Die Wasserexperten reden nicht lange um den heissen Brei herum. «Es besteht Handlungsbedarf!», steht ganz zu Beginn eines vierseitigen Faktenblatts der Eawag, des Wasserforschungsinstituts der ETH. Die Forschung zeige, dass der Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft die Wasserqualität in der Schweiz gefährde. «Negative Effekte auf Fortpflanzung, Entwicklung und Gesundheit von Pflanzen, Tieren und Mikroorganismen müssen befürchtet werden.»
Diese Feststellung ist brisant – gerade angesichts der hängigen Volksinitiativen, die den Pestizideinsatz stark einschränken oder ganz verbieten wollen. Doch davon sollte die Öffentlichkeit nach dem Willen von Bundesrat Guy Parmelin (60) nichts erfahren.
Der Vorwurf: politische Einflussnahme
BLICK-Recherchen zeigen: Der Landwirtschaftsminister höchstpersönlich hat dafür gesorgt, dass das Eawag-Faktenblatt unter Verschluss bleibt. Und er hat den ETH-Forschern einen Maulkorb verpasst. Denn Parmelin sieht im Papier, das ursprünglich fürs Parlament erstellt wurde, eine politische Einflussnahme.
Dies obwohl die Forscher explizit festhalten, als unabhängige Forschungsstelle keine Stimmempfehlung zu den Initiativen abzugeben. «Ob, wo und wie die beiden Initiativen zu Verbesserungen der Wasser- und Gewässerqualität führen würden, ist mit dem aktuellen Wissensstand schwer abzuschätzen», heisst es am Ende des Dokuments.
Bisherige Massnahmen reichen nicht
Klar ist aus Sicht der Wissenschaftler aber, dass das, was die Schweiz bislang unternommen hat, nicht reicht. Mit dem Aktionsplan Pflanzenschutz existiert zwar ein Massnahmenpaket, um die Pestizidbelastung der Gewässer zu senken. Doch der Aktionsplan ist nicht verbindlich, wie die Eawag festhält. Zudem erfüllten «selbst die gesetzten Ziele die gesetzlichen Anforderungen noch nicht». Das Papier legt den Schluss nahe, dass es vor allem die Landwirtschaft ist, die der Wasserqualität schadet.
Das war zu viel für den gelernten Weinbauern. Parmelin intervenierte beim ETH-Rat. Dieser ist das oberste Aufsichtsorgan der Hochschule, auch für die Eawag zuständig. Am 10. Oktober trafen sich der Wirtschaftsminister, die Interimspräsidentin des ETH-Rats, Beth Krasna (66), die Eawag-Direktorin Janet Hering (61) und weitere Teilnehmerinnen zu einer Aussprache. Das Forschungsinstitut bestätigt das Treffen, will sich aber nicht zum Gesprächsinhalt äussern.
Kritik unerwünscht
BLICK weiss, dass Parmelin nicht nur wegen des Faktenblatts interveniert hat. Nicht gepasst hat dem SVP-Bundesrat auch ein Gastkommentar, erschienen Ende September in der «NZZ». Bernhard Wehrli (62), Professor für aquatische Chemie an ETH und Eawag, äusserte darin Kritik an der bisherigen Pestizidstrategie des Bundesrats. Er zeigte sich gar offen gegenüber einem Gegenvorschlag zu Trinkwasser- und Pestizid-Initiative.
Damit zog der ETH-Professor die Wut Parmelins auf sich. BLICK liegt ein internes Memo vor, das Eawag-Direktorin Hering gut eine Woche nach dem Treffen verschickte. Aus diesem geht zwar hervor, dass Parmelin einleitend betont habe, die wissenschaftliche Unabhängigkeit der Eawag zu respektieren und zu schätzen. Allerdings steht im Memo auch, dass Parmelin klarmachte, keine Kritik an der bundesrätlichen Politik zu dulden. Wörtlich heisst es: «Bundesrat Parmelin brachte explizit seine Haltung zum Ausdruck, dass Angestellte der Eidgenossenschaft (inklusive Angestellte im ETH-Bereich) vom Bundesrat getroffene Entscheide nicht öffentlich kritisieren sollen.» Das Memo wurde vor dem Versand an die Mitarbeiter von Sitzungsteilnehmerin Beth Krasna abgesegnet. Das steht ebenfalls im Memo.
Forscher sind empört
Die Eawag spurte zähneknirschend. Parmelins Intervention führte dazu, dass das Faktenblatt im Giftschrank weggeschlossen – und nicht, wie es bei vergleichbaren Dokumenten sonst der Fall ist, auf der Website veröffentlicht wurde. ETH-Wissenschaftler, mit denen BLICK sprach, sind empört über Parmelins Zensur. Öffentlich aufzumucken, traut sich aber niemand.
Gegen aussen spielt die Eawag-Direktion Parmelins Einmischung denn auch herunter. Beim Faktenblatt habe es sich bloss um ein «Hintergrundpapier für das Parlament» gehandelt, heisst es auf offizielle Anfrage. Institutsintern kritisierte Hering Parmelins Vorgehen aber.
Parmelin dementiert Zensur
Das Wirtschaftsdepartement (WBF) weist die Vorwürfe der Zensur und Einflussnahme zurück. «Die Darstellung im Memo ist falsch», entgegnet das WBF und betont: «Forschende dürfen sich mit ihren Fakten immer äussern.» Parmelin habe «im vertraulichen Gespräch» lediglich angeregt, «dass die Zusammenarbeit und die Kommunikation zwischen der Eawag, der ETH und dem Departement verbessert werden soll».
Der Bundesrat habe aber «nie ein Verbot ausgesprochen». Die Vorwürfe seien «aus der Luft gegriffen und völlig absurd». Die Faktenblätter würden «dementsprechend auch auf der Homepage der Eawag veröffentlicht». Das umstrittene Papier war bis gestern Abend allerdings nicht publiziert.
Kommentar zum Thema
«Eingriff in die Freiheit der Wissenschaft»
Die im Protokoll festgehaltenen Aussagen Parmelins lösen nicht nur bei Forschern, sondern auch unter der Bundeshauskuppel heftige Reaktionen aus. «Ich bin entrüstet», sagt SP-Nationalrat Beat Jans (55). «Die Politik ist darauf angewiesen, dass Wissenschaftler nach bestem Wissen und Gewissen Auskunft geben über wissenschaftliche Erkenntnisse und Handlungsbedarf.» Genau das habe die Eawag gemacht. «Die Einmischung von Parmelin geht überhaupt nicht.»
Grünen-Fraktionschef Balthasar Glättli (47) pflichtet ihm bei. «Das ist ein Eingriff in die Freiheit der Wissenschaft», sagt der Zürcher Nationalrat. Sachlich festzustellen, dass Handlungsbedarf besteht, sei keine politische Einflussnahme. «Auch einem Professor sollte es möglich sein, sich zu einem Thema zu äussern, das politisch aktuell ist.»
Das streicht auch BDP-Präsident Martin Landolt (51) hervor, ein Gegner der beiden Initiativen. «Die Wissenschaft muss sich zwingend äussern dürfen, gerade die ETH», sagt der Glarner. «Ihr Input ist wichtig und wertvoll.»
Die Trinkwasser- und die Pestizid-Initiative sorgen bei den Bauern für grosse Nervosität. Die Trinkwasser-Initiative will, dass nur noch Bauern Direktzahlungen erhalten, die auf die chemische Bekämpfung von Schädlingen und übertriebenen Antibiotika-Einsatz verzichten. Die Pestizid-Initiative ist noch radikaler und will ein komplettes Verbot synthetischer Schädlingsbekämpfungsmittel.
Weil die Initiativen thematisch ähnlich sind, behandelt sie das Parlament gemeinsam. Bundesrat und Nationalrat lehnen beide ab. Auch ein Gegenvorschlag hatte keine Chance. Als Nächstes kommen die Vorlagen in den Ständerat. Angesichts der grünen Welle bei den eidgenössischen Wahlen ist durchaus möglich, dass der Wind noch drehen wird. Zur Abstimmung werden die Initiativen allerfrühestens im Herbst nächsten Jahres kommen.
Nicht nur wegen des Wahlergebnisses haben die Initianten momentan Rückenwind. Ein Bericht des Bundesamts für Umwelt, der diesen Sommer veröffentlicht wurde, zeigt, wie stark Pestizide das Grundwasser verschmutzen. Bei mehr als der Hälfte der Messstellen wurden Giftrückstände nachgewiesen. Hauptverantwortlich dafür ist die Landwirtschaft.
Die Trinkwasser- und die Pestizid-Initiative sorgen bei den Bauern für grosse Nervosität. Die Trinkwasser-Initiative will, dass nur noch Bauern Direktzahlungen erhalten, die auf die chemische Bekämpfung von Schädlingen und übertriebenen Antibiotika-Einsatz verzichten. Die Pestizid-Initiative ist noch radikaler und will ein komplettes Verbot synthetischer Schädlingsbekämpfungsmittel.
Weil die Initiativen thematisch ähnlich sind, behandelt sie das Parlament gemeinsam. Bundesrat und Nationalrat lehnen beide ab. Auch ein Gegenvorschlag hatte keine Chance. Als Nächstes kommen die Vorlagen in den Ständerat. Angesichts der grünen Welle bei den eidgenössischen Wahlen ist durchaus möglich, dass der Wind noch drehen wird. Zur Abstimmung werden die Initiativen allerfrühestens im Herbst nächsten Jahres kommen.
Nicht nur wegen des Wahlergebnisses haben die Initianten momentan Rückenwind. Ein Bericht des Bundesamts für Umwelt, der diesen Sommer veröffentlicht wurde, zeigt, wie stark Pestizide das Grundwasser verschmutzen. Bei mehr als der Hälfte der Messstellen wurden Giftrückstände nachgewiesen. Hauptverantwortlich dafür ist die Landwirtschaft.