Die Gegner eines ungeordneten EU-Austritts haben Premierminister Boris Johnson eine schwere Niederlage zugefügt. 328 Abgeordnete stimmten am Dienstagabend für einen Beschluss, der den Weg für ein Gesetz gegen einen No-Deal-Brexit ebnet - 301 waren dagegen. Bereits am Mittwoch soll der Entwurf durchs Unterhaus gepeitscht werden.
Johnson droht mit Neuwahl
Sollten die Abgeordneten den Gesetzentwurf am Mittwoch absegnen, will Johnson über eine Neuwahl abstimmen lassen. Eine entsprechende Beschlussvorlage habe er bereits vorgelegt, sagte der Regierungschef am Abend. Um eine Neuwahl herbeizuführen ist eine Zweidrittelmehrheit der Abgeordneten notwendig.
Ob Johnson sich mit seinem Wunsch nach einer Neuwahl durchsetzen könnte, ist unklar. Die grösste Oppositionspartei, Labour, ist zwar nach Angaben ihres Chefs Jeremy Corbyn bereit für eine Wahl. Sie könnte aber aus taktischen Gründen dagegen stimmen.
Premier verliert Mehrheit im Unterhaus
Zuvor hatte Johnson seine Mehrheit eingebüsst. Noch während der Premierminister am Rednerpult stand, verliess der konservative Abgeordnete Phillip Lee am Dienstag aus Protest gegen Johnsons Brexit-Politik demonstrativ die Regierungsfraktion und nahm zwischen den Oppositionsabgeordneten Platz. Damit ist Johnsons hauchdünne Mehrheit endgültig weg.
Vor dem Parlament im Regierungsviertel Westminster demonstrierten sowohl Brexit-Gegner als auch Befürworter des EU-Austritts. Teilweise war die Atmosphäre angespannt.
Was will das Gesetz der No-Deal-Gegner?
Das Gesetz gegen den No Deal soll Johnson dazu zwingen, eine weitere Verschiebung des EU-Austritts zu beantragen, sollte bis zum 19. Oktober kein Austrittsabkommen mit der EU ratifiziert sein. Die 27 EU-Staaten müssten dem Antrag jedoch einstimmig zustimmen.
Die Parlamentarier wollen verhindern, dass Grossbritannien am 31. Oktober ohne Übergangsregeln aus der EU ausscheidet. Sie warnen vor Chaos, Nahrungsmittelknappheit und einem Konjunktureinbruch. Johnson will die Option eines ungeregelten Austritts aber offenhalten, weil er hofft, die EU damit zu Konzessionen zu bewegen.
Verhindern die Lords das Gesetz?
Während die Zustimmung des Unterhauses zu dem Gesetz nach der Vorentscheidung am Dienstag als unproblematisch gilt, lauern im Oberhaus zahlreiche Fallstricke. Die Lords müssen ebenfalls über den Gesetzentwurf beraten. Dort drohen Brexit-Hardliner, mit einer Flut von Anträgen und Filibuster (Dauerreden) wertvolle Zeit zu verschwenden.
Wegen Zwangspause bleibt nur wenig Zeit
Die No-Deal-Gegner stehen unter erheblichem Zeitdruck, weil Johnson dem Parlament eine mehrwöchige Zwangspause verordnet hat, die bereits in der nächsten Woche beginnt. Die Abgeordneten sollen dann erst wieder am 14. Oktober zurückkehren. Dagegen laufen gerichtliche Verfahren, unter anderem in Schottland.
Regierung stellt mehr Gelder für Brexit zur Verfügung
Mit einer Entscheidung des Court of Session in Edinburgh wird schon am Mittwochvormittag gerechnet. Letztinstanzlich müsste die Frage aber wohl vom Supreme Court in London entschieden werden.
Die britische Regierung von Premierminister Boris Johnson hat kurz nach der Niederlage im Parlament zusätzliche Ausgaben in Höhe von zwei Milliarden Pfund (2,39 Milliarden Franken) zur Bewältigung der Brexit-Folgen angekündigt.
Finanzminister Sajid Javid werde am Mittwoch vor dem Londoner Unterhaus verkünden, dass die zusätzlichen Mittel im Jahr nach dem EU-Austritt des Vereinigten Königreichs ausgegeben werden sollen, erklärte die britische Regierung am Dienstagabend. Die Gelder sollen etwa in den Grenzschutz und die Hafeninfrastruktur fliessen.
Johnson will keine Verlängerung
Johnson will unter «keinen Umständen» eine weitere Brexit-Verschiebung und kritisierte den geplanten Gesetzentwurf der No-Deal-Gegner scharf. Das käme einer «Kapitulation» gegenüber Brüssel gleich. «Es würde unseren Freunden in Brüssel ermöglichen, die Bedingungen der Verhandlungen zu diktieren», sagte der Premier.
Vor allem der sogenannte Backstop - eine von der EU geforderte Garantieklausel für eine offene Grenze in Irland - müsse gestrichen werden. Aufseiten der EU gebe es Bewegung, sagte Johnson. «Die Chancen für einen Deal sind gewachsen.» Nach Angaben der EU-Kommission waren inhaltliche Fortschritte bis Dienstag nicht zu vermelden.
(SDA)
Am 23. Juni 2016 stimmten 51,9 Prozent der Briten für den Austritt aus der EU. Seitdem findet ein langwieriger Prozess der Kompromissfindung zwischen britischer Politik und der EU statt. Am 31. Januar 2020 treten die Briten offiziell aus der EU aus. Behalten Sie den Überblick im Brexit-Chaos mit dem Newsticker von Blick.ch.
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