Zweiter Prozesstag ist um 17.20 Uhr fertig
Das Plädoyer des Verteidigers vom Hauptangeklagten ist fertig. Morgen folgen die Plädoyers der restlichen Anwälte.
Anwalt: Opferfamilie habe kein Recht auf Entschädigung
«Ardit N. ist durch grobes eigenes Verschulden gestorben», sagt der Verteidiger des Hauptangeklagten. Darum habe niemand der Gegenseite Anspruch auf Genugtuung, sagt er eiskalt. Ein Verwandter des Opfers verlässt frustriert und schimpfend den Gerichtssaal.
Tödlicher Stich zur Abwehr
Ardit N. sei mit grosser Geschwindigkeit auf seinen Mandanten zugerannt und habe ihn in den Kopf geboxt. Darum war der tödliche Stich von seinem Mandanten eine verantwortbare Abwehrhandlung. Selber schuld sei Ardit N., induziert der Anwalt. Er habe ja gesehen, dass ein Messer einsesetzt wurde. Er hätte ja wegbleiben können.
Sechs kräftige Männer
Der Anwalt des Hauptangeklagten sagt eindringlich, dass sein Mandant in einer Notwehrsituation gewesen sei. Sechs starke Männer seien auf ihn zugerannt. Da dürfe man sich wehren. Der Angriff sei brutal gewesen. Ohne das Messer wäre er dem Hammermann ausgeliefert gewesen.
Kritik am Staatsanwalt
Der Anwalt versucht die Gegenseite ins schiefe Licht zu rücken. Er sagt: «Sie sind 32 Meter in Richtung meines Mandanten gerannt, da ist doch klar, wer angegriffen hatte. Der Anführer hat den Hammer geschwungen und schrie. Die Familie meines Mandanten hat sich nur verteidigt.»
Keine geplante Schlacht?
«Die Plausibilitätskontrolle hätte ein geplantes Rendez-vous für eine Schlägerei wegen 3000 Franken gleich ausschliessen sollen», sagt der Verteidiger. Das mache keinen Sinn, sagt er. Alle seien nur zufällig da gewesen. Auch die Alltagsgegenstände, mit denen die Clanmitglieder seines Mandanten dreinschlugen, seien nur per Zufall im Auto gewesen.
Entsorgung
Der Anwalt wiederholt die Worte seines Mandanten bei der Befragung am Montag. «Er wollte niemanden verletzen. Er hielt einfach nur das Messer hin, die anderen bewegten sich und verletzten sich so», sagt er. Und: «Er wollte sich nur wehren, er hat nicht gestochen.» Die Angreifer seien zahlenmässig überlegen gewesen, ohne das Messer wären sie verloren gewesen, sagt der Anwalt. Er sagt weiter, dass die 4er-Gruppe, mit der das Todesopfer unterwegs war, Geld dabei gehabt habe. Der Anwalt wirft darum die Vermutung in den Saal, dass die Männer aus dem Kosovo für Geld an die Schlägerei zur Tankstelle gekommen seien.
WhatsApp-Nachrichten seien belastend.
Der Anwalt des Hauptbeschuldigten pocht darauf, dass der Verlauf der WhatApp-Unterhaltung eine andere Realität zeige, als das in der Anklageschrift aufgeführt sei. Die syrische Familie sei wirklich nur in die Gegend gekommen, um der Schwester beim Umzug zu helfen. Die Tankstelle sei am Weg gelegen, meint er. Zufall, dass sie auf die Gegner getroffen sind, sagt auch er.
Er war unterlegen, er musste doch ein Messer nehmen.
Der Anführer der anderen Gruppe sei in Richtung der Syrer losgerannt, die anderen folgten ihm. Sie griffen an, sagt der Anwalt des Messermannes. Sein Mandant, der Bruder der Clan-Führerin, sei den sechs jungen Männern der Gegenseite körperlich unterlegen gewesen. «Er musste ein Messer nehmen, um sein Leben und das seiner Familie zu schützen», sagt der Anwalt. Also Notwehr oder entschulbarer Notwehrexzess, sagt der Jurist.
Verteidigung fordert Freispruch für Hauptangeklagten
Der Anwalt des Hauptbeschuldigten fordert nicht nur einen Freispruch für seinen Mandanten vom Vorwurf der vorsätzlichen Tötung, sondern auch noch eine hohe Entschädigung von 159'000 Franken. Zudem will er, dass die Geschehnisse anders dargestellt werden, als sie in der Anklageschrift aufgeführt sind. Er kündigt schon am Anfang des Plädoyers an, dass er auf Notwehr plädiert.
Die Sicherheitsmassnahmen am Prozess im Zentrum St. Martin in Hochdorf LU sind massiv. Ein Dutzend Polizisten sichern die Gegend, in das Gebäude kommt nur, wer auf Waffen durchsucht worden ist. Acht Angeklagte müssen sich für die Beteiligung an der blutigen Massenschlägerei an der Tankstelle Geuensee LU am 25. September 2021 verantworten. Ardit N.* starb damals an einem Messerstich ins Herz. Mehrere Männer wurden teils lebensgefährlich verletzt. Das Motiv laut Anklage: Geld. 2020 wollten zwei der Involvierten zusammen eine Bar übernehmen. Das Vorhaben scheiterte – und bescherte einem Mann mit Wurzeln im Irak einen Verlust von 6000 Franken. Vor der Richterin und den Richtern geben sich die beiden involvierten Parteien gegenseitig die Schuld für die tödliche Eskalation.
Als Erstes befragen die Richter drei Beschuldigte eines syrischen Clans aus Basel. Sie streiten von Anfang an ab, dass sie für ein abgesprochenes Kräftemessen zur Tankstelle gefahren sind. «Wir sind nach Geuensee, um der Schwester beim Umzug zu helfen», sagen die Syrer. Auch wenn die gar nicht beim Tatort wohnt. Dass sie fast gleichzeitig mit der Gegenseite bei der Avia-Tankstelle angekommen waren, sei Zufall gewesen.
Keine Reue oder Einsicht
Der Hauptangeklagte, der mit dem Messer drei Gegner verletzt hatte und einen tötete, äussert sich zurückhaltend. «Ich war in Panik, hatte Angst. Ich habe mich nur verteidigt.» Zu den Hintergründen des Streits, der Geldforderung gegenüber der Gegenseite, äussert er sich nicht. Zu seinen Messerattacken sagt er nur: «Wir wurden angegriffen. Ich wollte niemanden verletzen.» Er zeigt keine Einsicht und keine Reue, dass durch seinen Messerstich ein Mensch gestorben ist und ein weiterer lebensgefährlich verletzt wurde.
Die Seite der Familie aus dem Raum Luzern spricht etwas offener über den Streit als die Familie aus Basel. «Ich bin mit erhobenem Hammer auf den Gegner zugerannt. Er hatte ein Messer, ich musste mich verteidigen», sagt der Iraker. Er wird bei dem Angriff mit dem Messer schwer verletzt. Er kassiert einen Stich in die Achselhöhle und einen tiefen Schnitt am Hinterkopf, der bei seinem kurzen Haarschnitt deutlich zu sehen ist. Im Gegensatz zur Gegenseite sieht er ein, dass er Fehler gemacht hatte. Er sagt: «Ich habe mich an einer Straftat beteiligt, eine Freiheitsstrafe wäre gerecht.»
Auch Schlagring war nur zufällig dabei
Auch sein Bruder war an der tödlich endenden Prügelei beteiligt und setzte einen Schlagring ein. Ihm wird laut Gericht ein massiver Schlag gegen den Kopf eines Gegners vorgeworfen. Den Schlagring habe er nur per Zufall dabei gehabt, sagt er. Und: «Ich habe am Vorabend eine Schlägerei geschlichtet und habe ihn einem Mann abgenommen.» Ein Anwalt im Gerichtssaal stellt darauf fest: «Sie haben sich also an zwei Tagen an zwei krassen Schlägereien beteiligt.»
Zum Schluss des ersten der vier Prozesstage spricht das weibliche Oberhaupt des syrischen Clans. Sie hat den Strafbefehl der Staatsanwaltschaft nicht akzeptiert und sitzt darum vor dem Richter. Sie soll gegen den Willen ihres Mannes den Streit ums Geld weitergeführt haben, der schliesslich zur tödlichen Eskalation geführt hat. Das streitet sie ab. Sie wiederholt die Version ihrer Brüder, dass der Clan nur zufällig an der Tankstelle auf die Gegenpartei getroffen sei.
Während des ganzen Gerichtstags spricht keiner der Beschuldigten sein Bedauern für die Angehörigen des erstochenen 20-jährigen Ardit N. aus. Die Beschuldigten versuchen hauptsächlich, ihren Hals aus der Schlinge zu ziehen. Ob das bei dem Richter-Dreiergremium gut ankommt, ist fraglich. Am Donnerstag geht der Prozess weiter.
*Name bekannt