Auf dem Seegrund vor der ehemaligen Chemiefabrik in Uetikon am See liegen auf einer Fläche von rund 75'000 Quadratmetern Chemieabfälle und gar radioaktives Material. Dort soll der hochgefährliche Müll zum grossen Teil auch bleiben, wie Verantwortliche des Kantons Zürich vergangene Woche an einer Informationsveranstaltung erklärten.
Die Stimmung an der Veranstaltung war angespannt. Während der Fragerunde stürmte ein Mann empört aus dem voll besetzten Saal: Andreas Natsch (55), Co-Präsident des Vereins «Lobby für Uetikon». Er sagt: «Die Bevölkerung wird an der Nase herumgeführt. Es war keine Informationsveranstaltung, sondern reine Propaganda.»
«Die Informationspolitik ist skandalös», sagt auch Marco Bähler (67), diplomierter Strahlenschützer aus Uetikon. Das Verhalten der Behörden widerspreche der Aarhus-Konvention, der zufolge die Öffentlichkeit bei Entscheidungen von grosser ökologischer Bedeutung rechtzeitig und umfassend informiert werden müsse. «Der Kanton muss die Karten auf den Tisch legen.»
Die Baukommission der Gemeinde Uetikon befasste sich am Montag mit dem Baugesuch des Kantons zur Projektänderung. Auch für sie ist noch nicht alles klar. «Wir haben das Gesuch zurückgestellt», sagte Hansruedi Bosshard, Gemeinderat und Bauvorsteher, am Dienstag. Bevor die Kommission entscheide, müsse der Kanton noch verschiedene Fragen beantworten.
«Nichts zu verstecken»
Am Informationsanlass sagte Balthasar Thalmann (46), stellvertretender Leiter des Amts für Abfall, Wasser, Energie und Luft des Kantons Zürich (Awel): «Der Kanton hat offensichtlich das Bedürfnis nach Informationen unterschätzt.» Dass nicht früher und breiter über die Projektänderung informiert wurde, sei eine Unterlassung, räumte er ein. «Aber wir haben nichts zu verstecken.»
Gemäss Bettina Flury (45), Projektleiterin beim Awel, wurde die Änderung im Vorgehen nötig, weil erst nach Projektstart klar wurde, dass die belasteten Ablagerungen im Uferbereich bis zu sieben Meter dick sind. Eine Totaldekontamination wurde verworfen, weil die Kosten und die Risiken bezüglich eines Abrutschens der Ufermauer zu gross seien. «Deshalb hat man sich für eine Überschüttung im Uferbereich entschieden», erklärt Flury. Rund ein Fünftel des Sanierungsbereichs soll nicht abgepumpt, sondern mit Sand und Kies überlagert werden.
Uran und Radium im See entsorgt
Das Fabrikareal in Uetikon wurde zwischen 1836 und 1957 nach und nach durch Aufschüttungen im Zürichsee erweitert. In der Fabrik wurden unter anderem Schwefelsäure und Phosphatdünger produziert. Die Abfälle wurden teils im See entsorgt. Eine tickende Zeitbombe.
Noch 1999 hatte das Unternehmen in Uetikon rund 190 Mitarbeiter. In den Jahren darauf wurde die Produktion zurückgefahren und schliesslich ganz eingestellt. 2018 übernahmen der Kanton und die Gemeinde das Areal. Bis 2031 sollen dort in Rahmen des Projekts «Chance Uetikon» eine Kantons- und eine Berufsschule entstehen. Geplant sind ausserdem ein öffentlicher Seeuferpark, Wohnungen für rund 800 Personen, Gewerberäume sowie Platz für Sport und Veranstaltungen.
«Schon winzige Mengen haben grosses Schadenspotenzial»
Andreas Natsch würde jedoch nicht dort baden wollen, wenn die Altlasten einfach überschüttet werden. «Es bleiben rund 75 Prozent der Schadstoffe im See», sagt er. Dazu gehören etwa 75 Tonnen Blei, mehrere Tonnen Cadmium und Arsen, beträchtliche Mengen Uran sowie noch stärker strahlendes Radium. «Die Radioaktivität ist heikel, weil schon winzige Mengen ein grosses Schadenspotenzial haben», sagt Marco Bähler.
Beide fordern, dass gründlich aufgeräumt werde. Insbesondere die bekannten Belastungen in den oberen 1,5 Meter des Seegrunds müssten auch im Uferbereich entfernt werden. «Die Baustelle hier ist vollständig eingerichtet, um das belastete Material zu entfernen», sagt Natsch. Dabei geht es um viel Geld: Die Variante mit Überschüttung dürfte rund 17 Millionen Franken kosten, die teuerste Variante wird auf 64 Millionen geschätzt.
Für die Überschüttung müsste viel sauberer Kies und Sand nach Uetikon transportiert werden. «Es geht um 60‘000 Tonnen Schuttmaterial», sagt Natsch, «das entspricht 2360 LKW-Ladungen, einer Lastwagenkolonne von Zürich bis nach Rapperswil.»
Verursacher jetzt noch greifbar
Ein wichtiger Grund, die Sanierung jetzt gründlich zu gestalten, ist für die Aktivisten die Tatsache, dass die Kosten gemäss Vertrag zu 80 Prozent durch die Nachfolgefirma der Chemie Uetikon getragen werden. Nur 20 Prozent trägt der Kanton.
Die beiden Vertreter der Lobby für Uetikon zeigen sich offen für einen Kompromiss, um einen langwierigen Rechtsstreit zu verhindern. Sie sind aber nicht optimistisch. «Wir sind pickelhart entschlossen, juristisch dagegen vorzugehen», sagt Bähler. «Wir haben eine Kanzlei mit entsprechender Erfahrung engagiert.»
Auch Pro Natura Zürich verfolgt das Thema. Noch ist aber nicht entschieden, ob die Naturschutzorganisation juristisch gegen die Überschüttung vorgehen wird, wie Geschäftsleiter Andreas Hasler (59) erklärt.