Pleiten, Pech und Pannen
Dokumente zeigen, wie das BAG Corona unterschätzte

Das Bundesamt für Gesundheit ignorierte eine interne Warnerin und verlor so wichtige Zeit im Kampf gegen das Coronavirus – mit tödlichen Folgen. Und auch danach lief nicht alles glatt.
Publiziert: 14.06.2020 um 16:02 Uhr
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Aktualisiert: 16.06.2020 um 22:33 Uhr
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Am 28. Februar rief der Bundesrat im Kampf gegen das Coronavirus die besondere Lage aus. Doch er hätte früher handeln können und müssen.
Foto: Keystone

Am 28. Februar war es soweit: Der Bundesrat rief die besondere Lage aus. Schneller als erwartet hatte das Coronavirus die Schweiz erreicht. Doch nun zeigen interne Dokumente: Die rasche Ausbreitung der Pandemie kam gar nicht so überraschend. Der Bund hätte früher reagieren und so Leben retten können.

Denn die für die Lagebeurteilung zuständige Wissenschaftlerin im Bundesamt für Gesundheit (BAG) hatte die Ausrufung der besonderen Lage schon vier Tage früher beantragt: Das Virus stelle «eine besondere Gefährdung der öffentlichen Gesundheit dar». Das berichtet die «SonntagsZeitung».

In falscher Sicherheit gewähnt

Der Antrag aber scheiterte vorerst. Die Behörden hatten die Corona-Lage da noch unterschätzt. Die besondere Lage könne zurzeit nicht ausgesprochen werden, erklärte BAG-Direktor Pascal Strupler (60) in einer Sitzung vom 24. Februar. Denn dazu brauche es «konkrete Massnahmen». Und dazu war die Politik offenbar noch nicht bereit. Das habe man intensiv mit Gesundheitsminister Alain Berset (48) besprochen.

Die Behörden wähnten sich in falscher Sicherheit. Man glaubte sich gut vorbereitet. So gut sogar, dass es sich BAG-Direktor Pascal Strupler leisten konnte, in die Ferien zu fahren, wie ein Protokolleintrag verrät.

«Jeder Tag zählt»

So ging wertvolle Zeit verloren. Hätten die Chefs auf ihre Expertin gehört, wären weniger Menschen gestorben. Davon ist Epidemiologe Christian Althaus (41) überzeugt. «Bei der Bekämpfung einer sich exponentiell ausbreitenden Epidemie zählt jeder Tag», sagt er. «Hätte man bereits am Montag mit der Einleitung der ersten Massnahmen begonnen, wäre es in der Schweiz zu einer deutlich tieferen Anzahl schwerer Erkrankungen und Todesfälle durch Covid-19 gekommen.»

«Virus wird nicht so leicht übertragen wie Grippevirus»: Auszug aus Dokumenten des BAG.
Foto: Ausriss «SoZ»

Das BAG aber hatte den Ernst der Lage noch nicht erkannt. «Virus wird nicht so leicht übertragen wie Grippevirus, darum gute Aussichten, die Situation unter Kontrolle zu bringen», sagte der spätere «Mister Corona», Daniel Koch, an der Sitzung vom 24. Februar. Erst vier Tage später beschloss der Bundesrat die besondere Lage dann doch und verbot Veranstaltungen mit mehr als 1000 Personen.

BAG glaubt, bestens ausgerüstet zu sein

Und die Fehleinschätzungen gingen weiter. Im BAG glaubte man, für den Fall der Fälle mit Test- und Schutzmaterial bestens ausgerüstet zu sein. Erst spät merkte man, dass dies nirgendwo hinreicht. Fieberhaft wurden Masken nachbestellt. Ab Anfang März konnten nicht mehr alle Verdachtsfälle getestet werden, weil das Material dazu fehlte.

Befürchtungen wurden laut, die Situation könnte jene in Italien noch übertreffen. Am 16. März rief der Bundesrat noch am gleichen Tag die ausserordentliche Lage aus und schloss Läden und Restaurants.

Doch noch immer fehlten Schutzmasken. Nicht nur die Öffentlichkeit hat teils kein Verständnis dafür, dass die Behörden der Bevölkerung lange davon abraten, solche zu tragen – auch intern wurden Vorwürfe laut.

Und die Kritik geht weiter: Das BAG musste sich den Vorwurf gefallen lassen, es liefere die Zahlen zur Pandemie zu spät, zu wenig detailliert und sogar fehlerhaft. Nun zeigen die Protokolle, dass man auch verwaltungsintern nicht zufrieden ist mit der Datenbehandlung.

Auch dauerte es lange, bis der Bundesrat Ende März die Wissenschaft mit einer Taskforce in die Krisenbewältigung einbezogen hat. Erneut erntet das BAG Kritik. Epidemiologen werden den Behörden vor, nicht auf ihre Warnungen gehört zu haben.

Lieber um den eigenen Ruf gekümmert

Die Protokolle würden weiter aufzeigen, dass sich Bund und Kantone im Februar offenbar noch nicht um den Aufbau von Kapazitäten für das Contact-Tracing bemüht haben. So mussten die Behörden Anfang März die Nachverfolgung der Fälle rasch wieder aufgeben. Auch die Situation in den Alters- und Pflegeheimen sei wenig beachtet worden. Später wird dort rund die Hälfte der Corona-Toten in der Schweiz zu beklagen sein.

Lieber soll sich das BAG um seinen guten Ruf bemüht haben. Bereits in der ersten Februarhälfte habe es die Zeit dafür gefunden, eine «Reputationsanalyse» aufzugleisen. Neben einem wöchentlichen Rapport wurden für jeden Morgen «Kurzanalysen» beschlossen, «damit auf Negativberichterstattung rasch reagiert werden kann». (dba)

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