11 Männer, nur 1 Frau – so soll unser Land im Europarat vertreten werden
Schweiz blamiert sich mit Männer-Delegation

Elf Männer und nur eine Frau sollen die Schweiz in den kommenden vier Jahren im Europarat in Strassburg vertreten. Das verstösst gegen die Richtlinien des Gremiums. Dafür verantwortlich fühlt sich keiner.
Publiziert: 15.12.2019 um 23:10 Uhr
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Aktualisiert: 16.12.2019 um 10:04 Uhr
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Sibel Arslan (Grüne) ist bisher die einzige Frau, die für die zwölfköpfige Europaratsdelegation vorgesehen ist.
Foto: Keystone
Ladina Triaca

Trifft sich der Europarat Ende Januar 2020 in Strassburg (F) zur Wintersession, droht der Schweiz eine Blamage. Sie wird mit einer neuen Delegation nach Frankreich reisen – und damit ganz schön alt aussehen. Denn geht es nach den Parteien, soll nur eine einzige Frau Teil der zwölfköpfigen Gruppe sein, wie BLICK weiss. Nämlich die Basler Grünen-Nationalrätin Sibel Arslan (39). Und das wenige Monate, nachdem so viele Frauen wie nie zuvor in den National- und Ständerat gewählt worden sind. 41 Prozent beträgt der Frauenanteil im Nationalrat derzeit. Im Ständerat sind es 28 Prozent.

Die Europaratsdelegation wird jeweils nach den Wahlen bestimmt. Es liegt in der Hand der Fraktionen, wen sie nach Strassburg schicken wollen. Die zwölf Sitze werden entsprechend der Wähleranteile verteilt. So steht es im Reglement der Parlamentarischen Versammlung des Europarats.

Unter Punkt 6.2.a ist dort auch festgehalten: Der Frauenanteil einer Delegation muss mindestens so hoch sein wie jener im Parlament. Die Pläne des Parlaments sind damit ein klarer Verstoss gegen die Europaratsrichtlinien.

Das bestätigt Liliane Maury Pasquier (62, SP). Die ehemalige Genfer Ständerätin sass bisher für die Schweiz im Europarat und präsidiert den Rat derzeit sogar. «Falls es bei einer einzigen Frau bleibt, widerspricht das eindeutig den Regeln der Parlamentarischen Versammlung», so Maury Pasquier. Für die SPlerin ist das besonders peinlich, schliesslich ist Gleichstellung eines ihrer Kernthemen – auch als Europaratspräsidentin.

Mindestens vier Frauen

Drei Frauen und neun Männer: Schon in den letzten vier Jahren glänzte die Schweiz im Europarat nicht, was die Frauenvertretung anbelangte. «Sie befand sich damit im letzten Drittel von insgesamt 47 Staaten», sagt der Schweizer Delegationssekretär Daniel Zehnder.

Sinke der Frauenanteil noch tiefer, müsse die Schweiz mit öffentlicher Kritik rechnen. «Von Sanktionen hat der Europarat in ähnlichen Fällen aber bisher abgesehen», sagt Zehnder.

Er weist darauf hin, dass der Europarat als absolutes Minimum von jedem Land verlangt, dass mindestens eine Frau als ständiges Mitglied in der Delegation vertreten ist. Wird dies nicht respektiert, kann dem Land das Stimmrecht entzogen werden.

Doch sogar diese Mindestregel könnte die Schweiz nun verletzen. Denn noch ist nicht klar, ob Sibel Arslan innerhalb der Delegation überhaupt zu den sechs ständigen Mitgliedern gehört – oder bloss zu den sechs Stellvertretern der Abgeordneten. In der Regel müssen sich neue Mitglieder wie Arslan zuerst mit der Rolle als Stellvertreter begnügen.

Niemand mag sich bewegen

Den Fraktionschefs im Eidgenössischen Parlament ist bewusst, dass die Schweiz international bald als gesellschaftspolitisches Entwicklungsland dastehen könnte. Mit nur einer Frau in der zwölfköpfigen Delegation wäre die Schweiz in Sachen Frauenanteil das klare Schlusslicht im Europarat. Zwar stellt auch Malta nur eine Frau, der Zwergstaat hat aber insgesamt nur sechs Sitze. Spitzenreiter im Geschlechter-Ranking ist Slowenien, das einen Mann und fünf Frauen nach Strassburg schickt.

Angesichts dieser Aussicht wurde der definitive Entscheid über die Delegationszusammensetzung denn auch auf diese Woche vertagt. Doch bewegen mag sich niemand.

Bürgerliche weisen Vorwürfe zurück

Ausgerechnet die Sozialdemokraten, die sich gern lautstark für Frauenanliegen aussprechen, wollen nur Männer in den Europarat schicken: Parteichef und Ständerat Christian Levrat (49) und die Nationalräte Fabian Molina (29) und Pierre-Alain Fridez (62) sollen die Schweizer Sozialdemokratie in Strassburg vertreten. SP-Fraktionschef Roger Nordmann (46) will sich auf Nachfrage von BLICK nicht zur Auswahl äussern.

Anders SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi (40). Er schiebt die Verantwortung aber auf die anderen ab: «Die SP steht definitiv in der Pflicht, eine Frau zu bringen», so der Zuger Nationalrat. Schliesslich fordere sie stets mehr Frauen. Seine Partei hingegen hält an ihrem reinen Männerklub fest, der schon die vergangenen vier Jahre in Strassburg politisierte.

Auch die anderen bürgerlichen Parteien stehlen sich aus der Verantwortung: Leo Müller (61), CVP-Fraktionschef ad interim, betont: «Unsere vorherige Vertreterin im Europarat, Elisabeth Schneider-Schneiter, nimmt auf die neue Legislatur hin in der Efta/EU-Delegation Einsitz. Wir stehen deshalb sicher nicht in der Pflicht.»

Bessere Frauenquote dank LGBT-Mann

FDP-Fraktionschef Beat Walti (51) räumt ein, dass gemischte Teams zwar wünschenswert seien. Auch er hat aber eine Ausrede parat: In den vergangenen zwölf Jahren habe man mit Doris Fiala (62) immer eine Frau nach Strassburg geschickt.

Als Nachfolger von Fiala hat die Partei Nationalrat Damien Cottier (44) nominiert. Besonders absurd: In den Fraktionsgesprächen soll allen Ernstes der Vorschlag geäussert worden sein, man könnte Cottier, der offen zu seiner Homosexualität steht, als LGBT-Vertreter quasi zur Frauenquote hinzuzählen.

Arslan, die einzige Frau im Männerklub, kann da nur den Kopf schütteln. Sie ist überzeugt: «Es gäbe genügend Frauen, die sich für die Arbeit im Europarat interessieren würden.»

Europarat wacht über Menschenrechte

47 Mitgliedsstaaten, Hüter der Rechte von mehr als 800 Millionen Menschen: Der Europarat ist die grösste und älteste zwischenstaatliche Organisation Europas. Auch wenn sie dasselbe Logo haben – gelbe Sterne auf blauen Grund – ist der 1949 gegründete Europarat unabhängig von der EU. Die Schweiz trat ihm 1963 bei.

Der Europarat gilt als Hüter von Menschenrechten, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. Wobei allerdings auch Staaten wie Russland oder Aserbaidschan Mitglieder sind. Ihm angeschlossen ist der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, an dem auch die Schweiz mit einer Richterin vertreten ist. Er überwacht die Einhaltung der Europäischen Menschenrechtskonvention.

Die Konvention ist das wichtigste Dokument, das die Parlamentarische Versammlung verabschiedet hat. Im Gegensatz zu nationalen Parlamenten können die 318 Mitglieder (und ebenso viele Stellvertreter) keine Gesetze verabschieden oder andere rechtlich verbindlichen Beschlüsse fassen. Möglich ist aber unter anderem die Untersuchung von Menschenrechtsverletzungen oder das Schicken von Wahlbeobachtern.

In den vergangenen Jahren erschütterte ein grosser Bestechungsskandal das Gremium. Auch Schweizer Delegierte wurden zu kaufen versucht, zeigte ein Bericht. Lea Hartmann

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