«Europa braucht Schlagzeilen im Weltraum»
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ESA-Chef Josef Aschbacher:«Europa braucht Schlagzeilen im Weltraum»

Interview mit Josef Aschbacher, neuer Chef ESA
«Europa braucht Schlagzeilen im Weltraum»

Der Tiroler Josef Aschbacher (58) hat neu die Führung der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) übernommen. Im Interview erzählt er, wie es unserer Erde geht, warum der Mars so spannend ist und dass er bald europäische Stiefelabdrücke auf dem Mond hinterlassen will.
Publiziert: 14.03.2021 um 16:57 Uhr
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Aktualisiert: 27.04.2021 um 05:44 Uhr
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Der Tiroler Josef Aschbacher ist seit dem 1. März 2021 Generaldirektor der Europäischen Weltraumorganisation (ESA).
Foto: Getty Images
Interview: Alexandra Fitz

BLICK: Herr Aschbacher, Sie wuchsen im Tirol auf einem Bergbauernhof auf, den Sie eigentlich hätten übernehmen sollen. Es kam anders. Seit dem 1. März sind Sie Chef der Europäischen Weltraumorganisation (ESA). Was sagt man in Ihrer Heimat dazu?
Josef Aschbacher:
Die Reaktionen sind gemischt. Einerseits gibts da Bewunderung, andererseits Unverständnis, wie man aus so einem schönen Dorf wegziehen kann.

Wie kam es, dass Sie sich für den Weltraum interessierten?
Ein Schlüsselerlebnis war die Mondlandung 1969. Ich war damals sieben Jahre alt, und es war wahnsinnig faszinierend. Ich habe mich sofort gefragt: Wie geht so etwas? Wie ist die Physik dahinter?

Sie waren Europas oberster Erdbeobachter. Was macht man da?
Wir werteten Satellitenbilder aus. Mein Team bei der ESA konzentrierte sich auf Parameter, die den Zustand unseres Planeten bestimmen. Mit unseren Satelliten messen wir die Ozeane, die Erde, um besser zu verstehen, wie die Erde funktioniert. Diese Daten werden dann für Wettervorhersagen, Klima, Landwirtschaft und Schifffahrt verwendet.

Der Beobachter

Josef Aschbacher wurde 1962 in Ellmau im Tirol geboren. Er ist das älteste von sechs Kindern und wuchs auf einem Bergbauernhof auf. Er wollte aber nicht in Ellmau bleiben und den Hof übernehmen, sondern in die weite Welt ziehen. Aschbacher wollte eigentlich Astronaut werden, es sollte aber nicht sein. Der Tiroler studierte Meteorologie und Geophysik an der Universität Innsbruck. Er arbeitete im Anschluss in diversen Funktionen der Europäischen Weltraumorganisation (ESA). Seit dem 1. März ist er dort Generaldirektor. Die ESA umfasst 22 Mitgliedstaaten, die Schweiz ist ein Gründungsmitglied. Bis heute identifiziert sich die Schweiz über Claude Nicollier (76), den ersten und bisher einzigen Schweizer Astronauten, der die helvetische Flagge in den Weltraum gebracht hat. Derzeit sucht die ESA zum ersten Mal seit elf Jahren neue Astronautinnen und Astronauten. Damit erhalten auch Schweizer eine nächste Chance. Aschbacher lebt in Paris, ist verheiratet und hat drei Kinder.

Getty Images

Josef Aschbacher wurde 1962 in Ellmau im Tirol geboren. Er ist das älteste von sechs Kindern und wuchs auf einem Bergbauernhof auf. Er wollte aber nicht in Ellmau bleiben und den Hof übernehmen, sondern in die weite Welt ziehen. Aschbacher wollte eigentlich Astronaut werden, es sollte aber nicht sein. Der Tiroler studierte Meteorologie und Geophysik an der Universität Innsbruck. Er arbeitete im Anschluss in diversen Funktionen der Europäischen Weltraumorganisation (ESA). Seit dem 1. März ist er dort Generaldirektor. Die ESA umfasst 22 Mitgliedstaaten, die Schweiz ist ein Gründungsmitglied. Bis heute identifiziert sich die Schweiz über Claude Nicollier (76), den ersten und bisher einzigen Schweizer Astronauten, der die helvetische Flagge in den Weltraum gebracht hat. Derzeit sucht die ESA zum ersten Mal seit elf Jahren neue Astronautinnen und Astronauten. Damit erhalten auch Schweizer eine nächste Chance. Aschbacher lebt in Paris, ist verheiratet und hat drei Kinder.

Wie geht es unserer Erde?
Nicht so gut, weil wir sie peinigen und plagen. Wir erhitzen sie mehr, als es unsere Natur erträgt. Wir unterschätzen das. Selbst wenn wir augenblicklich mit dem Ausstossen von CO2 stoppen würden, was undenkbar ist, würde es Dekaden dauern, bis sich der CO2-Spiegel wieder einpendeln würde. Wir bewegen uns auf einen nicht umkehrbaren Punkt zu, einen sogenannten Tipping Point, an dem wir unsere Lebensumstände so stark ändern müssten, dass es enorme Einflüsse auf die Menschheit hat.

Und was kann die ESA dagegen tun?
Unsere Satelliten haben die Aufgabe, kleinste Änderungen frühzeitig zu erkennen, um bessere Vorhersagen zu machen.

Was ist das Schönste, was Sie auf Satellitenbildern je gesehen haben?
Wenn man ein Bild der Sahara oder der Atolle im Ozean ausdruckt und einrahmt, könnten viele meinen, das sei abstrakte Kunst. Die Natur hat wirklich schöne Gegenden geformt. Aber auch unsere Heimat, die Bergwelt der Schweiz oder von Österreich aus dem Weltall in 3D zu sehen, ist faszinierend.

Das Erschreckendste?
Die grossen Abholzungen im Amazonasgebiet, um Wald in Landwirtschaft umzuwandeln. Oder die Vegetationsbrände in Sibirien. In dieser Region hat man doch normalerweise eisige Kälte vor Augen. Es ist erschreckend, wenn man sieht, wie sehr unser Planet unter Druck ist.

Kommen wir zu Ihrer neuen Position als Chef der ESA. Was wollen Sie verändern?
Ich will die Diskussion um die Bedeutung des Weltalls in Europa vorantreiben. Europa hat als Wirtschaftskraft eine ähnliche Grössenordnung wie Amerika oder China. Für den Weltraum werden jedoch viel weniger Mittel zur Verfügung gestellt. Wir geben einen Sechstel dessen aus, was die Amerikaner ausgeben. Warum sind die anderen motivierter, in den Weltraum zu investieren?

Und?
Es gibt viele Gründe: Strategische, wirtschaftliche, man will die Gesellschaft inspirieren. Das ist in Amerika ganz wichtig. Die Landung des Rovers Perseverance am 18. Februar auf dem Mars schafft eine ganz neue Begeisterung in der Bevölkerung. Sie vereint. Diese Wirkung des Weltraums auf die Menschen darf man nicht unterschätzen.

Sie möchten den Weltraum kommerzialisieren. Wie meinen Sie das konkret?
In Europa können wir zwar so schnell keinen Elon Musk oder Jeff Bezos kreieren. Aber ich will Bedingungen schaffen, dass junge Unternehmen und talentierte Leute ihre Ideen verwirklichen, investieren und Partnerschaften mit der ESA eingehen können.

Warum haben die Amerikaner und Chinesen einen solchen Vorsprung?
Man muss neidvoll eingestehen, dass Amerika und China derzeit die Akzente setzen. Die USA haben gerade einen Roboter auf den Mars geschickt, China baut eine Raumstation und ist auf der Rückseite des Mondes gelandet. Europa braucht auch wieder Schlagzeilen aus dem Weltraum. Das will ich erreichen.

Eine solche wäre zum Beispiel die Landung auf dem Mars.
Wer auch immer zuerst auf dem Mars landet – das wird einen enormen Einfluss haben auf die Öffentlichkeit und auf die Nation, die das bewerkstelligt. Aber es ist noch ein langer Weg, um auf dem Mars erfolgreich landen zu können. Das wird erst in der nächsten Dekade passieren. Ich hoffe, dass Europa unter den ersten Nationen ist.

Anfang 2021 sind Sonden von China und den Emiraten am Mars angekommen, dann landete auch Perseverance der Nasa. Wo bleibt der ExoMars-Roboter der ESA?
Das ist eine komplizierte Frage. ExoMars ist eine zweigeteilte Mission. Seit 2016 fliegt eine Sonde um den Planeten und macht Aufnahmen vom Mars und von der Atmosphäre. ExoMars hätte 2020 starten sollen, der Start wurde aber verschoben. Wir starten nun 2022 mit einem Rover an Board.

Wurmt es Sie, dass die anderen jetzt schon dort sind?
Natürlich. Wir müssen die Geschwindigkeit erhöhen, um mithalten zu können und nicht ins Hintertreffen zu geraten.

Warum ist der Mars so spannend?
Ich vergleiche das mit der Entdeckung Amerikas vor 500 Jahren. Der Mars ist interessant, weil er neue Dimensionen öffnet. Eventuell kommt er irgendwann als Lebensraum oder als Zweit-Lebensraum in Frage. Allerdings sind die Lebensbedingungen relativ unwirtlich, zumindest aus heutiger Sicht.

Für wann sind bemannte Missionen auf den Mars geplant?
Die Reise zum Mars dauert etwa sieben Monate, und es gibt sehr viele Hindernisse auf dem Weg. Deshalb gibt es heute noch kein Datum. Wir gehen erst die Rückkehr zum Mond an und hoffen, dass wir dort vor Ende dieses Jahrzehnts europäische Stiefelabdrücke hinterlassen werden. Der nächste Schritt ist der Mars. Nach heutigem Stand wird das sicher erst in den 30er-Jahren verwirklicht werden können. Auch wenn es Leute wie Elon Musk gibt, die schon in drei Jahren auf dem Mars sein wollen. Das ist etwas sportlich.

Warum sind bemannte Missionen so wichtig? Es gibt Experten, die sagen, dass es keinen Sinn mache, Menschen irgendwohin zu schicken. Robotersysteme machen das besser und billiger als der Mensch.
Natürlich hat das einen Nutzen! Es kommt auch die emotionale Komponente dazu. Es ist das Gleiche, wenn man jemandem erzählt, wie wunderschön es in der Karibik ist. Es gibt die Möglichkeit, sich per Videokamera hinzuschalten oder eben hinzufliegen und am Strand spazieren zu gehen. Sie wissen selbst, was toller ist.

Wird die Menschheit je andere Planeten besiedeln?
Das wird früher oder später kommen. Vielleicht in 100 Jahren. Der Druck auf unsere Erde wird immer grösser. Aber für lange Zeit wird die Erde der beste und einzige Standort für den Menschen sein.

Ist für Sie klar, dass es da draussen intelligentes Leben gibt oder gab?
Auf dem Mars würde ich das bezweifeln. Irgendeine Form von Mikroben vielleicht. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass intelligentes Leben weiter draussen existiert, ist gross. Die Frage ist vielmehr, ob diese Intelligenz zur gleichen Zeit lebt wie wir und ob sie nicht zu weit weg ist und wir aufgrund der Distanz keine Kommunikation herstellen können.

Was halten Sie von Elon Musk?
Ich finde ihn faszinierend. Ich war auch in seiner Fabrik SpaceX. Es ist unglaublich, mit welcher Energie und Bestimmtheit er an die Entwicklung von Raketen und elektrischen Autos herangeht.

Der Space-Markt floriert. Auch der Schweizer Technologiekonzern Ruag konzentriert sich neu voll auf das Geschäft im All. Warum dieser Boom?
Der Markt boomt, weil die Leute mehr und mehr Dienstleistungen brauchen, für die Satelliten notwendig sind. Für Navigation, Wettervorhersage oder Internet aus dem Weltraum. Morgan Stanley schätzt, dass die Space Economy heute ungefähr 400 Milliarden Dollar wert ist, im Jahr 2040 gar eine Trillion Dollar. Elon Musk hat natürlich diesen ökonomischen Teil vor Augen, wenn er so viel in den Weltraum investiert.

Ende 2021 will Musk Privatpersonen ins All befördern.
Es mag heute verrückt erscheinen, aber in ein, zwei Dekaden wird es zur Routine werden. Das ist das Schöne: Die Ideen, die heute verrückt erscheinen, werden in ein paar Jahren Realität.

Sie haben vor ein paar Tagen auf Twitter einen Tweet abgesetzt, in dem Sie sagten, Sie werden auf die Gender Balance bei der ESA achten. Ist die Raumfahrt nicht eine totale Männerdomäne?
Heute ist sie das leider. Etwa 28,6 Prozent unserer Belegschaft sind Frauen. Ich will das verbessern und den Weltraum für Frauen attraktiv machen. Gerade neulich haben wir einen Call of Astronauts initiiert, und wir werden starken Wert auf Bewerbungen von Frauen legen.

Wie viele Astronautinnen hat die ESA überhaupt?
Wir haben heute sieben aktive Astronauten. Sechs Männer und eine Frau. Das ist das Verhältnis der Bewerbungen, die eingegangen sind.

Letzte Frage: Wer führt denn jetzt diesen Bergbauernhof im Tiroler Idyll, nachdem Sie ihn nicht übernommen haben?
Mein Bruder. Und das macht er viel besser als ich.

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