Es ist ein kalter und feuchter Mittwoch im Jahr 2013, an dem sich Postchefin Susanne Ruoff (60) und ihre Untergebenen zur Konzernleitungsklausur treffen. An dieser Retraite vom 1. bis zum 3. Mai steht auch ein besonders heikles Traktandum auf der Liste: die «Gewinnsicherung» bei der Postauto-Sparte.
Mit ihren grossen gelben Bussen hat die Post seit Jahren ein Problem. Laut Gesetz darf Postauto im Regionalen Personenverkehr (RPV) keinen Gewinn einfahren, denn er wird von Bund und Kantonen mit jährlich 300 bis 400 Millionen Franken subventioniert. Doch genau da liegt das Hauptgeschäft. Und die Konzernleitung will in allen Unternehmenssparten Gewinne sehen. Bei Postauto sind es drei Prozent, wie Insider sagen (BLICK berichtete).
Die zündende Idee
Was aus den Nebengeschäften noch an Gewinnen sprudelt, reicht nicht. Eine Idee wäre es, im Regionalverkehr auf jeder Strecke etwas mehr einzunehmen als nötig. Und diese Idee hatte man bei Postauto tatsächlich.
So wurden seit 2007 bei einer gewinnbringenden Posti-Linie Kosten für Pneus verbucht, die gar nie angeschafft worden waren. Oder man verbrauchte halt etwas mehr Diesel. Oder man machte den Diesel etwas teurer, als er wirklich war. Hunderttausende solcher Buchungen gab es. Das war illegal, wie Peter Füglistaler (58), Chef des Bundesamts für Verkehr (BAV), gestern an einer Medienkonferenz nochmals klarstellte: «Es handelte sich um eine sehr aktive Täuschung», diese sei «systemisch organisiert» gewesen.
Mehr Übersicht sollte her
Vor allem aber waren die vielen Buchungen für die Postauto AG selbst sehr unübersichtlich. Daher ergriff der mittlerweile geschasste Postauto-Chef Daniel Landolf (58) die Initiative, die «unbefriedigende Situation zu lösen», wie er in einem internen Dokument an den Verwaltungsratspräsidenten schreibt.
An jenem wolkenverhangenen Morgen im Mai erläutert Landolf seinen Kollegen an der Postspitze, wie «der Gewinn von Postauto (…) nicht im RPV, sondern mehrheitlich im Nebengeschäft (...) ausgewiesen wird». Und er präsentiert ihnen Möglichkeiten, «um die von der Post geforderten Gewinne von Postauto zu halten» und «die unsystematischen Belastungen der RPV-Linien durch ein systematisches Transferpreissystem abzulösen».
«Gewinne im Konzern abschöpfen»
Eine Lösung gefällt «F» – wahrscheinlich handelt es sich hier um Finanzchef Pascal Koradi – besonders gut: Der Gewinn sollte nicht länger innerhalb der Postauto AG verschoben werden, sondern in den Mutterkonzern. So könnten Gewinne «im Konzern abgeschöpft» werden und müssten «nicht zwingend an den Besteller» (also Bund und Kantone) «weitergegeben werden».
Das Dokument beweist: Die Postspitze befasste sich Anfang Mai 2013 damit, weiterhin hohe Subventionen abzuschöpfen und so den Steuerzahler zu schädigen. Konzernchefin Ruoff sass mit am Tisch. Und sie wusste, wie heikel das rechtlich ist.
Denn ein halbes Jahr zuvor hatte BAV-Chef Füglistaler die Postleitung ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Postauto im Regionalverkehr auf keinen Fall Gewinn machen darf. Und auch dort sass Ruoff – erst wenige Wochen im Amt – mit am Tisch, wie Füglistaler gestern auf Nachfrage bestätigte.
Die Neuerung liess alles auffliegen
Am 5. Juni, einen Monat nach dem Sondertreffen, hatte die Postspitze entschieden: Statt der von «F» favorisierten «Extremvariante» sollte Landolf die Version «juristische Neustrukturierung» umsetzen.
Diese trat 2016 in Kraft und spaltete Postauto in sieben Gesellschaften auf. Eine davon war Postauto Schweiz. Diese stellte den subventionierten Regionalverkehr sicher. Busse, Chauffeure, Wartung und selbst den Treibstoff musste sie von einer anderen Gesellschaft kaufen: Postauto Produktions AG. So machte die subventionierte Postauto Schweiz ganz sicher keine Gewinne mehr.
Als Postauto dem Bund die Jahresbilanz 2016 vorlegte, flog das Ganze auf. Denn jetzt konnte der Bund die Geldflüsse nachvollziehen und stoppte die Praxis. Und fragte sich plötzlich, wie die Gewinne wohl bis 2015 verbucht worden waren. Zwei BAV-Revisoren tauchten tief in die Postauto-Buchhaltung ab – und fanden 200’000 illegale Buchungen!
Strafrechtliche Folgen drohen auch den Chefs
Das BAV bereitet nun ein Dossier vor, um es der Bundesanwaltschaft zu übergeben. Der Bschiss wird Folgen haben. Und so, wie die Dinge liegen, dürften nicht nur ein paar Buchhalter eingeklagt werden. Strafrechtlich verantworten müssen sich wohl die Konzernverantwortlichen – wie der damalige Postauto-Finanzchef, die Chefin Susanne Ruoff und allenfalls auch verschiedene Verwaltungsräte.
Ruoff hielt gestern erneut fest, an der Medienkonferenz vom Dienstag alles gesagt zu haben. Die BLICK vorliegenden Unterlagen würden «keinerlei Hinweise zu illegalen, fiktiven Umbuchungen» geben.