Postchefin Susanne Ruoff tritt per sofort zurück. Das teilt sie heute Abend in einem Communiqué mit, das BLICK vorliegt. Die 60-Jährige zieht damit die Konsequenzen aus dem grössten Subventionsbetrug der Schweizer Geschichte, der sich in ihrem Konzern abgespielt hat. Die Postauto-Tochter hat im regionalen Personenverkehr jahrelang unerlaubte Gewinne eingefahren. Morgen werden Untersuchungsberichte zum Postauto-Bschiss von der Post und vom zuständigen Verkehrsdepartement veröffentlicht.
Ruoff kommt diesen zuvor. Sie hat dem Post-Verwaltungsrat am Freitag ihren Rücktritt bekannt gegeben. Dieser akzeptierte das. Sie übernehme die volle Verantwortung, erklärt die in Crans Montana VS wohnhafte Managerin.
«Gewisse Hinweise» auf Bschiss
Nach Einsicht in die Untersuchungsberichte habe sie feststellen müssen, dass es für widerrechtliche Buchungspraxis bei Postauto «gewisse Hinweise» gegeben habe. Doch Ruoff hält auch fest: Es gebe keinerlei Beweise, dass sie von dieser Praxis Kenntnis hatte. Es sei eine grosse Herausforderung, als Chefin des drittgrössten Konzerns der Schweiz mit 60'000 Mitarbeitenden in sämtlichen Bereichen im richtigen Moment einzugreifen.
«Wie in jedem Unternehmen habe ich mich als CEO auf die internen und externen Kontrollsysteme verlassen», so Ruoff. Als Konzernleiterin übernehme sie aber selbstverständlich die Gesamtverantwortung. «Die Schweizerische Post ist in der Bevölkerung tief verankert und geniesst grossen Support. Dafür möchte ich mich bedanken. Danke sagen will ich auch allen Kolleginnen und Kollegen, allen Mitarbeitenden, die mich in meinen sechs Jahren als Postchefin unterstützten.»
Und Ruoff bittet um Verzeihung für den Postauto-Bschiss: «Für die Vorfälle und die Unruhe bei Postauto möchte ich mich persönlich entschuldigen.» Laut BLICK-Informationen war der Bschiss beim gelben Riesen viel grösser als bislang bekannt. Die Postauto-Lenker sollen während 15 Jahren systematisch betrogen haben.
Vom Zwerg zum gelben Riesen
Ruoff war erst am 1. September 2012 von BT Switzerland AG an die Spitze des Post-Konzerns gekommen. Der Betrug lief also schon lange vor ihrem Amtsantritt. Bei der Schweizer Niederlassung der BT Group (British Telecommunications) hatte sie einige hundert Mitarbeiter unter sich gehabt. Für den gelben Riesen sind 63'000 Leute tätig.
Das liess man die einstige BT-Länderchefin von Anfang an spüren. «Stellen Sie sich vor, da kommt die Chefin irgend eines Zwergunternehmens zum gelben Riesen. Sie wird Managern vor die Nase gesetzt, die viele tausend Beschäftigte unter sich haben. Und die vor allem alle selbst gerne Konzernleiter geworden wären. Sie hatte nie eine Chance», sagt ein Postmitarbeiter.
Und doch hat Ruoff in den knapp sechs Jahren den Postkonzern umgekrempelt. Vom konservativen Service-public-Unternehmen zum modernen Dienstleister mit Päckli-Automaten, Postagenturen und elektronischer Briefbearbeitung. Neue Technologien sind wichtig für Ruoff: Sie lässt die Post Tests mit selbstfahrenden Postautos machen und setzt Transportdrohnen ein. Ausserdem experimentiert die Post derzeit mit der sogenannten Blockchain. Das alles durchaus mit Erfolg: Erst letzte Woche wurde die Schweizerische Post zur besten der Welt gekürt – zum zweiten Mal in Folge.
Ruoff erkannte die Brisanz nicht
Nun stolpert Ruoff ausgerechnet über das identitätsstiftende, aber finanziell wenig bedeutende Nebengeschäft Postauto. Auch wenn Ruoff beteuert, sie habe ihren Mitarbeitern vertraut – Ruoff hätte vom Bschiss wissen müssen: Der 1. Mai 2013 war ein kalter und feuchter Mittwoch gewesen, die Post-Spitze traf sich für drei Tage zur Klausur. Wie BLICK öffentlich machte, erklärte der damalige Postauto-Chef Daniel Landolf (58) seinen Mananger-Kollegen damals, wie «der Gewinn von Postauto (…) nicht im RPV, sondern mehrheitlich im Nebengeschäft (...) ausgewiesen wird». Und er präsentierte ihnen Möglichkeiten, «um die von der Post geforderten Gewinne von Postauto zu halten» und «die unsystematischen Belastungen der RPV-Linien durch ein systematisches Transferpreissystem abzulösen».
Zwar war die Postchefin da noch kein Jahr im Amt. Aber sowohl Anfang Mai wie auch gegen Ende August übersah Susanne Ruoff die Brisanz der versteckten illegalen Postautogewinne: Denn per Aktennotiz vom 21. August 2013 war Ruoff explizit von der internen Revision darauf aufmerksam gemacht worden, dass «der Wertezufluss punktuell nicht eingehalten wird, was in bestimmten Fällen zu Quersubventionierung zu Lasten des öffentlich finanzierten Geschäfts führt», wie BLICK damals berichtete.
Am Montag gibt es mehr Klarheit
Als das Bundesamt für Verkehr (BAV) am 6. Februar 2018 den Postauto-Bschiss publik machte, versuchte Ruoff den Skandal gleichentags weit von sich zu weisen. «In einer Ecke der Postauto AG ist etwas Unrechtes geschehen», sagte sie wörtlich und behauptete, sie habe erst im November 2017 von den illegalen Gewinnen und Umbuchungen erfahren.
Weil BLICK darauf die internen Dokumente publizierte, steht Ruoff seither in Verdacht, nicht aufrichtig gewesen zu sein. Morgen präsentiert die Post Ergebnisse ihrer Untersuchung zur verbotenen Buchungspraxis bei Postauto sowie ein Gutachten eines unabhängigen Expertengremiums dazu.
Nur eingeschränktes Vertrauen in den Verwaltungsrat
Auch das zuständige Verkehrsdepartement (Uvek) von Doris Leuthard (55, CVP) wird informieren. Laut BLICK-Recherchen erteilt der Bundesrat dem Post-Verwaltungsrat um Post-Präsident Urs Schwaller (65, CVP) die Décharge nur eingeschränkt. Die Einschränkungen betreffen Postauto.
Auch einen Bericht werde das Uvek veröffentlichen, ist zu vernehmen. Wie BLICK weiss, spielen darin die von BLICK publizierten Papiere eine wichtige Rolle. Laut dem Bericht hätte die operative Leitung der Post die Vorgänge bei Postauto sehen müssen. Weiterhin zu sagen, sie habe nichts gewusst, half Ruoff nicht mehr. Also geht sie.
Und scheint erleichtert darüber: Am Donnerstagabend – als die den Entscheid schon getroffen haben musste – lauschte sie am Swiss Economic Forum in Interlaken BE sichtlich gelöst dem Konzert der Berner Kultband Patent Ochsner.
Ruoffs Nachfolge könnte Thomas Baur (53) antreten. Der Leiter Poststellennetz leitet auch ad interim die Postauto-Sparte.