Sind Kinder ansteckend, wenn es um das Coronavirus geht? Diese Frage spaltet die Fachwelt nicht erst seit gestern. Daniel Koch (65) vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) sagte, dass Kinder praktisch nicht infiziert und das Virus folglich auch nicht weitergeben würden. Er bezeichnete eine Umarmung von Enkel und Grosseltern darum als unproblematisch. Und am 11. Mai könnten auch die obligatorischen Schulen wieder öffnen.
Gestern veröffentlichte der deutsche Virologe Christian Drosten (48) eine Studie, die daran Zweifel säte: Kinder könnten gleich viele Coronaviren in ihrem Hals tragen wie Erwachsene. Der Forscher warnte vor einer unbegrenzten Wiederöffnung der Schulen.
Kinder weniger anfällig
Nur einen Tag später teilt Drosten eine Studie aus dem renommierten «Science»-Magazin mit neuen Erkenntnissen. Nach dieser ist zumindest das Ansteckungsrisiko für Kinder kleiner: «Wir stellen fest, dass Kinder im Alter von null bis 14 Jahren weniger anfällig für eine Infektion mit SARS-CoV-2 sind als Erwachsene im Alter von 15 bis 64 Jahren», heisst es in der Studie, die auf Daten aus China basiert. Im Gegensatz dazu seien Personen über 65 Jahre anfälliger für eine Infektion.
Drosten twitterte die Studie mit dem Kommentar, sie sei «superb» – hervorragend – und ein wichtiges Pendant zu den gestrigen Daten. In der Studie heisst es dann weiter, dass Social Distancing, wie es in China während des Ausbruchs umgesetzt wurde, ausreiche, um das Coronavirus zu kontrollieren.
Zu seinen eigenen Daten sagt Drosten im Podcast des NDR: «Es könnte gut sein, dass Kinder so infektiös sind wie Erwachsene». Dass sie selbst also genauso viele Menschen anstecken könnten. Momentan gäbe es aber nur wenige Daten von positiv getesteten Kinder. Der Virologe fasst die Ergebnisse der beiden Studien zusammen: «Kinder sind ein Drittel so anfällig, die Infektion zu kriegen, wie Erwachsene. Wenn sie es aber haben, haben sie genauso viele Viren wie Erwachsene.»
«Kinder sind nicht die Treiber der Epidemie»
Und Daniel Koch? Er erklärte am Donnerstag an einer Medienkonferenz in Zürich, er habe die Daten von Drosten analysiert und sie auch mit einem Kinderinfektiologen besprochen. «Das stellt die Wiedereröffnung der Schulen nicht infrage.» Kinder könnten auch am Virus erkranken, das sei schon bekannt. «Die Kinder sind aber nicht die Treiber der Epidemie.»
Koch sieht sich auch von anderer Seite bestätigt. Schon am Montag, als er seinen Segen zur Enkel-Umarmung gab, begründete er seine Empfehlung mit verschiedenen Expertengesprächen und neuen Studien. Eine davon zeige, dass vor allem kleine Kinder sehr wenige Andockstationen für das Virus im Hals-Rachen-Raum haben, so der «Tages-Anzeiger».
Auch Kinderärzte unterstützen die Schulöffnung. Die Schweizer Gesellschaft für Pädiatrie verweist auf Studien aus Holland und Australien und nennt das Beispiel Schweden, wo die Fallzahlen bei Personen unter 20 gleich sind wie in anderen Ländern. «Obwohl die Schulen nie geschlossen wurden.»