So feiern unsere Soldaten im Kosovo Weihnachten
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Besuch von Chef Thomas Süssli:So feiern unsere Soldaten im Kosovo Weihnachten

Mit Korpskommandant Thomas Süssli im Kosovo
Hier versüsst der Chef die Weihnachtsfeier

Im Inland steht die Armee wegen Corona im Einsatz, im Kosovo sorgt sie für Sicherheit. Armeechef Thomas Süssli besuchte seine Leute im emotionalsten Moment des Jahres.
Publiziert: 26.12.2021 um 01:03 Uhr
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Ankunft und Begrüssung von Thomas Süssli, Chef der Armee, auf dem Flughafen Pristina.
Foto: Christian Dorer
Christian Dorer (Text und Bilder)

Mittwoch, 19 Uhr, Kfor-Camp in Pristina. Die Mehrzweckhalle ist geschmückt mit Weihnachtsbaum und den Flaggen der 28 Nationen, deren Armeen im Kosovo präsent sind. Fast alle der 195 Soldatinnen und Soldaten des 45. Schweizer Kontingents erleben gerade die aussergewöhnlichste Weihnachtsfeier ihres Lebens. Der Chef der Armee Thomas Süssli (55) sagt in seiner Ansprache: «Sie sind nicht bei Ihren Freunden, dafür können hier im Kosovo zwei Millionen Menschen friedlich Weihnachten feiern.»

Oberst im Generalstab David Regli (43), der Kommandant vor Ort, sagt über diese besondere Zeit: «Die Kameradinnen und Kameraden werden zur Familie, helfen, machen Mut und trösten, falls nötig.»

Seit 1999 ist die Schweizer Armee Teil der derzeit 4500 Mann und Frau starken Kosovo-Force (Kfor). Die Friedenstruppen unter Nato-Kommando sind nach 22 Jahren nötiger denn je, die Situation ist hochfragil: Das Säbelrasseln zwischen dem Kosovo und Serbien hat in diesem Jahr zugenommen. Innerhalb des Kosovo gibt es eine albanische Mehrheit und eine serbische Minderheit, zudem sind gewaltbereite Organisationen aktiv. Was passieren kann, wenn sich die internationale Gemeinschaft aus einem Krisengebiet zurückzieht, hat die Welt in Afghanistan bitter erfahren.

Der Armeechef war mit 22 im Auslandseinsatz

«Das Peace-Keeper-Virus ist in mir», sagt Süssli. Er kennt Auslandseinsätze aus eigener Erfahrung: 22-Jährig war er 1989 als Sanitätsoffizier in Namibia, dem allerersten Uno-Friedenseinsatz der Schweiz. Er habe es damals aus vier Gründen gemacht: wegen der Erfahrung, wegen der Herausforderung, aus Abenteuerlust und um etwas Sinnvolles zu tun.

Das aktuelle Schweizer Kontingent ist seit Oktober dort und bleibt sechs Monate. Rund ein Drittel verlängert, um das Wissen weiterzugeben. Der Frauenanteil beträgt knapp 20 Prozent. Corona hat alles kompliziert gemacht: Die Schutzmassnahmen sind streng, das Camp darf an freien Tagen nicht verlassen werden. Derzeit sind 18 der 4500 Kfor-Soldaten infiziert, zum Glück keine Schweizer. 87 Prozent sind geimpft, ab der kommenden Ablösung gilt Impfpflicht – nur schon deshalb, weil Ungeimpfte ab Januar nicht mehr in den Kosovo einreisen dürfen. Ausser der Schweiz und Kanada haben ohnehin längst alle Kfor-Länder für ihre Soldaten die Impfpflicht eingeführt.

Die Schweizer unterstützen die Kfor in zwei Aufträgen: Sie gewährleisten ein sicheres und stabiles Umfeld, und sie stellen die Bewegungsfreiheit sicher. Ein Pionierzug rückt zum Beispiel aus, wenn eine Strassensperre beseitigt werden muss. Schweizer Lastwagen, Cars und zwei Superpumas führen Transporte für die gesamte Kfor aus. Ein hoch spezialisiertes Team («keine Fotos, keine Namen») kommt mit ihrem gepanzerten Duro und Robotern zum Einsatz, wenn Munition, Handgranaten oder Minen entschärft werden müssen – Überbleibsel aus dem Krieg.

Den Albanern wird der Strom abgestellt

Flug im Helikopter nach Mitrovica, einer Stadt im Norden des Kosovo. Die rund 100’000 Einwohner sind getrennt in einen kosovo-albanischen Teil im Süden und einen kosovo-serbischen im Norden. Die Stadt ist immer wieder Herd von Unruhen, 2004 brachen bürgerkriegsähnliche Zustände aus. In diesem Herbst waren plötzlich serbische Kennzeichen im Kosovo nicht mehr zugelassen und umgekehrt. Der Konflikt schaukelte sich hoch, es kam zu Strassensperren und Demonstrationen. Jetzt dürfen die Nummern im jeweils anderen Land überklebt werden.

Auf dem Aussichtshügel der Stadt lassen sich der Armeechef und seine Delegation über die Lage informieren. Der schwelende Konflikt macht sich immer wieder bemerkbar – wie jetzt gerade: Den Albanern wurde soeben das Licht ausgeschaltet. Als Grund wird Strommangel genannt.

In Mitrovica stellt die Schweiz sogenannte Liaison Monitoring Teams (LMT): Sie führen Gespräche mit der Bevölkerung auf beiden Seiten, fühlen den Puls und bringen in Erfahrung, wo sich ein Konflikt abzeichnen könnte. Die Schweiz wird von beiden Seiten als neutral akzeptiert. Hier ist auch die Milizarmee von Vorteil, weil für diese Aufgabe besonders lebenserfahrene Soldatinnen und Soldaten gefragt sind. Entsprechend breit ist der Mix, vom ehemaligen WEF-Manager aus Genf bis zum Zahnarzt aus dem Aargau.

In Bosnien zerstört die Schweiz Munition

Ohnehin ist die mit Fachwissen gepaarte Neutralität ein Pluspunkt, den nur die Milizarmee bietet. Das zeigt sich auch am Folgetag, als die Falcon 900 mit dem Armeechef an Bord einen Zwischenstopp in Sarajevo einlegt. Dort sind 26 Schweizer Soldatinnen und Soldaten stationiert, auch in Bosnien und Herzegowina sind die Folgen des Kriegs und Konflikte zwischen den Bevölkerungsgruppen allgegenwärtig. Hier ist die Schweiz wesentlich an einem Projekt beteiligt, bei dem die bosnisch-herzegowinische Armee in Munitions- und Waffenmanagement begleitet und ausgebildet wird.

Auch für die ganz praktischen Dinge bleibt Zeit, etwa die Besichtigung der Unterkünfte: Die meisten Soldaten haben ihren eigenen Container, 13 Quadratmeter. Manche teilen ihn. Gewisse andere Kfor-Truppen pferchen in die gleichen Container acht Soldaten hinein. Beziehungen zwischen Soldatinnen und Soldaten sind übrigens erlaubt, erst eine Schwangerschaft bedeutet das Ende der Mission. Ein Highlight im Camp ist das «Swiss House», besonders beliebt, auch bei den anderen Nationen, ist das Steak vom heissen Stein.

Der älteste Schweizer Soldat ist im Kosovo

Zurück an der Weihnachtsfeier. Jeder erhält vom Chef der Armee ein Geschenk: einen Brief des Bundespräsidenten, ein Sackmesser und Schokolade. Auch die mitgereisten Militärdirektorinnen kommen reich befrachtet: Cornelia Stamm Hurter (59, SVP) bringt Orangen-Zipfel mit, eine lokale Spezialität aus ihrer Heimat Schaffhausen. Und Cornelia Komposch (58, SP) aus dem Thurgau hat Panettone im Gepäck, der an die süsse Seite des Lebens erinnern soll. Sie sagt: «Wenn ich jünger wäre, würde ich mir einen solchen Einsatz auch überlegen!»

Am Alter würde ihr Einsatz jedenfalls nicht mehr scheitern: Die Altersbeschränkung von 55 ist kürzlich gefallen. Und so ist mit dem Truppenarzt Hans Fischer (74) der mit Abstand älteste Angehörige der Schweizer Armee im Kosovo im Einsatz.

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