Mann steckte in Rostock (D) mit Beinen in Mähdrescher – Schweizer Experte ordnet Unfall ein
Schweizer Experte geschockt über Mähdrescher-Unglück

Wie durch ein Wunder gelang deutschen Ärzten eine Not-OP auf einem Acker. Ein 25-Jähriger hatte sich mit den Beinen in einem Mähdrescher verfangen. Ihm mussten beide Beine amputiert werden. Kein Einzelfall. Das Problem: Landwirte stehen unter Zeitdruck.
Publiziert: 22.08.2023 um 16:01 Uhr
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Aktualisiert: 22.08.2023 um 16:16 Uhr
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Am Wochenende ereignete sich nahe Rostock (D) ein Drama. Ein 25-Jähriger geriet in einen Mähdrescher. Seine Beine mussten amputiert werden.
Foto: Stefan Tretropp
Janine Enderli

Der blutige Mähdrescher-Unfall, der sich am Wochenende in Rostock (D) zugetragen hat, sorgte für Schlagzeilen. Mitten auf dem Feld mussten einem jungen Landwirt in einer improvisierten Not-OP beide Beine amputiert werden. Der 25-Jährige wollte bei laufendem Motor eine Verstopfung im Korntank seines Mähdreschers lösen und verfing sich anschliessend darin.

Ein Sicherheitsmechanismus am 25-Tonnen schweren Lexion Mähdrescher, auch Totmannschalter genannt, sieht eigentlich vor, dass alle Maschinen automatisch gestoppt werden, sobald der Fahrer von seinem Sitz aufsteht. Weil eine Gehilfin des Bauern während der Arbeiten am Korntank in der Fahrerkabine sitzenblieb, konnte die Sicherung umgangen werden.

«Nur weil früher nichts passiert ist, bedeutet das nicht, dass nie etwas passiert»

Roman Engeler (60), Direktor des schweizerischen Verbands für Landtechnik, berührt das Unglück sehr. Er kennt das Gut Hohen Luckow, wo sich der Unfall ereignete, aus seiner Zeit als ETH-Forscher. «Gemäss meinem Kenntnisstand entstand das Ereignis aufgrund unterlassenen Sicherheitsvorkehrungen. Womöglich waren einzelne Förderschnecken nicht abgestellt oder wurden durch Fehlbedienungen gar gestartet.» Dabei sei eigentlich die Regel: Wenn der Mähdrescher-Motor läuft oder eine Person in der Kabine ist, sind gefährliche Stellen tabu.

In den Bedienungsanleitungen von Landwirtschaftsmaschinen wird laut Engeler grundsätzlich darauf hingewiesen, dass sich bei Arbeiten am Gerät niemand im Gefahrenbereich oder an «Schaltstellen» aufhalten soll. «Nur weil früher nichts passiert ist, bedeutet das nicht, dass nie etwas passiert.» Engeler rät: Vor Gebrauch sollten Landwirte die Anleitungen regelmässig konsultieren. «Bei komplexen Wartungsarbeiten kann oder soll man sich lieber an Spezialisten wenden.»

32 tödliche Unfälle in der Schweiz

Der Zeitdruck, unter dem die Landwirte in der hektischen Erntezeit stehen, ist laut Engeler hoch: «Das ist ein Problem. Oft stehen nicht genügend Arbeitskräfte zur Verfügung, und die Erzeugerpreise sind niedrig, da möchte man speditiv arbeiten. Ausserdem wollen Landwirte teure Maschinen natürlich nicht stundenlang ausser Betrieb haben.» Noch sei es aber zu früh, den Unfall vollständig zu beurteilen. Es müsse zuerst geklärt werden, ob die betroffenen Personen richtig instruiert wurden und über die nötige Erfahrung im Umgang mit den Gerätschaften verfügten.

In der Schweiz besitzen Betriebe Mähdrescher nicht selbst, diese Arbeit wird einem Lohnunternehmer in Auftrag gegeben. Bei Landwirtschaftsunfällen besteht keine allgemeine Meldepflicht. Die Beratungsstelle für Unfallverhütung in der Landwirtschaft (BUL) und die Stiftung AgriSicherheit Schweiz erheben die Anzahl Unfälle jeweils aus Medien- und Polizeiberichten. Zwischen 2016 und 2019 ereigneten sich insgesamt 32 tödliche Unfälle. In jüngster Zeit scheint dieser Trend leicht zurückzugehen. 2020 lag die Zahl bei 28. 2022 waren es 27 tödliche Unfälle. Dabei gilt es zu beachten, dass diese Zahl alle Unfälle im landwirtschaftlichen Kontext beinhaltet.

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