe geben die Teilnehmerinnen und Teilnehmer Unsicherheit, veränderte Bedingungen bei der Arbeit oder in der Ausbildung, Zukunftsängste und die fehlenden sozialen Kontakte an. Rebecca Wyss

Vielen Menschen geht es schlechter als vor der Pandemie – trotz gelockerter Massnahmen. Das hat die Studie «Swiss Corona Stress Study» der Universität Basel kürzlich ergeben. Über 10'000 Personen nahmen an der Online-Befragung teil. 40 Prozent gaben an, sich gestresster zu fühlen als vor dem Lockdown. Ebenso viele leiden unter Ängsten. Zwölf Prozent weisen nach eigenen Angaben depressive Symptome auf. Vor der Corona-Krise waren es drei Prozent. Als Gründe geben die Teilnehmerinnen und Teilnehmer Unsicherheit, veränderte Bedingungen bei der Arbeit oder in der Ausbildung, Zukunftsängste und die fehlenden sozialen Kontakte an. Rebecca Wyss

«Es ist jeden Tag ein Kampf, die Krankheit zu bezwingen»

Trotzdem merkt der Mann, der heute anderen dabei hilft, Depressionen zu überwinden, dass seine eigene Stabilität ins Wanken gerät. «Es ist jeden Tag ein Kampf, die Krankheit zu bezwingen. Man muss sich überwinden, Geduld mit sich haben, achtsam sein.» Und das ist er.

«Ich stehe auch jetzt, an einem freien Tag, nicht einfach wieder auf. Mein Zustand ist noch nicht wie vor dem Lockdown», weiss er. Deshalb tut er, was er jedem anderen raten würde: «Ich habe mir einen Termin zur Gesprächstherapie geben lassen.»

Weil er selbst durch seine jahrzehntelange Depressionsgeschichte krisenerprobt ist, weiss er, wie er sich verhalten muss. Er schafft es, eine schwere psychische Krise abzuwenden. «Mir hat mehr Sorgen gemacht, was mit den gesunden Schweizern passiert», sagt er. Ihm kommt es vor, als seien viele Menschen zum ersten Mal in Angstzustände gefallen.

Corona-Krise kann depressiv machen

Das bestätigt sich auch in den Gruppentherapie-Stunden, die er leitet. «Einige sind neu dazugekommen, weil sie während der Corona-Krise depressiv geworden sind.» Allen, die sich Gedanken machen, ob ihre Ängste während des Lockdowns eine Depression sein könnten, empfiehlt er, in sich zu gehen.

«Überlegen Sie, was die Krise mit Ihnen gemacht hat, sprechen Sie mit einem Freund oder Therapeuten. Ich dachte auch immer, ich sei gesund.» Man müsse sich der Krankheit stellen. Im seltensten Fall gingen das Gefühl der inneren Leere und die Depressionssymptome einfach weg. «Ich weiss, es tut weh, sich damit zu beschäftigen – aber es gibt einem den Lebenswillen zurück.»

Corona bringt die Ängste wieder zurück

Unsicherheit. Einsamkeit. Angst. Corona belastet die Schweizer Bevölkerung. Die bislang grösste Gesundheitskrise des 21. Jahrhunderts hinterlässt bereits Spuren. Soziale Distanz, Jobverlust, Kurzarbeit und grosse wirtschaftliche Einbussen – all das kann die Corona-Pandemie mit sich bringen. Wie die Menschen damit umgehen, ist unterschiedlich. Einige genossen gar, dass der Alltag während des Lockdowns fast zum Stillstand kam – andere belasten die neuen Umstände schwer.

Die Psyche der Schweizer wurde in Mitleidenschaft gezogen. Marc Stutz, Leiter der Kommunikation der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich, sagt: «Grundsätzlich war ein Patientenanstieg nach dem Ende des Lockdowns klar festzustellen.» Mittlerweile sei die Auslastung wieder auf dem Stand wie vor dem Lockdown. Das liege auch daran, dass wieder das volle Behandlungsangebot zur Verfügung stünde. Man verzeichne allerdings «einen Zuwachs bei Patienten mit Depressionen und Manien». Das sei so zu erwarten gewesen.

Alkoholabhängigkeit, Depressionen, Angststörungen – wegen Corona erwartet

Genaue Zahlen zu allen Ängsten und den daraus resultierenden Behandlungen gibt es aktuell noch nicht. «Weil wir noch mitten in der Corona-Krise sind, können wir keine repräsentativen Aussagen machen», sagt Fulvia Rota von der Schweizerischen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie.

Die Corona-Pandemie birgt nebst Depressionen und Ängsten noch eine weitere Gefahr: Es wird häufiger zur Flasche gegriffen. Das erwartet das Kompetenzzentrum für Prävention und Forschung im Suchtbereich, Sucht Schweiz.

Auf seiner Website warnt es: Frühere Studien zum Alkoholkonsum in Krisensituationen zeigten, dass es einerseits zu einem Rückgang in der Gesamtbevölkerung, andererseits aber zu einem Anstieg in Teilgruppen gekommen sei. «Also eine Verschlimmerung des Alkoholkonsums vor allem bei Personen mit bereits vorherigem problematischem Konsum.»

Verunsicherte reagieren extrem

Weiter heisst es, dass die Corona-Krise – wie andere durch Katastrophen ausgelöste Krisen der öffentlichen Gesundheit – «sehr wahrscheinlich» bei einer Vielzahl von Menschen zu jahrelangen psychischen Problemen wie Schlafproblemen, Angststörungen, posttraumatischem Stress und Depressionen führen werde.

Professor Sebastian Olbrich, stellvertretender Leiter des Zentrums für soziale Psychiatrie der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich, hält es gar für möglich, dass Menschen durch die Corona-Pandemie in Zwangsstörungen wie den Waschzwang verfallen könnten.

Ängste, die in der Bevölkerung herrschen, können sich unterschiedlich auswirken. Wer unsicher ist, sucht für sich nach Lösungen. Das kann laut Sektenexpertin Susanne Schaaf sogar so weit gehen, dass sich Verunsicherte in sektenartige Religionsgemeinschaften begeben.

Unsicherheit. Einsamkeit. Angst. Corona belastet die Schweizer Bevölkerung. Die bislang grösste Gesundheitskrise des 21. Jahrhunderts hinterlässt bereits Spuren. Soziale Distanz, Jobverlust, Kurzarbeit und grosse wirtschaftliche Einbussen – all das kann die Corona-Pandemie mit sich bringen. Wie die Menschen damit umgehen, ist unterschiedlich. Einige genossen gar, dass der Alltag während des Lockdowns fast zum Stillstand kam – andere belasten die neuen Umstände schwer.

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Die Corona-Pandemie birgt nebst Depressionen und Ängsten noch eine weitere Gefahr: Es wird häufiger zur Flasche gegriffen. Das erwartet das Kompetenzzentrum für Prävention und Forschung im Suchtbereich, Sucht Schweiz.

Auf seiner Website warnt es: Frühere Studien zum Alkoholkonsum in Krisensituationen zeigten, dass es einerseits zu einem Rückgang in der Gesamtbevölkerung, andererseits aber zu einem Anstieg in Teilgruppen gekommen sei. «Also eine Verschlimmerung des Alkoholkonsums vor allem bei Personen mit bereits vorherigem problematischem Konsum.»

Verunsicherte reagieren extrem

Weiter heisst es, dass die Corona-Krise – wie andere durch Katastrophen ausgelöste Krisen der öffentlichen Gesundheit – «sehr wahrscheinlich» bei einer Vielzahl von Menschen zu jahrelangen psychischen Problemen wie Schlafproblemen, Angststörungen, posttraumatischem Stress und Depressionen führen werde.

Professor Sebastian Olbrich, stellvertretender Leiter des Zentrums für soziale Psychiatrie der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich, hält es gar für möglich, dass Menschen durch die Corona-Pandemie in Zwangsstörungen wie den Waschzwang verfallen könnten.

Ängste, die in der Bevölkerung herrschen, können sich unterschiedlich auswirken. Wer unsicher ist, sucht für sich nach Lösungen. Das kann laut Sektenexpertin Susanne Schaaf sogar so weit gehen, dass sich Verunsicherte in sektenartige Religionsgemeinschaften begeben.

Hier findest du Hilfe

• Die Dargebotene Hand, Telefon 143 und Onlineberatung, Schweigepflicht; anonym und kostenlos, www.143.ch
• Klartext (Anlaufstelle für Fragen rund um den Suizid): erstes Beratungsgespräch kostenlos; 079 450 91 68
• Hausarzt oder Psychiater

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